Mein Vater hat, als er noch lebte, gern die Geschichte erzählt, dass er als „Goi“ in der Synagoge in Hermannstadt photographieren durfte. Die kam immer, wenn es darum ging, sich als Judenfreund darzustellen und war sicher auch damit verknüpft, dass er als Kind und Jugendlicher der Nazi-Propaganda ausgesetzt war und das eine oder andere davon auch hängengeblieben war.
Als ich dann in seinen Aufzeichnungen auf die Stelle stieß, wo er davon erzählt, wurde ich neugierig und fing an nach diesen Bildern zu suchen. Hier die Erwähnungen:
Am 11.09.64 wurde ich von meinem Arbeitskollegen Kleppner in die jüdische Synagoge gerufen, wo ich als Christ die Bilder bei einem Gottesdienst gemacht hatte. Einige von der Empore, dann wieder von unten und sogar die Thora durfte ich knipsen.
Und:
Am 14.10.64 sollte ich wieder in die jüdische Synagoge gehen, um Bilder zu machen, unsere jüdischen Kollegen bekamen die Pässe zur Ausreise. Diese Bilder von und in der Synagoge wollten sie als Erinnerung mit nach Israel mitnehmen.
Anhand eines Verzeichnisses, in dem mein Vater aufgeschrieben hatte, wann und auf welchem Film er was photographiert hat, konnte ich die Bilder aus der Synagoge finden. Sie sind technisch nicht besonders gut, da während des Gottesdienstes natürlich das Licht nicht so gut war. Diese Bilder habe ich auch auf meiner Reise nach Hermannstadt auf einem Tablet mitgenommen und mir fest vorgenommen, die Synagoge zu besuchen.
When he was still alive, my father liked to tell the story of how, as a ‘Goi,’ he was allowed to take photographs in the synagogue in Sibiu. He always told this story when he wanted to portray himself as a friend of the Jews, and it was certainly also linked to the fact that he had been exposed to Nazi propaganda as a child and teenager and that some of it had stuck with him.
When I came across the passage in his notes where he talks about this, I became curious and started looking for these pictures. Here are the references:
On 11 September 1964, my colleague Kleppner called me to the Jewish synagogue, where I, as a Christian, had taken pictures during a service. I was allowed to take some from the gallery, then again from below, and even of the Torah.
And:
On 14 October 1964, I was asked to go back to the Jewish synagogue to take pictures; our Jewish colleagues had received their passports to leave the country. They wanted to take these pictures of and in the synagogue with them to Israel as a souvenir.
Using a list my father had written down, noting when and on which film he had photographed what, I was able to find the pictures from the synagogue. They are not particularly good technically, as the lighting was not very good during the service, of course. I also took these pictures with me on my trip to Sibiu on a tablet and made a firm resolution to visit the synagogue.
Groß war die Enttäuschung als bei meinem ersten Versuch alles verschlossen war und auch so aussah als wäre da nichts mehr los. Wenn man bedenkt, dass es während und nach der Ceausescu-Zeit einen mindestens genauso großen Exodus bei den Juden wie bei den Siebenbürger Sachsen gab, wäre es auch nicht verwunderlich, wenn das Gemeindeleben kaum mehr stattfände. Mehr Infos zu der Geschichte der Synagoge und dem Schicksal der Juden in Hermannstadt gibt’s hier. Aber zum Glück habe ich es nochmal versucht. Hier mein Eintrag in mein Reisetagebuch:
„Heute habe ich es geschafft, in die Synagoge reinzukommen. An der Seitentür stand, man müsste sich im Hinterhof melden. Da wurde mir gesagt, dass eine der hinteren Seitentüren offen sei. Es waren zwei Juden mit Kippa in der Synagoge, wovon der eine wohl auch ein Besucher war. Ich durfte fotografieren und kam ins Gespräch mit demjenigen, der besser Bescheid wusste. Er erklärte mir, dass die Synagoge nach ungarischem Muster aufgebaut sein mit vier Säulen um die „Kanzlei“ in der Mitte, Vom Baustil her sei sie eher eklektisch und für eine mehrere Baustile unter anderem ist sie maurisch in der Ornamentik und die Kasten-Decke ist noch mal in einem anderen Stil gehalten, dessen Namen ich vergessen habe. Spannend ist auch, dass die Synagoge zu ihrer Einweihung 1899 schon mit elektrischem Strom versorgt war wenige Jahre nach der evangelischen Kirche und ganze fünf Jahre vor dem Bahnhof.”
I was very disappointed when, on my first attempt, everything was locked up, and it looked as if nothing was going on there anymore. Considering that during and after the Ceausescu era there was an exodus of Jews at least as large as that of the Transylvanian Saxons, it would not be surprising if community life had virtually ceased to exist. More information about the history of the synagogue and the fate of the Jews in Sibiu can be found here. But luckily, I tried again. Here is my entry in my travel diary:
“Today I managed to get into the synagogue. A sign on the side door said to report to the back courtyard. There I was told that one of the rear side doors was open. There were two Jews wearing kippahs in the synagogue, one of whom was probably also a visitor. I was allowed to take photographs and got into conversation with the one who knew more about the place. He explained to me that the synagogue was built according to the Hungarian model with four columns around the ‘chancellery’ in the middle. In terms of architectural style, it is rather eclectic and combines several styles, including Moorish ornamentation and a coffered ceiling in yet another style, the name of which I have forgotten. It is also interesting to note that when the synagogue was inaugurated in 1899, it was already supplied with electricity, just a few years after the Protestant church an five years prior to the train station.”
Traurig wurde es, nachdem ich nach dem alten jüdischen Friedhof gefragt habe. Würde sich nicht lohnen dort hinzugehen, das Gras sei ziemlich hoch und die angrenzende orthodoxe Kirche hätte einen Teil überbaut und bald würde da wohl ein Supermarkt stehen, wenn man sich nicht dagegen wehren würde. Ich war nachher dann doch noch dort und habe feststellen müssen, dass das hohe Gras durchaus auch als Sträucher und Bäume bezeichnet werden könnte. Kurz, der Friedhof ist vollständig überwuchert.
It became sad after I asked about the old Jewish cemetery. It wouldn’t be worth going there, the grass was quite high and the adjacent Orthodox church had built over part of it, and soon there would probably be a supermarket there if no one objected. I went there anyway afterwards and found that the tall grass could also be described as shrubs and trees. In short, the cemetery is completely overgrown.
Später waren wir noch auf dem „neuen“ jüdischen Friedhof. Der neue Friedhof wurde in den Zentralfriedhof integriert, nachdem der alte Friedhof um 1907 wegen Überfüllung zugemacht werden musste. Mein Vater erwähnt, dass er für die jüdischen Auswanderer auch Bilder auf diesem jüdischen Friedhof gemacht habe. Leider konnte ich davon nichts finden. Anscheinend hat er alles, was „Auftragsphotographie“ war, bei unserer Ausreise vernichtet.
Later, we visited the ‘new’ Jewish cemetery. The new cemetery was integrated into the Central Cemetery after the old cemetery had to be closed around 1907 due to overcrowding. My father mentions that he also took pictures at this Jewish cemetery for Jewish emigrants. Unfortunately, I couldn’t find any of them. Apparently, he destroyed all his ‘commissioned photography’ when we left the country.
Ich habe in der Synagoge versprochen, die Bilder, die mein Vater gemacht hat, zur Verfügung zu stellen. Das habe ich sofort auch gemacht und von Tiberiu Baruch, dem Vertreter der jüdischen Gemeinde, auch eine sehr nette Antwort bekommen. Er hat die zwei Herren auf den Bildern als Meier K. und Niklas K. identifiziert. Die Tochter eines der Beiden lebt wohl in Israel und hat ihm ein Handybild des abgegriffenen Erinnerungs-Bildes der beiden, wie sie vor der Türe der Synagoge stehen, geschickt gehabt. So wie es aussieht ist es genau das Bild, dass mein Vater damals gemacht hat. So kommen die Bilder wieder dahin zurück, wo sie genommen wurden und es ist klar, wer sie gemacht hat und wer darauf zu sehen ist. Der Arbeitskollege meines Vaters, der ihm Zugang zu Synagoge verschafft hat, war dann wohl Meier K.
I promised in the synagogue to make the photos my father took available. I did so immediately and received a very nice reply from Tiberiu Baruch, the representative of the Jewish community. He identified the two gentlemen in the photos as Meier K. and Niklas K. The daughter of one of the two men lives in Israel and sent him a mobile phone picture of the worn souvenir photo of the two men standing in front of the synagogue door. It looks like it is exactly the same picture that my father took back then. So the pictures are back where they were taken, and it is clear who took them and who is in them. My father’s colleague, who gave him access to the synagogue, was probably Meier K.
Translated with the help of DeepL.com
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Danke, dass du so tief in unsere familiäre Geschichte geschaut hast
Gerne, ich mache es ja nicht nur für mich, wie ich schon in meiner Antwort an Michael schon geschrieben habe.
Sondern letztlich für alle, die sich auch nur ein Stückweit dafür interessieren. Die Familie natürlich 🙂 zuallererst!
Tolle Geschichte. Und wieder ein Beweis dafür, dass es ein Band durch die Zeit gibt, das verbindet.
Ja, und mir ist auch bewußt, dass es ein absolutes Privileg ist, dass ich es mir leisten kann, diesen dünnen aus der Vergangenheit stammen den Fäden nachzugehen.
Eine berührende Reise durch die Zeit, für die ich dir danken möchte.
Es war mir ein tief empfundenes Bedürfnis, diese Geschichte zu teilen.
Ich bewundere deine Ausdauer und deine Beharrlichkeit, übrigens wie auch bei anderen Themen. Da werde ich fast ein bischen wehmütig, denn Themen hätte ich auch, mit meiner DDR-Kindheit und Familientrennung durch die Mauer.
Ein Antrieb, der nicht zu unterschätzen ist, ist, dass ich es nicht (nur) für mich tue, sondern auch für meine Kinder. Es ist, glaube ich, durchaus vorteilhaft, dir der intergenerationalen Einflüsse bewusst zu werden, die dein Handeln mitbestimmen. Ein Aufräumen in den Familienlügen der Vergangenheit ermöglicht auch einen klareren Blick in die Zukunft. Ein sich klar darüber werden, welche faschistoiden Sichtweisen die eigene Erziehung geprägt haben, ermöglicht es, mit etwas Glück, diese in der nächsten Generation zu vermeiden. Und natürlich mache ich es auch für die dreieinhalb Leser hier, die immer mal wieder reinschauen und ein paar Artikel (hoffentlich mit Gewinn) lesen.