Dass Medien auf den Menschen prägend wirken, ist ja spätestens seit McLuhan deutlich. Friedrich Kittler geht in seinem Buch „Optische Medien“ noch etliche Schritte weiter, wenn er behauptet, dass die Fotografie, und zwar die forensische (!), den Menschen als Individuum geschaffen habe. Die Bilder der Verbrecherkarteien erst machten die Menschen dem Staat gegenüber unterscheidbar. (Bis 1831 wurden Verbrecher gebrandmarkt.)
Seither hat das fotografische Portrait Beweiskraft, mehr als nur im amtlich-juristischen Sinn. Der Mensch als Individuum scheint jedoch ein sehr instabiles Gebilde zu sein, mit einer Tendenz hin zur Auflösung. Und so ist das Foto (und vielleicht mehr noch das Video) von sich selbst eine onthologische Rückversicherung der eigenen Existenz und Individualität.
Aber natürlich hat das Foto, vor allem das auf Papier fixierte, auch eine Beweiskraft für die Vergänglichkeit des Individuums. Zwar altert das Foto auch, aber langsamer als der Mensch. Das alte Foto zeigt immer das Bild eines jüngeren Menschen, der selbst inzwischen älter geworden oder vielleicht sogar gestorben ist.
Vor dieser Bedrohung der fotografischen Zeugenschaft unserer Vergänglichkeit schützt die Schnelllebigkeit der modernen sozialen Medien. In der Timeline sind immer nur die neuesten Fotos zu sehen. Die unbequemen Zeugen sind in Speichermedien eingeschlossen. Oder sie geistern ganz weit in den Tiefen der Timeline herum, dort, wo sich niemand mehr hinwagt.
Das Foto – ob digital oder analog – ist eine Veräußerung des Menschen. Und wie es Bildern eigen ist, entwickelt es ein Eigenleben, das vor allem beim digitalen Bild fast unkontrollierbar ist. Die Technik selbst tut ein Übriges hinzu. Weitwinkelobjektive, die üblicherweise in den Smartphones verbaut sind, verzerren. Vor allem die Nase wird zu groß dargestellt. Man weiß, Profilbilder, mit dem Handy aufgenommen, sehen nicht wirklich gut aus. Ein Chirurg aus Luzern erklärt auf seiner Facebook-Seite die optischen Zusammenhänge, weil er immer wieder Anfragen hat von potenziellen Patienten, die aufgrund von Handyfotos glauben, ihre Nase sei zu groß.
Die Zeitschrift „Bunte“ hat zu dem Thema einen Artikel veröffentlicht. Angesichts des Themas halte ich die Quelle für durchaus kompetent.
Diese Verwechslung von Abbild und Selbst lässt tief blicken. Die alte Frage, „Was ist der Mensch“ stellt wieder einmal ganz neu.
Und ich frage mich – nicht zum ersten Mal –, wie wohl das Weltbild aussieht, das ausschließlich aus der Perspektive des Smartphones aufgenommen wird.
It has been clear since McLuhan at the latest that media have a formative effect on people. Friedrich Kittler goes several steps further in his book “Optical Media” when he claims that photography, namely forensic (!) photography, has created man as an individual. It was the images of the criminal files that made people distinguishable for the state and his agencies. (Until 1831 criminals were branded – literally.)
Since then, the photographic portrait has had evidential value, more than just in the official legal sense. The human being as an individual seems to be a very unstable entity, with a tendency towards dissolution. And so, the photo (and perhaps even more so the video) of himself is an onthological reassurance of a person’s own existence and individuality.
But of course, the photo, especially the one fixed on paper, also has a conclusive force for the transience of the individual. It is true that the photo also ages, but more slowly than the human being. The old photo always shows the image of a younger person, who himself or herself has become older in the meantime or has perhaps even died.
The fast pace of modern social media protects us from this threat of the photographic testimony of our transitoriness. The timeline always shows only the latest photos. The uncomfortable witnesses are locked away in storage media. Or they haunt the depths of the Timeline, where no one dares to go.
A photograph – whether digital or analogue – is a representation of the person depicted. And as it is inherent in pictures, it develops a life of its own, which is almost uncontrollable, especially in the case of the digital picture. The technology itself adds something else. Wide-angle lenses, which usually are built into smartphones, distort. Especially the nose is displayed too large. You know, profile pictures, taken with a mobile phone, don’t look very good. A surgeon from Lucerne explains the optical correlations on his Facebook page, because he keeps getting inquiries from potential patients who believe their nose is too big based on cell phone photos.
The magazine “Bunte” has published an article on the subject. In view of the topic I consider the source to be quite competent.
This confusion of image and self gives a deep insight. The old question, “What is the human being” is once again posed in a completely new way. And I wonder – not for the first time – what the world view looks like, which is taken exclusively from the perspective of the smartphone.
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Thomas Pynchon hat ja schon erkannt, dass durch das Foto nicht nur Identität geschaffen wird, sondern auch welche: “Seid Ihr das denn, diese unbestimmt verbrecherische Fratze auf eurem Ausweis, deren Seele von der Regierungskamera geholt wurde, als die Guillotine des Verschluses fiel?”Gewissermaßen sind wir durch die Speicherbarkeit unseres Bildes alle potenzielle Verbrecher, schuldig, bis zum Beweis des Gegenteils (wenn wir Glück haben..). Die Videoüberwachung ist die Perfektion dieses Systems mit zeitgemäßen Mitteln.
Wie kommst Du auf Pynchon? Der Auftritt Thomas Pynchon, anonym unter einem Regenbogen aus bunten Raketenkondensstreifen durchschreitend, war erst für den übernächsten Post geplant 🙂
Vermutlich wird es überflüssig sich ein Weltbild zu bilden. Dies wird vorgefertigt frei Haus geliefert.Leicht verdaulich, glänzend und glatt. Der Preis, den wir dafür bezahlen müssen, würde ich gerne noch ein wenig ausmalen.
Der Aspekt, den Du mit der forensischen Photographie eingeführt hast, wird ja im 21ten Jahrhundert von der Videoüberwachung übernommen. Die Grundlage dafür ist die automatische Gesichtserkennung. Dem setzt sich Jeder aus, der auch nur kurz seine Höhle im Wald verläßt und sich in die Transitzonen begibt. Das betrifft heute ja auch nicht mehr nur die Verbrecher, sondern Jeden, der ein Gesicht sein eigen nennt.
Und Praktischerweise muss man ja auch nicht mehr zur erkennungsdienstlichen Behandlung auf der nächsten Wache gehen(oder gegangen werden). Man braucht dazu nur ein modernes Smartphone. Dem gibt man freiwillig sein Gesicht zu erkennen und liefert die Fingerabdrücke gleich mit dazu, damit die Identifizierung auch ja leicht vonstatten gehen kann. Und das Alles im Namen der Sicherheit. Was noch nicht so klar ist, sich aber in China schon recht deutlich abzeichnet, ist die Frage der Brandmarkung.