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Bildbetrachtung, die Erste / Image Viewing, the First

Im ernsthaften Bemühen der Beschleunigung des Bildkonsums entgegenzutreten haben wir uns ein „Spiel“ ausgedacht, das so funktioniert. Einer (in diesem Fall Rolf) schickt den anderen Beiden ein Bild, das ihn beeindruckt hat, und zwar ohne eigenen Kommentar oder anderweitigen Kontext. Die anderen Beiden (hier Michael und Harald) schreiben parallel auf, was sie an dem Bild beeindruckt hat und welche Assoziationen dadurch losgetreten wurden. Anders als in dem Projekt Bildbeschreibung (Erste, Zweite und Dritte) geht es hier also um das uninformierte subjektive Empfinden. Letztlich ungefähr das, was Barthes als `punctum´ beschreibt. Als letzter Akt wird dann vom Versender das Bildes der Kontext klargestellt und evtl. nochmal auf die beiden Texte reagiert.

Wenn ihr Lust habt könnt ihr gerne auch eure ersten Eindrücke aufschreiben und in den Kommentaren posten oder mir per mail zukommen lassen (anscheinend ist es manchmal schwierig zu kommentieren).

Rolf (meine Empfindungen in Worte gefasst am 17.8.24 aber anfangs nicht mitgeteilt):

Ich seh dich in den Blumen, Soldat

Ich seh dich verschwinden

Der Schatten eines Grases

In deinen Nacken tätowiert

Vom Grün

Ins Blau und Gelb

Dem Rot entgegen

Sag mir…

Harald (20.8.24):

Ein Soldat! Zumindest ein uniformierter Mann. Gefleckt sind Stoffmütze, Jacke und Hose. Tarnfarben. Er ist dabei, mit seiner Umgebung zu verschmelzen, mit der Natur, den Schatten des Waldes, des Gebüschs.

Ein Soldat? Er trägt keinen Helm, keine Waffe, keine Rangabzeichen. Er ist nicht mehr jung. Man sieht sein Gesicht nicht, nur seinen Nacken. Die Haut des Nackens ist gegerbt von Sonne und Wetter, hat tiefe Furchen.

Ranger in einem Naturpark? Er ist dabei zu verschwinden, zwischen Schatten und Blumen. Blau und Gelb blühen sie zu seiner Rechten.

Blau und Gelb.

Da ist er wieder.

Der Krieg.

Michael (20.8.24):

Das Foto symbolisiert für mich mehrere Welten, bzw. es prallen verschiedene Gegensätze aufeinander.

Der erste Eindruck ist Düsterheit, Dunkel- und Verschlossenheit. Meine Augen suchen fast begierig nach Gegenteiligem, Erhellendem, Farbigem oder Entspannendem und finden es: Blüten und Blätter in satten Farben. Und, merkwürdigerweise bildet der von der Sonne angestrahlte Soldat das erhellende Zentrum. Ausgerechnet der Soldat, der auf mich wie die Symbolik des Krieges und der Gewalt wirkt, erzeugt einen Licht-Blick in dem Foto.

Rolf (21.8.24)

Das Bild wirkt auch ohne Kontext. Es erinnert uns an den Krieg, der uns nicht recht zu sein scheint, irgendwie fast sowas wie unangenehm.

Wär schöner, er wär nicht da, so nah.

Und da ist all das Schöne, das mit dem Soldaten in den Tod geht.

Auch ich verdränge so gut ich kann, schau keine Tagesschau und lass den Krieg höchstens an meine Ohren. Wenn da nicht mein Interesse für die Bilder wäre – und da schleicht er sich wieder an im Gewand des künstlerisch Dokumentarischen, mit der Geste des existentiell betroffenen Ausdruckswillens, mit dem Blick einer Frau. Da bin ich plötzlich wehrlos, da fallen die Abwehrschranken und da ist er dann doch wieder in meine Augen gekrochen, der Krieg.

Dank Julia Kochetova, die in der Ukraine geblieben ist, um zu photographieren und zu schreiben zu kooperieren mit ebenfalls Betroffenen, nachzulesen in PHOTONEWS 7/8-24 und anzuschauen auf der ansprechend und abwechslungsreich gestalteten, aber den Tod nicht verheimlichenden Homepage „War is personal“.

Da ist es das Titelbild, der `opener´.

In a serious endeavour to counter the acceleration of image consumption, we have come up with a ‘game’ that works like this. One of us (in this case Rolf) sends the other two a picture that has impressed him, without any commentary or other context. The other two (in this case Michael and Harald) write down in parallel what impressed them about the picture and what associations it triggered. In contrast to the picture description project (First, Second and Third), the focus here is on uninformed subjective perception. Ultimately, this is roughly what Barthes describes as ‘punctum’. As a final act, the sender of the picture will then clarify the context and possibly react again to the two texts.

If you feel like it, you are welcome to write down your first impressions and post them in the comments or send them to me by e-mail (apparently it is sometimes difficult to comment).

Rolf (put my feelings into words on 17.8.24 but didn’t share them at the beginning):

I see you in the flowers, soldier

I see you disappearing

The shadow of a grass

Tattooed on the back of your neck

From green

Into blue and yellow

Towards the red

Tell me…

Harald (20.8.24):

A soldier! At least a man in uniform. His cloth cap, jacket and trousers are spotted. Camouflage colours. He is blending in with his surroundings, with nature, the shadows of the forest, the bushes.

A soldier? He wears no helmet, no weapon, no insignia. He is no longer young. You can’t see his face, only his neck. The skin on his neck is tanned by sun and weather and has deep furrows.

A ranger in a nature park? He is about to disappear between the shadows and the flowers. They bloom blue and yellow to his right.

Blue and yellow.

There it is again.

The war.

Michael (20.8.24):

For me, the photo symbolises several worlds, or rather different opposites collide.

The first impression is of gloom, darkness and closure. My eyes search almost eagerly for the opposite, something brightening, colourful or relaxing and find it: flowers and leaves in rich colours. And, strangely enough, the soldier illuminated by the sun forms the illuminating centre. The soldier, of all things, who seems to me to symbolise war and violence, creates a glimmer of light in the photo.

Rolf (21.8.24)

The picture works even without context. It reminds us of war, which doesn’t seem right to us, somehow almost unpleasant.

It would be nicer if it wasn’t there, so close.

And there is all the beauty that goes to its death with the soldier.

I also block it out as much as I can, I don’t watch the news and at most let the war reach my ears. If it weren’t for my interest in the pictures – and there it creeps up again in the guise of artistic documentary, with the gesture of existentially affected expression, with a woman’s gaze. Suddenly I am defenceless, the defence barriers fall, and then it crawls into my eyes again, the war.

Thanks to Julia Kochetova, who stayed in the Ukraine to photograph and write in co-operation with those also affected, you can read about it in PHOTONEWS 7/8-24 and view it on the appealing and varied homepage ‘War is personal’, which does not conceal the death.
There it is the cover picture, the ‘opener’.

4 Comments

  1. anneeulia

    Mich erinnert das Bild an einen ehemals guten Freund von mir, dessen Lieblingsfarbe tatsächlich olivgrün ist und beim Bund war der meines Wissens nicht.😂

  2. gkazakou

    Das Bild schmerzt. Mir fällt angesichts der kleinen erleuchteten Partie im Genick des Soldaten eine Gedichtszeile ein:
    “Schön ist der Mond über Polen einen Genickschuss lang.”

    Das ganze Gedicht, von Peter Rühmkorf (Jahrgang 1923), lautet:

    Phänomenal vor die Hunde,
    was liegt noch drin?
    Am Abend die Viertelstunde,
    wo ich verwundbar bin.

    Denken, Atemholen
    außer Zusammenhang.
    Schön ist der Mond über Polen
    einen Genickschuß lang.

    Mit den Wölfen gezogen
    durchs herbstliche Planquadrat;
    silberner Sternenrogen
    hängt über Leningrad.

    In kyrillischen Buden
    Wodka zu Taumel und Tran:
    Schwingen die Amplituden
    über den inneren Plan.

    Wo uns die Jahre verdarben
    zwischen Qualm und Klimbim –
    Träume, feuerfarben,
    das magische Interim.

    Wo uns die Jahre verdarben
    zwischen Qualm und Klimbim-
    Träume, feuerfarben,
    das magische Interim.

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