Menu Close

Amüsante neue Welt / Amusing new world

Sunday television – picture taken by Carol Mitchel under cc-license

„Orwell fürchtete jene, die uns Informationen vorenthalten. Huxley fürchtete jene, die uns mit Informationen so sehr überhäufen, dass wir uns vor ihnen nur in Passivität und Selbstbespiegelung retten können. Orwell befürchtete, dass die Wahrheit vor uns verheimlicht werden könnte. Huxley befürchtete, dass die Wahrheit in einem Meer von Belanglosigkeiten untergehen könnte“

Neil Postman in seinem Vorwort zu „Wir amüsieren uns zu Tode“

Manchmal frage ich mich, warum wir unsere Propheten nicht mehr ernst nehmen und lieber offenen Auges in die Fallen rennen, vor denen sie uns gewarnt haben. Neil Postman hat 1985 sein Buch „Wir amüsieren uns zu Tode – Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie“ veröffentlicht. Er war damals Professor für Medienökologie an der New York University. Er warnte eindrücklich davor, dass der Unterhaltungs-Charakter, den die Medieninhalte zunehmend bekommen, dazu führen würden, die ernsthafte Auseinandersetzung mit Themen zu verdrängen und damit unserer Urteilskraft nachhaltig schaden würden. Unsere Urteilskraft aber ist eine Grundlage dafür, dass das Volk in einer Demokratie als Souverän auftreten kann. Genau genommen ist Postmans These eine Präzisierung des McLuhan‘schen Dictums, dass das Medium die Botschaft ist. Er sagt für das Medium der Fernsehunterhaltung „problematisch am Fernsehen ist nicht, dass es uns unterhaltsame Themen präsentiert, problematisch ist, dass es jedes Thema als Unterhaltung präsentiert.”

Warum die kapitalistische Warengesellschaft der ideale Nährboden für die Verwandlung von Allem und Jedem in Unterhaltung ist, hat Guy Debord schon 1967 in seinem legendären Hauptwerk „Die Gesellschaft des Spektakels“ (ich würde lügen, wenn ich behaupten würde es gelesen zu haben) sehr schön gezeigt. Er datiert die ersten Anzeichen auf die zwanziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts und das ist nicht zufällig die Zeit, in der auch die Propaganda erfunden wurde. Der Philosoph, der – soweit ich das sehen kann – auch heute noch entlang dieser Linien denkt, ist Giorgio Agamben. Über ihn vielleicht ein andermal mehr.

Nun sind wir in Deutschland in der glücklichen Lage, noch öffentlich-rechtliche Sender und einige traditionelle Printmedien übrig zu haben. Aber auch Diese werden, seit der Einführung der Privatsender in den 80er Jahren und der zunehmenden Aushungerung der Presse, von innen her ausgehöhlt und müssen Unterhaltungstheater und Werberummel der gewinnorientierten Sender und Zeitungen mitmachen. War ursprünglich die Werbung ein Extra, dass den Zeitungen neben den Einkünften durch Abonnements mehr Einkommen ermöglicht hat, ist heutzutage der Inhalt oft das kaum verhüllende Feigenblatt für eine Flut von Anpreisungen. Dies zeigen die kostenlosen Zeitungen die in den Großstädten die Mülleimer und auf den Dörfern die Briefkästen verstopfen, genauso schön wie der Fernsehsender, wo die Werbepause nicht nur für das `kleine´ sondern inzwischen auch locker für das `große Geschäft´ reicht.

Alles `Schnee von gestern´ könnte man sagen – wenn wir nicht heute fassungslos vor den Ergebnissen dieses Prozesses stehen würden. Wenn wir nicht mitansehen müssten, wie in ehemals aufgeklärten Ländern das „Volk” die Berlusconis, Orbans, Erdogans und Trumps zu ihren Chefs macht.

Aber nicht nur das Fernsehen, auch weite Teile des Internetzes … und ja auch unsere heißgeliebten Photoplattformen – dienen heute nur noch der Unterhaltung.  Kaum mehr jemand liest die Überschrift geschweige denn den Begleittext zu den Bildern. Es kommt nicht selten vor, dass ein Bild, dass ich gepostet habe, um auf ein ernsthaftes Thema hinzuweisen mit einem „nice picture“- Kommentar geschmückt wird. War das Bild ursprünglich zur Verdeutlichung und Illustration von Sachverhalten in Zeitungen und Zeitschriften, in Museen und Ausstellungen zur Erinnerung in Photoalben und auf Grabsteinen, so ist es heute weitgehend zum Selbstzweck verkommen; es erklärt weder etwas noch wird es von Text begleitet, der es in einen sinnvollen Kontext stellen könnte. Es ist nur noch zur Unterhaltung da – oder zur Propaganda.

Natürlich gibt es sie noch die Leute die ihre ZEIT sorgfältig durchlesen und sich auf ARTE eine Meinung bilden oder sogar die Stadtbibliothek nutzen. Aber ganz ehrlich, wie viele sind das noch? Vielmehr sind ja inzwischen auch fast alle Lebensbereiche, die in die sogenannte Freizeit fallen, nach dem Schema des unterhaltenden Events aufgebaut. Reisen, Kulturgenuss, Essen und Einkaufen sind nur dann attraktiv, wenn Sie einen unterhaltenden Mehrwert aufzuweisen haben. Schnell erlebt und schnell vergessen. Kommt ja auch gleich was Neues.  Wir konsumieren heute buchstäblich alles bis hin zu unseren Mitmenschen. Sind sie nicht unterhaltsam, besorgen wir uns eben neue.

Das ist nichts mehr, was nur in intellektuellen Kreisen diskutiert wird! Nein, das hat sich bis zu Spiegel-online rumgesprochen. Harald hat mir kürzlich einen Abschnitt aus einer Kolumne von Thomas Fischer zugeschickt dem wenig hinzuzufügen ist:

„Man muss bedenken, dass die Mehrheit der Bevölkerung heute Wirklichkeit außerhalb eines engen persönlichen Rahmens als symbolische wahrnimmt. Wo selbst die wilde, weite Welt auf das Maß von Dokumentarfilmen gesunken und zur gestalteten Szenerie geworden ist, Nordpol, Südsee und Schatzinseln als Event-Locations angeboten werden, gibt es zwischen analogen und virtuellen Bundesministern vielleicht nur noch für Nostalgiker einen Unterschied. Dann wäre das Leben bloßes Symbol seiner selbst, ein Film, dessen Szenenfolge, Schnitttechnik und Zeitabläufe der Kritik und dem Remake unterworfen sind.“

“Orwell feared those who withheld information from us. Huxley feared those who overwhelm us with information so much that we can only save ourselves from them through passivity and self-reflection. Orwell feared that the truth could be hidden from us. Huxley feared that the truth might be lost in a sea of trivialities.

Neil Postman in his preface to “Amusing ourselves to death”

Sometimes I wonder why we no longer take our prophets seriously and prefer to run with open eyes into the traps they warned us about. In 1985 Neil Postman published his book “Amusing ourselves to death – Public Discourse in the Age of Show Business”. He was Professor of Media Ecology at New York University then. He warned impressively that media content is increasingly becoming entertainment. It would in consequence suppress the serious discussion of issues and would thus permanently damage our power of judgement. But our power of judgement is a basis for the people to act as sovereign in a democracy. Strictly speaking, Postman’s thesis is a specification of the McLuhanian dictum that the medium is the message. About  the medium of television entertainment he says “the problem with television is not that it presents us with entertaining subjects, the problem is that it presents every subject as entertainment.

Why the capitalist commodity society is the ideal breeding ground for the transformation of everything and everyone into entertainment was beautifully demonstrated by Guy Debord as early as 1967 in his legendary major work “The Society of the Spectacle” (I would be lying if I said I had read it). He dates the first signs to the twenties of the twentieth century and it is not by chance that this is the time when propaganda was invented. The philosopher who, as far as I can see, still thinks along these lines today is Giorgio Agamben.  About him maybe another time.

In Germany we are in the lucky situation to still have public broadcast and some traditional print media remaining. But since the introduction of private broadcast in the 80s and the increasing starvation of the press, even these are being undermined from within and have to take part in the entertainment theatre and advertising hype of the profit-oriented broadcasters and newspapers. While originally advertising was an extra that gave newspapers more income in addition to the income from subscriptions, nowadays the content is often the fig leaf for a barely veiled flood of “advertorials”. This is shown by the free newspapers that clog the rubbish bins in the big cities and the mailboxes in the villages, just as beautifully as by the TV stations, where the commercial break is not only for the ‘small’ but now also easily enough for the ‘big business’.

All ‘yesterday’s news’ could be said if we were not today stunned by the results of this process. We are witnesses how in former enlightened countries the “people” make Berlusconi, Orban, Erdogan and Trump their bosses.

But not only television, but also large parts of the internet – and yes, our beloved photo platforms – today serve only for entertainment.  Hardly anyone reads the picture title anymore, let alone the accompanying text. It’s not uncommon for a picture that I posted to point out a serious topic to be adorned with a “nice picture” comment. While the picture was originally used to clarify and illustrate facts in newspapers and magazines, in museums and exhibitions for remembrance in photo albums and on gravestones, today it has largely degenerated into an end in itself and neither explains anything nor is it accompanied by text that could put it into a meaningful context. It is now only there for entertainment. Or for propaganda.

Of course there are still people who read their ZEIT carefully and form an opinion on ARTE or even use the municipal library. But honestly, how many are there? In fact, almost all areas of life that fall into the so-called leisure time are now structured according to the scheme of the entertaining event. Travel, cultural enjoyment, eating and shopping are only attractive if they have an entertaining added value. Quickly experienced and quickly forgotten. Something new is coming soon.  Today we literally consume everything, right down to our fellow human beings. If they’re not entertaining, we’ll get new ones.

This is no longer something that is only discussed in intellectual circles – no, that was the talk of the town until Spiegel-online. Harald recently sent me a paragraph from a SPIEGEL-column by Thomas Fischer  which is not much to add:

“One has to consider that the majority of the population today perceives reality outside a narrow personal framework as symbolic. Where even the wild, wide world has sunk to the level of documentary films and become a designed scenery, where the North Pole, South Seas and Treasure Islands are offered as event locations, there is perhaps only a difference between analogue and virtual federal ministers for nostalgics. Then life would be merely a symbol of itself, a film whose sequence of scenes, editing technique and timing are subject to criticism and remake”.

Translated with the help of www.DeepL.com/Translator

TV head – picture by Victorio Marasigan under cc license

8 Comments

  1. Harald S.

    Was hier – am Rande gewissermaßen – das Thema Fotografie streift, trifft ja einen zentralen Punkt. Nämlich, wie Technologien unsere Welt neu definieren. Und das geschieht weitgehend unterhalb der Wahnehmungsschwelle. Es lohnt wirklich, darüber nachzudenken, welche Kräfte die Bilder entwickeln. Rolf hat mir ein Buch empfohlen, in dem das sehr deutlich wird: Friedrich Kittlers Vorlesung aus dem Jahr 1999 mit dem unscheinbaren Titel “Optische Medien”.

  2. Rolf Noe

    Danke für das erhellende Beispiel, Cornelia. Und Ja, ich habe den Film auch gesehen und genossen. Man kann nicht mit Beethoven im Hintergrund über Meditation berichten.

  3. Herr Rausch

    Was passiert wenn das Verfassen einer Kritik Unterhaltung wird? Was passiert wenn Mobbing Diffamierung, Ausgrenzung zur Unterhaltung wird? Was sind wir selbst, wenn wir Menschen schlecht behandeln, um uns und andere zu Unterhalten?

    • Rolf Noe

      Wenn ich ein erfolgreicher Podcaster oder gar ein vielgeklickter Youtuber wäre, würde mich deine Bemerkung voll treffen. Aber ich glaube so ein blog ist dann doch ein wenig zu mühselig um als Unterhaltung durchzugehen. Was ich tatsächlich eingestehen muss, ist, dass soche Wutreden, `rants´ wie sie Harald genannt hat, natürlich immer ein Angriff sind. Zwar nicht auf jemand Bestimmten aber doch auf eine Gebiet, bei dem man, wenn man z.B. darin arbeitet, sich angegriffen fühlen könnte. Das ist fundamnetal richtig, das sich Jemand der angreift statt liebevoll zu kommentieren letztlich ins Unrecht setzt.

  4. Cornelia Puk

    Lieber Rolf, gut dass Du dieses Thema aufgegriffen hast und damit ins Bewusstsein rückst. Ich stimme Dir zu und dachte zum Beispiel gestern, als die auf Arte eine Dokumentation über das Kriegsende in Berlin sah, wie unangemessen und störend dabei die dramatisierende Musik ist. – Es gab mal einen Film über ein Kloster in Frankreich (Chartreuse?), ohne Musik und fast ohne Sprache, der sehr eindrücklich war. – Liebe Grüße, Cornelia

Leave a Comment / Schreib einen Kommentar

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.