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Der Photomaler /The photo painter

“Oswald”, “Terese Andetzka” &“Sekretärin” (1964) in Hamburg, Deichtorhallen, 2019

Gerhard Richters Auseinandersetzung mit Pressefotos in den frühen 60er Jahren.

Wie mag er nur auf die Idee gekommen sein? So genau lässt sich das nicht sagen auf jeden Fall hat Richter c&a 1962 wahrscheinlich aus dem starken Bedürfnis raus wie so viele andere Künstler seiner Zeit (Joseph Beuys, Nam Jun Paik, Jackson Pollock, Roy Lichtenstein u.A.) dem traditionellen Kunstbegriff den Rücken zuzudrehen. Er fing an Bilder oder Bildausschnitte aus aktuellen Illustrierten Zeitungen (Stern, Quick, neue Illustrierte) als Ausgangsmaterial für seine Gemälde zu nehmen. Besonders interessant finde ich die anfängliche Auseinandersetzung mit den, das Bewusstsein dieser Zeit prägenden, Bild/Text-Medien, die dann ab 1965 darin mündeten, dass er `seinen Stil´ findet und fast nur noch mit dem Stilmittel der Unschärfe und später mit Übermalungen arbeitet.

Eine Zwischenstufe in seinem Aneignungsprozess war das sogenannte Album , in das er Alles herein klebte, was er aus den Zeitschriften ausgeschnitten hatte. Deutlich sieht man dies am „Wäscheständer“ von 1962, wo man genau sieht wie er den Text soweit mit ins Bild  aufnimmt als er auf den Zeitungsausschnitt noch zu sehen war. Das dargestellte wird aus dem Kontext geschnitten. Das setzt sich fort in dem Bild „Sargträger“ , wo auch im Bild Merkmale, die auf den Kontext hinweisen könnten (Reklametafeln an den Häusern im Hintergrund) übermalt wurden. Ein Vorbote der späteren Serien in denen er Fotos übermalt. Noch verwirrender wird es bei dem Bild „Tote“ auf dem aber nur ein Toter zu sehen ist. Im zugrundeliegenden Artikel war nämlich (wir verdanken es Dietmar Elger, der die zugrundeliegenden Zeitschriftseiten gesammelt hat, dass wir darüber reden können) von drei Toten bei einem Schiffsunglück die Rede.

Richter lässt nur sehr spärlich (und selektiv ?) Kontext-Anteile ins gemalte Bild. Er macht uns damit schmerzhaft darauf aufmerksam, wie sehr wir Bilder nach zusätzlichen Informationen absuchen und wie wir, falls wir sie im Bild nicht finden, auf die begleitenden Texte angewiesen sind, wenn wir ein Bild mit einem bestimmten Kontext verbinden wollen. Dass will aber die Kunst gar nicht. Die Kunst will dem zeitgenössischen Alltag das entreißen, was auch darüber hinaus Wert behält. Insofern ist Richter auch sehr stark Marcel Duchamp verpflichtet, der ja mit seinem umgedrehten Pissoir  gezeigt hat, dass das  mit trivialen Gegenständen funktioniert. Richter zeigt, dass es auch mit trivialen Bildern funktioniert. Mit dem Bild einer Sekretärin, dem Elbufer, vorbeirasen Autos, einem Liebespaar im Wald, einem Kronleuchter, Mordopfern, Prominenten, Kampfflugzeugen und so weiter. Richters Bild „Ema (Akt auf einer Treppe)“ wird oft als Anspielung auf Duchamp interpretiert auch wenn Richters Ema nur unscharf aber nicht dekonstruiert ist.

In dieser frühen experimentellen Phase hat Richter auch über das Verundeutlichen hinaus den Bildern sparsam Elemente hinzugefügt, die einen neuen Kontext andeuten aber nie ausmalen. Z.B. in dem Bild „Party“ Haut-Nähte und rote Farbe (Blut, Rotwein) um die Münder – ein Element das den Schrecken des Trivialen schrill überzeichnet oder in den „Sargträgern“ die Sprechblase des dabei Stehenden, die mit Zahlen gefüllt ist und das Bild etwas ins Comichafte verschiebt. Er treibt dieses Spiel sogar noch ein bisschen weiter indem er Kontextinformationen entweder einfach weglässt, wie bei dem Bild von Jacqueline Kennedy die anonym als die „Frau mit dem Schirm“  in Richters Bild auftaucht oder bei dem Bild namens „Portrait von Alfons Strawalski“, wo er den Namen abgeändert hat, der im ursprünglichen Zeitschriftenausschnitt zu sehen war.

Besonders eindrucksvoll finde ich dass das Bild „Motorboot“ von 1965, in dem er mit den Träumen der Illustrierten-Leser spielt. Richter hat aus dem sehr scharfen Foto das als eines von drei ausgedruckten quadratischen Photos Teil einer Anzeige für die Kodak INSTAMATIC bildete ein durch Unschärfe ins Versonnene deutendes Traumbild geschaffen, dass die Sehnsucht der damaligen Zeit nach Ferne, Geschwindigkeit, und Luxus nicht besser hätte treffen können, hätte Richter es sozusagen aus dem Kopf gemalt. Das zeigt sehr schön das ist nicht beliebig ist was für ein Foto als Ausgangsmaterial genommen wird. Es muss eben auch irgendwie in den Nerv treffen.

Technisch interessant ist, dass Richter den medialen Transfer vom Zeitschriftenausschnitt auf die Leinwand mit den gleichen basalen Techniken bewerkstelligt, die der Malerei seit der Renaissance für die Produktion zur Verfügung stehen. das Gitternetz und das Übertragen der einzelnen Quadrate auf die Leinwand und eine moderne Form der `laterna magica´, das Episkop, mit dem man, anders als beim Diaprojektor, auch nicht durchsichtige Vorlagen an die Wand bzw. auf die Leinwand projizieren kann. Er sagt an einer Stelle „ich male wie eine Kamera“ und „ich benutze die veränderte Art des Sehens die die Fotografie erschaffen hat“. Oder an anderer Stelle „ich versuche nicht eine Fotografie zu imitieren, ich versuche eine Fotografie zu machen“. (Rückübersetzung aus Dietmar Elger „Das gemalte Bild“ in einer englischen Ausgabe des Buches „Bilder eine Epoche“ , das auf eine Ausstellung im Bucerius Forum in Hamburg von 1911  zurückgeht und dem ich im Übrigen viele der hier verwendeten Details entnommen habe)

Live konnte ich viele der Bilder bei der Ausstellung `Baselitz, Richter, Polke, Kiefer´ bewundern, die im Herbst 2019 in Hamburg am Deichtor zu sehen war. Von dort stammen auch die Bilder in diesem Beitrag.

Gerhard Richters working with press photos in the early 60s.

How could he have come up with the idea? In any case, in 1962 Richter like so many other artists of his time (Joseph Beuys, Nam Jun Paik, Jackson Pollock, Roy Lichtenstein and others)  turned his back on the traditional concept of art probably out of a strong need. He started to use  picture cutouts from current illustrated magazines (Stern, Quick, Neue Illustrierte) as starting material for his paintings. I find the initial work particularly interesting  where he works with image/text media that shaped the consciousness of the time, which then, from 1965, led him to find ‘his style’ and where he worked almost exclusively with the stylistic device of blurring and later with overpainting.

An intermediate stage in his appropriation process was the so-called album  into which he pasted everything he cut out from the magazines. You can clearly see this on the “Laundry Drying Stand” from 1962, where you can see exactly how he copied the text as far as you can see it on the newspaper clipping. What is shown is cut from the context. This is continued in the picture “Pallbearer”  where also in the picture features which could refer to the context (billboards on the houses in the background) are painted over. A harbinger of the later series in which he paints over photos. It becomes even more confusing with the picture “Dead Bodies” on which only one dead person can be seen. In the underlying article (we owe it to Dietmar Elger, who collected the underlying newspaper pages, that we can talk about it) there was a headline of three dead people in a ship accident.

Richter only very sparsely (and selectively ?) allows contextual elements into the painted picture. He thus painfully draws our attention to how much we search pictures for additional information and, if we do not find it in the picture, we are dependent on the accompanying texts if we want to connect a picture with a certain context. But that is not what art wants at all. Art wants to wrest from contemporary everyday life that which retains value beyond that. In this respect Richter is also very much indebted to Marcel Duchamp, who has shown with his upside-down urinal that this  works with trivial objects. Richter shows that it also works with pictures. With a picture of a secretary, the banks of the Elbe, cars racing past, a pair of lovers in the forest, a chandelier, murder victims, celebrities, fighter planes and so on. Richter’s picture “Ema (nude on a staircase)”  is often interpreted as an allusion to Duchamp even though Richter’s ema is only blurred but not deconstructed.

In this early experimental phase, Richter beyond the blurring, added sparingly to the images,  elements that suggest a new context but never overpaint it. For example, in the picture “Party”, skin seams and red paint (blood, red wine) around the mouths – an element that shrilly exaggerates the horror of the trivial, or in the “Pallbearers”, the speech bubble of the person standing by, which is filled with numbers and shifts the picture somewhat into the comic-like. He takes this game even a little further by either simply leaving out contextual information, as in the picture of Jacqueline Kennedy who appears anonymously as the “Woman with the Umbrella”  in Richter’s picture, or in the picture called “Portrait of Alfons Strawalski” where he changed the name that appeared in the original magazine clipping.

I find the picture “Motorboat”  from 1965 particularly impressive, in which he plays with the dreams of the magazine readers. Richter has created a dream image from the very sharp photo that was one of three printed square photos that formed part of an advertisement for the Kodak INSTAMATIC. The blurred image points to a dream image that could not have been better suited to the longing of the time for the exotic, speed and luxury if Richter had painted it from memory. This shows very nicely that it is not arbitrary what kind of photo is taken as the starting material. It has to hit the nerve somehow.

It is technically interesting, that Richter achieves the media transfer from the magazine cut-out to the canvas with the same basic techniques that have been available to painters for reproduction since the Renaissance. The grid and the transfer of the individual squares to the canvas and a modern form of ‘laterna magica’, the episcope with which, unlike with the slide projector, one can also project non-transparent patterns an pictures onto the wall or canvas. He says at one point “I paint like a camera” and “I use the changed way of seeing that photography has created”. Or at another point he says “I am not trying to imitate a photograph, I am trying to make a photograph”. ( from Dietmar Elger’s “Das gemalte Bild” in an English edition of the book “Images of an Era” , which goes back to an exhibition at the Bucerius Forum in Hamburg in 1911 and from which I have taken many of the details used here)

I could admire many of these pictures at the exhibition ‘Baselitz, Richter, Polke, Kiefer’ which was held in autumn 2019  at the Deichtor Hallen in Hamburg. From there also the pictures in this post were taken.

Translated with the help of www.DeepL.com/Translator

“ Sekretärin”, „Terese Andetzka”,“Oswald” & Besucher (2019) in Hamburg

 

Baselitz, Richter, Polke, Kiefer #DIEJUNGENJAHREDERALTENMEISTER in Hamburg

4 Comments

  1. wanderlustig

    Danke für den sehr interessanten und gut recherchiert en Bericht. Diese Ausstellung hätte ich gerne gesehen. Ist aber, glaube ich, in Deutschland nicht mehr möglich.

    • Rolf Noe

      Ich hab mich auch noch mal umgeschaut und nichts gefunden wo diese frühe Phase noch ausgestellt wird.
      Ich empfehle das Buch, das, da die Ausstellung schon ein Weilchen her ist, gerade verramscht wird.

  2. Harald S.

    Recht herzlichen Dank für den Artikel. Vor allem hat er mich dazu gebracht, mich etwas in Richter einzulesen. Dabei fiel mir auf, wie oft er mir in seinen Bildern schon begegnet ist. Und offenbar sind seine Bilder stark, denn sie blieben mir im Gedächtnis, obwohl ich sie nicht zuordnen konnte. Das Thema Richter ist ja gewissermaßen die Fortsetzung Deines letzten Artikels, in dem es um Bild und Sehen geht und wie weit die Medien unser Sehen beeinflussen. Richter dreht die Schraube ja ganz energisch und entschlossen weiter, indem er sagt: “Wenn ich von einer Fotografie male, wird bewusstes Denken beseitigt (…) Die Fotografie ist das perfektes Bild. Es ändert sich nicht; es ist absolut und daher autonom, bedingungslos, ohne Stil. Sowohl in seiner Art zu informieren als auch in dem, worüber es informiert, ist es meine Quelle.” (Richter in seinen persönlichen Schriften von 1964/65)

    • Rolf Noe

      Ja, letztlich ist es in der Retrospektive eine genialer Schritt der transmedialen Reflexion.
      Richter hat sich diesen Schritt aber damals mühsam erarbeiten müssen weil es eigentlich noch keinen Weg gab
      wie Bilder der Alltagskultur in die `hohe´ KUnst überwechseln konnten. Allenfalls die Anfänge der Pop-Art in
      den USA, wo Comicbilder sich plötzlich an den Wanden der Gallerien wiederfanden.

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