“Wenn du paranoid bist, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht hinter dir her sind.”
Graffito 60er
Ich weiß nicht mehr genau, wo ich das Buch entdeckt habe, aber es hat sofort meine Aufmerksamkeit erregt, es ist ein eher unscheinbares Buch. Im simplen schwarz-weiß der 70er Jahre hat Andreas Selzer die Botschaften des Sendermanns dokumentiert. Es enthält ein einziges Foto vom Sendermann selbst. Man sieht ihn von hinten, wie er als Sandwichman (Plakat vorne und hinten) den Ku’damm entlangläuft. Auf dem Plakat steht „Geheimbündelei ich kann keine Anzeige erstatten Geheimbündelei“. Ähnlich unkonkret, aber gleichzeitig sensationsheischend seine Wandinschriften. Meist ihn ordentlichen Druckbuchstaben steht da z. B. an der westlichen Seite der Mauer “BULLEN MIT DEM SENDER AUS DEM HAUS SIE WERDEN KÖRPERLICH MIT SENDERN ANGEGRIFFEN ES HERRSCHT TERROR IN DEUTSCHLAND”, auf Plakaten in Schreibschrift “Abschirmdienst Sender Terror” oder “Sender Morde”. Das paranoide Menschen sich von Sendern angegriffen erleben, ist seit Freuds Buch über Daniel Paul Schreber allgemein bekannt und dass Psychotiker im Allgemeinen versuchen können, mit ihren abweichenden Wahrnehmungen klarzukommen, indem sie diesen Ausdruck verleihen hat die eindrucksvolle Sammlung von Hans Prinzhorn auch schon früh gezeigt.
Was beim Senderman spannend ist, ist, dass seine Visionen sich mit der Protestbewegung der späten 60er und frühen 70er Jahre vermengen. Er benutzt Schlagworte aus dem Studenten- und Protestjargon wie Bullen, Terror, Folterisolation. Er spricht sein Publikum mit „Bürger“ an und warnt vor CIA und SPD. Dadurch bekommen seine Aktivitäten etwas widerständiges und kämpferisches. Der Kampf gegen das System war damals eben in Mode. In seiner einzigartigen Verdrehung von Abhöraktion und Angriff mit Sendern haben die Botschaften des Sendermanns irgendwie auch etwas Prophetisches – zumindest aus unserer Sicht, die wir auf Schritt und Tritt verfolgt werden (sofern wir ein Smartphone in der Hosentasche haben) aber auch dauernd bombardiert werden mit Warnungen, Empfehlungen, Aufforderungen und Rückmeldung zu unseren Aktivitäten.
Ich habe Mitte der 80er Jahre meine Magisterarbeit über die sprachlichen Besonderheiten in den Äußerungen von schizophrenen Menschen gemacht. Eine der zentralen Aussagen war, dass in ihrem Denken die Grundregeln von Logik und Kausalität weitgehend außer Kraft gesetzt sind, sodass man recht abenteuerliche Schlüsse ziehen kann, wenn man so denkt. So erscheint mir auch der Sendermann, als jemand, der ungebunden von einschränkenden Regeln von Logik, Vernunft und „common sense“, seinen Empfindungen über die Lage der Nation Ausdruck geben konnte und es auch tatsächlich getan hat. Offenbar weiß niemand, was aus dem Menschen geworden ist, aber es ist natürlich nicht unwahrscheinlich, dass er irgendwo in der Psychiatrie gelandet ist und gäbe es nicht Andreas Seltzer der die Botschaften in den 70er Jahren umfassend dokumentiert hat, müsste man heute nichts mehr vom Sendermann.
“If you’re paranoid, it doesn’t mean they’re not after you.”
Graffito 60s
I can’t remember exactly where I discovered the book, but it immediately caught my attention, it’s a rather inconspicuous book. Andreas Selzer documented the Sendermann’s messages in the simple black and white of the 70s. It contains a single photo of the Sendermann himself. You can see him from behind, walking along the Kudamm as a sandwich man (poster front and back). The poster reads “Geheimbündelei ich kann keine Anzeige erstatten Geheimbündelei”. His wall inscriptions are similarly vague, but at the same time sensationalist. On the western side of the wall, for example, it sayed in neat block letters “BULLEN MIT DEM SENDER AUS DEM HAUS SIE WERDEN KÖRPERLICH MIT SENDERN ANGRIFFEN ES HERRSCHT TERROR IN DEUTSCHLAND”, on posters in cursive “Abschirmdienst Sender Terror” or “Sender Morde”. The fact that paranoid people experience themselves attacked by transmitters has been common knowledge since Freud’s book about Daniel Paul Schreber and that psychotics in general can try to come to terms with their deviant perceptions by expressing them was also shown early on by Hans Prinzhorn’s impressive collection.
What is exciting about Senderman is that his visions are intertwined with the protest movement of the late 60s and early 70s. He uses buzzwords from student and protest jargon such as cops, terror, torture isolation. He addresses his audience as “citizen” and warns against the CIA and SPD. This gives his activities something resistant and militant. Fighting against the system was fashionable at the time. In his unique twist of wiretapping and attacking with transmitters, the messages of the transmitter man somehow also have something prophetic about them – at least from our point of view, who are followed at every turn (if we have a smartphone in our pocket) but are also constantly bombarded with warnings, recommendations, requests and feedback on our activities.
In the mid-1980s, I wrote my master’s thesis on the linguistic peculiarities in the utterances of people with schizophrenia. One of the central statements was that the basic rules of logic and causality are largely suspended in their thinking, so that you can draw quite adventurous conclusions if you think like this. This is also how Sendermann appears to me, as someone who, unbound by the restrictive rules of logic, reason and common sense, could and did express his feelings about the state of the nation.
Obviously nobody knows what became of the man, but it is of course not unlikely that he ended up in a psychiatric ward somewhere and if it wasn’t for Andreas Setzer, who comprehensively documented the messages in the 1970s, we wouldn’t know anything more about Sendermann today.
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Nr. 350!
Kann man deine Arbeit über Schizophrenie irgendwo einsehen?
Müsste selbst nochmal gucken, ob ich die noch irgendwo habe 🙂
1985 ist lang her, seither bin ich knapp zehnmal umgezogen.