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Die unsichtbaren Dinge des Alltags – Invisible Things of Every Day Life

Unser Sehen ist ein komplexer Vorgang, hat mir Rolf kürzlich erklärt. Das Licht, das auf der Netzhaut auftrifft und dort die lichtempfindlichen Zellen anregt, ist noch lange kein Bild. Es geht als Signal durch den Sehnerv, wird dann in den Ganglien als eine Mischung aus Kontrasten und Farbwerten erkannt, dann zu den “seitlichen Kniehöckern” geleitet, die so eine Art Bildbearbeitung durchführen, um Kontraste anzuheben und die Kanten zu schärfen. Ach ja, zwischenzeitlich wird das „Bild“ auch noch um 180° gedreht, weil es zunächst gewissermaßen auf dem Kopf steht. Erst der visuelle Cortex – also unser Sehzentrum im Gehirn – beginnt dann damit, dieses aufbereitete Bild zu interpretieren und mit bereits abgespeicherten Informationen abzugleichen. So ähnlich jedenfalls habe ich das verstanden. Wer es ganz genau wissen will, kann auch einen entsprechenden Wikipedia-Artikel dazu lesen. Viel Spaß dabei.

Was ich meine ist, wir sehen viel mehr als wir wahrnehmen. Das meiste, was das Auge trifft, rutscht ungesehen durch, berührt nicht das Bewusstsein. Was wir nicht wissen, sehen wir in der Regel sowieso nicht. Unsere Aufnahmekapazität ist einfach ziemlich begrenzt. Es gibt ein lustiges Video, mit dem man das sehr gut feststellen kann.

Die Menschen sind bekanntlich verschieden, darum nehmen sie auch Unterschiedliches wahr. Da wir nicht mit den Augen unserer Mitmenschen sehen, sondern nur mit den eigenen, können wir bestenfalls ahnen, in welcher eigenen Welt unsere Mitmenschen leben.

Die Welt, in der wir alle gemeinsam leben, ist die vom Spätkapitalismus geformte Welt des frühen 21. Jahrhunderts. Und die macht was mit unserem Sehen. Unsere Aufmerksamkeit ist nämlich eine höchst begehrte und immens knappe Ressource. Wer es schafft, unsere Aufmerksamkeit zu bekommen, der hat Zugriff auf unsere Zeit, auf unsere Energie und in der Regel auch auf unser Geld. Da wir schon mit Werbung aufgewachsen sind, ist uns das ebenso vertraut wie es uns unbewusst ist. Das heißt, wir sehen in der Regel nicht das, was wir selber sehen wollen, sondern das, was andere wollen, dass wir sehen. Wir merken es bloß nicht und halten unsere unreflektierten Wünsche für unsere eigenen.

Und hier komme ich zur Fotografie. (Wird ja wohl auch allmählich Zeit!) Mit dem Fotoapparat kann man nämlich eine Gegenrealität schaffen zur Welt der allgegenwärtigen kommerziellen Manipulation. Man kann Dinge sehen und vor allem auch zeigen, wie sie nicht geplant sind gesehen und gezeigt zu werden. Es ist die Welt des stets übersehenen, nicht wahrgenommenen – letztlich die unsichtbare Welt des Alltags. Ich will die Welt des unsichtbaren Alltags nicht denunzieren oder verspotten, sondern neu entdecken. Für mich ist diese Welt voller Überraschungen und unerwarteter Schönheit. So habe ich für mich seit kurzem die Einkaufszentren meiner Stadt als Sujet entdeckt. Am liebsten nach Ladenschluss, an einem heiteren Sommerabend. Ich lade die Leser dieses Blogs herzlich zu einem „Bunten Abend“ ein

Our vision is a complex process, my friend Rolf explained to me the other day. The light that hits the retina and stimulates the light-sensitive cells is far from being a picture. It passes as a signal through the optic nerve, is then recognized in the ganglia as a mixture of contrasts and color values, then directed to the lateral knee bumps – a brain region, which performs a kind of image editing to raise contrasts and sharpen the edges. Oh yes, in the meantime, the “image” is also rotated by 180 °, because it is initially upside down, so to speak. Only the visual cortex – in other words our visual center in the brain – then begins to interpret this processed image and to compare it with previously stored information. That´s how I understood it, anyway. If you want to know exactly, you can also read a corresponding Wikipedia article. Have lots of fun with it.

What I mean is we see much more than we perceive. Most of what meets the eye slips past unseen, does not touch consciousness. As a rule, we do not see anything we do not know anyway. Our recording capacity is quite limited. There is a video that shows this in a rather funny way.

People are known to be different, so they also perceive different things. Since we do not see with the eyes of our fellow human beings, but only with our own, we can at best guess in which own world our fellow humans live.

The world in which we all live together is the late-capitalist-shaped world of the early 21st century. And that makes something with our seeing. Our attention is indeed a highly coveted and immensely scarce resource. Anyone who manages to get our attention has access to our time, to our energy and, as a rule, to our money. Since we have grown up with advertising, we are as familiar as we are unconscious about this manipulation. That is, we usually do not see what we want to see ourselves, but what others want us to see. We just do not notice it and hold our unreflected wishes to be our own.

And here I come to photography. (It’s about time, too!) With the camera, you can create a counter-reality to the world of ubiquitous commercial manipulation. You can see things and above all show them how they are not planned to be seen and shown. It is the world of the always overlooked, not perceived – ultimately the invisible world of everyday life. I do not want to denounce or ridicule the world of invisible everyday life, but rediscover it. For me, this world is full of surprises and unexpected beauty. So I have recently discovered the shopping centers of my city as a subject for me. Preferably after closing time, on a cheerful summer evening. I cordially invite the readers of this blog to a “colorful evening”.

1 Comment

  1. Rolf Noe

    Infolge dieses Artikels und der damit verbundenen Bilder habe ich mich daran erinnert, dass ich vor vier Jahren auf flickr eine Gruppe gebildet hab, die sich dem Sammeln solcher Bilder widmet. Ganz unterschiedliche Photographen kommen da zusammen. Gemeinsam ist ihnen die Faszinazion für das Unspektakuläre und eine feine Aufmerksamkeit auf die Komposition der Bilder. Es ist wert diese Art von Photographie zu pflegen, auch wenn Sie es nie schaffen wird große Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Mehr Bilder wie gesagt hier : https://www.flickr.com/groups/2896020@N20/

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