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Auftauchen von Vergangenem im Gegenwärtigen / Emergence of the past in the present

„Consider, you who peruse me, whether I may not in unknown ways

be looking at you.“

>> Allen Ginsberg quoting Walt Whitman (1990) <<

Es ist erstaunlich, wie sich in unserer von Bild und Wort geprägten Kultur verschiedene Zeitschichten in einem Werk, einer Veröffentlichung spiegeln, überschneiden und gegenseitig beleuchten können. So ein Kristallisationspunkt ist für mich in der letzten Zeit das Buch „Beat Memories“ geworden, das von Sarah Greenough von der National Gallery of Art im Washington herausgegeben wurde. Es widmet sich vor allem einer Reihe von Photographien, die Allen Ginsberg zwischen 1953 und 1963 von sich und seinen Freunden gemacht hat. Der später gefeierte Dichter fängt damit an, mit einer gebrauchten Kamera, ohne jegliche Vorkenntnisse den damals noch unbekannten William S. Burroughs mit einem Exemplar seines frisch erschienenen Buches „Junkie“ in einer Pose zu fotografieren, zu der er später sagt „like Baudelaire“. Schon hier vermischen sich die Zeitlinien, wenn ich ein Photo betrachte, auf dem eines meiner literarischen Idole von einem meiner Lieblingsdichter mit einem Verweis, auf deren Vorbild in der französischen Literatur inszeniert wird. Diese Mischung aus (Teil-)inszenierten Bildern mit bedeutsamen Büchern, Orten etc. und spontaneren Aufnahmen zieht sich durch die ganze Serie von Bildern aus den späten 50er und frühen 60er Jahren. Da tauchen, wenig verwunderlich, Gestalten wie Jack Kerouac auf, sicher eine der Inspirationen der Reisetätigkeit meiner Jugendjahre. Aber später auch ein Bild von Garry Snyder von 1963 als Wandermönch in einem Zen-Tempel in Japan, der mir im Übrigen wie auch das Buch mit Ginsbergs Bildern von meinem Freund Ti erst vor einem Jahr empfohlen, und zu einer meine Zen-Praxis bereichernden und augenöffnenden Lektüre wurde. Es handelt sich um das Buch “Lektion der Wildnis” (Practice of the Wild), das einem die Augen darüber öffnen kann, was wir alles verlieren, wenn wir versuchen, die Wildnis zu verstehen und sie “sicher” zu machen. Das Buch habe ich im Übrigen nach der Lektüre sofort weiter verschenkt an meine Tochter, die versucht den Kontakt zu Natur nicht zu verlieren.

Zurück zur Geschichte von Ginsbergs Bildern, diesem unschätzbaren Fenster in eine Zeit, in der es noch keine ‚Clips‘ und ‚Reels‘ gab. Ginsberg hat seine Kamera 1963 verlegt oder verloren und die ca. 30 Filme entwickeln lassen, aber die Bilder erst selbst verstaut und später der Columbia University zu Aufbewahrung überlassen.

It is amazing how, in our culture shaped by images and words, different layers of time can be reflected, overlap and illuminate each other in one work, one publication. The book “Beat Memories”, published by Sarah Greenough of the National Gallery of Art in Washington, has recently become such a crystallization point for me. It is primarily devoted to a series of photographs that Allen Ginsberg took of himself and his friends between 1953 and 1963. The later celebrated poet begins by photographing the then still unknown William S. Burroughs  with a copy of his newly published book “Junkie” using a second-hand camera, without any prior knowledge, in a pose to which he later says “like Baudelaire”. Even here, the timelines mix when I look at a photo in which one of my literary idols is staged by one of my favourite poets with a reference to their role model in French literature. This mixture of (partially) staged pictures with significant books, places etc. and more spontaneous shots runs through the whole series of pictures from the late 50s and early 60s.

Unsurprisingly, figures such as Jack Kerouac appear, certainly one of the inspirations of the travel activities of my youth. But later also a picture of Garry Snyder from 1963 as a wandering monk in a Zen temple in Japan, which incidentally, like the book with Ginsberg’s pictures, was recommended to me by my friend Ti only a year ago and became an enriching and eye-opening read for my Zen practice. It is the book  “The Practice of the Wild”, which can open your eyes to what we lose when we try to understand the wilderness and make it “safe”. Incidentally, after reading the book I immediately gave it to my daughter, who is trying not to lose touch with nature.

Back to the history of Ginsberg’s pictures, this invaluable window into a time when there were no ‘clips’ and ‘reels’. Ginsberg misplaced or lost his camera in 1963 and had the 30 or so films developed, but first stowed the pictures away himself and later gave them to Columbia University for safekeeping.

Erst 1983, also 20 Jahre später, auf Anregung von Robert Frank, den er schon seit den 60er Jahren kannte, fing Ginsberg an, die Bilder drucken zu lassen und direkt auf die Bilder Kommentare in seiner nicht gerade sehr leserlichen Schrift zu schreiben. Die Kommentare erhöhen auf jeden Fall den historischen Wert der Bilder, weil sie etwas bedeutsamen Kontext hinzufügen. Gleichzeitig beginnt Ginsberg auch wieder zu photographieren. Es ist inzwischen ein weltbekannter Poet, ein politischer Aktivist und kennst so ziemlich alles, was damals im alternativ-kreativen Bereich Rang und Namen hatte. So finden sich neben Bildern des alternden Burroughs auch ein mit einer Rolleiflex aufgenommenes Ganzkörperportrait von Bob Dylan (1990) ein Portrait im Sitzen von Jevgenji  Jewtuschenko (1986), den er schon in den Sechzigern mal in Russland besucht hat, seinem Freund und Exlover Peter Orlowski auf dem winterlichen Grab von James Joyce in Zürich (1980) und die zwei Bilder von Robert Frank, allein (1996) und seinem Sohn Pablo (1964), die ich schon in meinem Artikel über Frank gezeigt habe.

Ginsberg ist inzwischen Buddhist geworden und hat in Colorado die „Jack Kerouac School of disembodied Poetics“ gegründet. So spiegelt sich in den Bildern und damit verbundenen Geschichten viele Stationen meines Lebens und des Lebens derjenigen Menschen, die mir wichtig waren und sind. Die frühe Bewunderung für alles, was von den Beatniks kam, oder sich in ihrer Tradition der Kreativität weiterentwickelt hat, wie z. B. Laurie Anderson oder Patty Smith trägt letztlich auch bis heute, obwohl ich vieles davon nur noch wohlwollend zur Kenntnis nehme.

Aber auch die Verbindung zu Photographiegeschichte sind spannend, es zeigt sich vor allem daran, wie Allen Ginsberg dazu kam, seine Bilder mit handschriftlichen Kommentaren zu versehen.

Er hatte neben Robert Frank, der ja auch später viel mit Schrift in und auf seinen Bildern experimentiert hat, auch Berenice Abbott, die sich selbst in der Tradition von Eugène Atget sah, getroffen und mit ihr gesprochen. Sie hat damals auch ihren Bildern in Büchern kleine, knapp gehaltene Geschichten hinzugefügt. Aber auch Jim Goldberg und vor allem sein Buch „Rich and Poor“ sowie Elsa Dorfmanns  “Elsas Handbook”, in dem er selbst auch auftaucht, haben ihn beeinflusst.

Vorahnungen seines eigenen Todes und des Todes von Burroughs im selben Jahr 1997 kann man vielleicht in ein Porträt seines sterbenden Onkels Abe Ginsberg oder in einem Selbstportrait von 1991 sehen, wo er nackt und mit haarigem Bauch vor dem Spiegel posiert. Bei der Beschäftigung mit diesen meinen geistigen Ahnen ist immer das von R. Barthes formulierte Paradox präsent, das in meiner freien Formulierung heißt „Sie lebten, als sie photographiert wurden, aber sie werden tot sein, wenn Du die Bilder betrachtest“.

Spannend in der ganzen Geschichte ist auch, dass ich in meiner jugendlichen Begeisterung für Ginsberg, Burroughs & Co. der Tatsache, dass sie schwul waren, kaum Beachtung geschenkt hatte. Ich könnte nicht sagen, dass es mir nicht bekannt war, aber es war offensichtlich nicht wichtig für mich oder ich habe es verdrängt. Erst sehr viel später sollte ich entdecken, dass fast alle meine kreativen Helden, homophile Neigungen hatten und erst in der Auseinandersetzung mit der Biografie von Foucault konnte ich mir die Frage stellen, ob es ein Zusammenhang zwischen Kreativität und Homosexualität gibt?

Andererseits habe ich mich auch damals nicht gefragt wie viel von der Kreativität diese Leute mit dem Heroin zusammenhängt, dass ich Burroughs gespritzt hat oder wie viele Trips Ginsberg geworfen hat als er mit Timothy Leary und den „Mary Pranksters“ unterwegs war. Umgekehrt hat es mich auch nicht interessiert, ob die Tatsache, dass wir damals viel gekifft haben, für unsere Begeisterung für genau diese Vorbilder verantwortlich war. Hier fügt sich auch ein Seherlebnis neuesten Datums gut mit ein. Ich habe mir den Film „Queer“ von Luca Guadagnino angeschaut, ein wunderbarer, spannender Film, der auf einer frühen autobiographischen Erzählung von W.S. Burroughs basiert  und sowohl Drogenkonsum als auch homoerotischen Szenen zeigt. Ich hab den Film genossen aber von der Aufregung und Begeisterung von einst war tatsächlich nicht mehr viel übrig.

Was auch noch von diesem Bildband aufgerührt wird, ist der Zusammenhang zwischen guter Photographie, und damit meine ich Photographie, die neben ihrer Abbildungsfunktion auch noch als Metapher für die unzähligen Facetten der „Conditio humana“ funktioniert – was für ein Zusammenhang diese Art von Photographie mit Poesie hat, Poesie, die ja auch Worte benutzt, die zum Beschreiben der Welt verwendet werden, diese aber anders verwendet, so verwendet, dass sie uns bezaubern können. Das hat etwas mit dem Mysterium des „So Seins“ zu tun, das empfunden, eventuell auch noch nachempfunden aber nicht beschrieben werden kann.

It was not until 1983, 20 years later, at the suggestion of Robert Frank, whom he had known since the 1960s, that Ginsberg began to have the pictures printed and to write comments directly on the pictures in his not very legible handwriting. The commentaries definitely increase the historical value of the pictures because they add some significant context. At the same time, Ginsberg also began to photograph again. He is now a world-famous poet, a political activist and knows pretty much everyone who was anyone in the alternative-creative world at the time. In addition to pictures of the ageing Burroughs, there is also a full-body portrait of Bob Dylan (1990) taken with a Rolleiflex, a seated portrait of Jevgenji Jewtuschenko (1986), whom he visited in Russia in the 1960s, his friend and ex-lover Peter Orlowski on James Joyce’s wintry grave in Zurich (1980) and the two pictures of Robert Frank, alone (1996) and his son Pablo (1964), which I already showed in my article about Frank.

Ginsberg has since become a Buddhist and founded the “Jack Kerouac School of disembodied Poetics” in Colorado. So the pictures and the stories associated with them reflect many stages of my life and the lives of the people who were and are important to me. My early admiration for everything that came from the beatniks or developed further in their tradition of creativity, such as Laurie Anderson or Patty Smith, ultimately continues to this day, although I only take note of much of it in a benevolent way. 

But the connection to the history of photography is also exciting, as can be seen above all in how Allen Ginsberg came to add handwritten comments to his pictures. 

In addition to Robert Frank, who later also experimented a lot with writing in and on his pictures, he had also met and spoken to Berenice Abbott, who saw herself in the tradition of Eugène Atget. At the time, she also added small, concise stories to her pictures in books. But he was also influenced by Jim Goldberg  and especially his book “Rich and Poor” and Elsa Dorfmann‘s  “Elsa’s Handbook”, in which he himself also appears

Premonitions of his own death and that of Burroughs in the same year 1997 can perhaps be seen in a portrait of his dying uncle Abe Ginsberg or in a self-portrait from 1991 where he poses naked and with a hairy belly in front of the mirror. When dealing with these pictures of my spiritual ancestors, the paradox formulated by R. Barthes is always present, which in my free formulation means “They were alive when they were photographed, but they will be dead when you look at the pictures”.

What is also exciting in the whole story is that in my youthful enthusiasm for Ginsberg, Burroughs & co. I had hardly paid any attention to the fact that they were gay. I couldn’t say I wasn’t aware of it, but it obviously wasn’t important to me, or I repressed it. It wasn’t until much later that I discovered that almost all of my creative heroes had homophile tendencies, and it wasn’t until I studied Foucault’s biography that I was able to ask myself whether there was a connection between creativity and homosexuality?

On the other hand, I didn’t ask myself back then how much of these people’s creativity was connected to the heroin that Burroughs injected or how many trips Ginsberg took when he was on the road with Timothy Leary and the “Mary Pranksters”.

Conversely, I wasn’t interested in whether the fact that we smoked a lot of pot back then was responsible for our enthusiasm for precisely these role models. A recent viewing experience also fits in well here. I watched the movie “Queer” by Luca Guadagnino, a wonderful, exciting movie based on an early autobiographical story by W.S. Burroughs  and showing both drug use and homoerotic scenes. I enjoyed the movie, but there really wasn’t much left of the excitement and enthusiasm of yesteryear.

What this book full of pictures also touches on is the connection between good photography, and by that I mean photography that, in addition to its function of depiction, also functions as a metaphor for the countless facets of the “human condition” – what a connection this kind of photography has with poetry, poetry that also uses words that are used to describe the world, but uses them differently, in such a way that they can enchant us. It has something to do with the mystery of “just being so”, which can be felt, perhaps even related to, but not described.

2 Comments

    • Rolf Noe

      Ja hat mir auch Spaß gemacht da ein wenig zu recherchieren. Bin auch noch nicht fertig damit. Hab mir z.B. ein Buch mit späten Gedichten von Ginsberg bestellt. Auch ein Versuch zu sehen, ob ich da noch mal anknüpfen kann…

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