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Bildbetrachtung und Bildbedeutung / Picture viewing and picture meaning

Jurierung der Profiserien, Fotoherbst 2017

Wir haben in Stefans Aufsatz, den Gebrauch der Bilder als konstituierend für ihre Bedeutung kennengelernt. Hier versuchen wir Kontextfaktoren der Entstehung und der Betrachtung von Bildern als Bedeutungstragend zu erkennen.

In einem sehr schönen Aufsatz `On the construction of photographic meaning´ schlägt  Andrew L. Mendelsohn von der Medienfakultät  der Temple University in Philadelphia vor, bei der Bedeutung von Bildern, immer vom konkreten Kontext auszugehen und zwar sowohl auf der Seite der Bilderstellung als auch auf der Seite der Bildbetrachtung. Er stellt für beide Seiten eine Art Werkzeugkiste der Bedeutungskonstruktion vor, aus der man sich je nach den konkreten Bedingungen des analysierten Bildes bedienen kann.

Produktionskontext

Auf der Seite der Bildherstellung enthält dieser sowohl den Photographen mit seiner Persönlichkeit, seiner Kultur und der ihn beeinflussenden Institutionen und Vermittlungsagenten (fixer) als auch das `Motiv´ mit seinen subjektiven, kulturellen und institutionellen Besonderheiten und die Wechselwirkungen zwischen all diesen Einflussgrößen. All dies kann erklären was warum auf dem Bild zu sehen ist und bildet aber nur den ersten Teil der Einflussgrößen, die letztlich darüber bestimmen was dem Bild für eine  Bedeutung beigemessen wird.

In Stefan’s essay, we have come to know the use of images as constituting their meaning. Here we try to recognize contextual factors of the emergence and the consideration of images as meaningful.

In a very nice essay, “On the construction of photographic meaning“, Andrew L. Mendelsohn from the Temple University Philadelphia Media School suggests the importance of images starting from the concrete context, both on the side of the image creation as well as on the side of image viewing. He presents for both sides a kind of toolbox of meaning construction, from which one can make use of depending on the concrete conditions of the analyzed image.

Context of production

On the side of image production, it contains both the photographer and his personality, his culture and the institutions and mediating agents (fixer) influencing him, as well as the ‘motif’ with its subjective, cultural and institutional features and the interactions between all these factors. All of this can explain what and why we see in the picture, but it is only the first part of the variables that ultimately determine what the image is meant to mean.

Wir wollen uns hier aber vor allem mit dem zweiten Schritt der Bedeutungskonstruktion beschäftigen, dem was der Betrachter aus dem Bild macht und warum. Grundsätzlich ist das die Haltung die Roland Barthes in seinem Buch `Die helle Kammer´ einnimmt. Nur dass wir hier nicht der Betrachter sind sondern den Betrachter betrachten. Dazu müssen wir ihn kennen und wissen in welchem Zusammenhang er das Bild zu Gesicht bekommt.

Präsentationskontext

Zuallererst müssen wir den Ort, die Kultur und die Art und Weise kennen in der der Betrachter das Bild zu sehen bekommt.

„Heute sehen wir die Kunst der Vergangenheit so wie Niemand sie zuvor je gesehen hat. Wir nehmen sie  tatsächlich anders wahr“ sagt  John Berger 1972

Wir sehen also zeitgenössische Photographien anders als historische. Wir sehen auch definitiv ein Photo anders, wenn es in der Wochenendzeitung erscheint als wenn es in einer Galerie hängt. Selbst die Frage in welcher Zeitschrift das Bild veröffentlicht wird beeinflusst unsere Wahrnehmung und Interpretation. In einer Gewerkschaftszeitung wird das Bild eines schwitzenden Arbeiters anders gedeutet als in der Tageszeitung oder einem Kunstmagazin. Untersuchungen (Mendelson& Papacharisi 2005) zeigen, dass die Reaktion der Betrachter sich unterscheidet je nachdem ob die Bilder als real oder als fiktional gekennzeichnet werden.

Mendelson führt das Beispiel der Stock-Agenturen an, wo Bilder komplett von ihren Produktionsbedingungen abgetrennt für jedwelche Verwendung angeboten werden. Als so eine Art symbolische Platzhalter, der möglichst wenig Hinweise auf seine konkreten Produktionsbedingungen enthalten sollte.

Zudem ist es auch entscheidend mit welchem Titel, welcher Erklärung oder welchem Text das Bild Präsentiert wird (siehe auch hier und hier ) und wer den Text geschrieben hat. Auch die Frage mit welchen anderen Bilder zusammen das in Frage kommenden Bild gezeigt wird beeinflusst die Interpretation (siehe auch hier und hier). Nicht zuletzt beeinflussen Farbe oder Schwarzweiß und die Größe des Bildes die Frage ob es z.B. als Kunst oder als Dokument wahrgenommen wird.

Betrachter

Aber auch wenn all dies in Betracht gezogen wurde ist noch nicht entschieden welche Bedeutung das Bild für den konkreten Betrachter haben wird.  Die Frage was der Betrachter in dem Bild sieht, hängt nämlich wiederum stark davon ab, über was für einen kognitiven sozialen und kulturellen Hintergrund der Betrachter verfügt. Barthes spricht vom `studium´ was heißt, dass der Betrachter sich aufgrund seines Hintergrundes erarbeiten muss was das Bild zeigt. Wenn ihm zum Beispiel historische oder kulturelle Kenntnisse fehlen wird er ältere Bilder oder Bilder anderer Kulturen nur sehr oberflächlich deuten können. Die Frage ob Sie ihn berühren (Barthes `punctum´) bleibt hiervon glücklicherweise unberührt. Vorurteile und Stereotypen spielen hier allerdings eine umso größere Rolle.

Der Kreis schließt sich schließlich wenn man in Betracht zieht, dass die Kenntnis der Produktionsbedingungen und der dazu gehörigen Diskurse die Wahrnehmung und Interpretation eines Bildes auch noch mit beeinflussen. Wenn ich weiß wie Photoshop funktioniert werde ich an Gurskis `Wimmelbilder´ (z. B. seine Börsenbilder) diesen Aspekt würdigen können, während Jemand anders einfach nur staunend davor steht.

Above all, however, we want to deal with the second step of constructing meaning, what the observer does with the picture, and why. Basically, this is the attitude that Roland Barthes takes in his book ‘The Light Chamber’. Only that we are not the viewer here but look at the viewer. For this we need to know him and know in what context he gets to see the picture.

Context of presentation 

First and foremost, we need to know the place, the culture and the way in which the viewer gets to see the picture.

” Today we see the art of the past as no one has ever seen before. We actually perceive it differently, “says John Berger in 1972.

So we see contemporary photographs differently than historical ones. We also definitely see a picture differently when it appears in the weekend paper than when it’s in a gallery. Even the question in which journal the image is published influences our perception and interpretation. In a union newspaper, the image of a sweating worker is interpreted differently than in the daily newspaper or an art magazine. Studies (Mendelson & Papacharisi 2005) show that the viewer’s response differs according to whether the images are labeled as real or fictional.

Mendelson cites the example of stock agencies, where images are completely separated from their production conditions to make them fit for any use. As  a kind of symbolic placeholder, which should contain as few references to his concrete production conditions  as possible.

It is also crucial with which title, which explanation or which text the picture is presented (see also here and here ) and who has written the text, and the question with which other pictures together the picture in question is shown influences the Interpretation (see also here and here ) Last but not least, the color or black-and-white and the size of the picture influence the question of whether it is perceived as an art or as a document.

The observer 

But even if all this has been considered, it is not yet decided what meaning the picture will have for the concrete viewer. The question what the viewer sees in the picture, for its part, strongly depends on what kind of cognitive social and cultural background the viewer has. Barthes speaks of `studium’ which means that the observer has to work out what the picture shows with the help of his background. If he lacks, for example, historical or cultural knowledge, he will be able to interpret older images or images of other cultures only superficially. The question whether it touches you (Barthes `punctum’) remains fortunately untouched. Prejudices and stereotypes, however, play an even greater role here. The circle finally closes when one considers that the knowledge of the conditions of production and the associated discourses influence the perception and interpretation of a picture. If I know how Photoshop works, I’ll be able to appreciate this aspect of Gurski’s ‘crowded pictures’ (such as his stock market pics ) while someone else does just look at them marveling.

 
 

2 Comments

  1. JOHNDOE

    (Ich hoffe der Kommentar erscheint diesmal auch als Reply zum Kommentar von Harald S. und nicht wieder auf der obersten Ebene).
    Ich finde nicht, dass die Medien Internet-Plattform, Galerie, Fotoclub und Ausstellung die Botschaften
    selber sind. Diese Medien dienen als Botschafter, ändern aber am Bildinhalt nichts. Klar die unterschiedlichen “Botschafter” sprechen unterschiedliche Personengruppen an, aber macht ihr Eure
    Bilder für verschiedene Personengruppen? Ich mache mir bei meinen Aufnahmen ehrlich gesagt erst einmal keine Gedanken über die künftigen Betrachter. Ich gehe davon aus, dass Du Deine Projekte “Einfahrten” und “Tankstellen” auch für bestimmte Betrachter gestaltet hast. Könntest Du diese Gestaltungspunkte mal anhand Deiner Bilder aufzeigen. Mich würde interessieren, wie sich so eine Aufnahme für unterschiedliche Zielgruppen verändern würde.

  2. Harald S.

    Wieder ein Beitrag, der mir bei der Bildbeurteilung hilft, – auch der eigenen Bilder. Bilder veführen ja dazu, dass man sie nur nach dem Effekt beurteilt.Das führt in der Konsequenz eben zur heute so verbreiteten Effekthascherei. Und es macht schon einen gewaltigen Unterschied, wo Bilder gezeigt werden. Der Fotograf zeigt damit ja auch an, an wen er sich wendet und es ist entscheidend dafür wie die Bilder wahrgenommen werden. Es ist schon noch so, dass das Medium (die Internet-Plattform, die Galerie, der Fotoclub, die Ausstellung) die Botschaft selber ist.

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