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Drei Schwestern / Three Sisters

Es braucht manchmal nicht viel, um mich auf eine Spur zu setzen. Eine Bekannte erwähnt, dass Sie in die Ausstellung gehen wollte, diese aber leider nicht geöffnet war. Ich lese einen Blogbeitrag von KuneOnline und schon sitze ich im Auto und bin auf dem Weg nach Nagold. Heute ist Dienstag. Die Ausstellung wird von 14 bis 17 Uhr geöffnet sein. Das Steinhaus, mitten in der Altstadt von Nagold, ein Fachwerkhaus mit verwinkelter Ausstellungsfläche auf drei Etagen. Hierzu passt es ganz gut. Auf jeder Ebene ist die Vita einer der drei Schwestern zu lesen und mindestens ein Bild von ihr zu sehen.

Im Erdgeschoss wir die Familie vorgestellt. Vater Wolff W. Loewenthal (1850-1894) war ein international angesehener Mediziner und Universitätsprofessor. Er wirkte an vielen Orten, was sich schon daran zeigt, wo seine Töchter geboren wurden, Agnes und Käthe in Berlin, Susanne in Paris. Es waren insgesamt fünf Töchter, von denen drei Künstlerinnen werden sollten.

Religiös war die Familie auch sehr divers aufgestellt, der Vater war jüdischer Herkunft, galt aber als Altkatholik und lies seine Töchter evangelisch taufen. Der Vater starb früh und überließ die Töchterschaar der Mutter Clara H. Loewenthal (1854-1929).

Käthe war die Älteste (geb. 1878, 1942 im Vernichtungslager Izbica ermordet). Sie heiratete nicht, pflegte aber eine bis ans Lebensende dauernde Freundschaft mit Erna Raabe, die sie vermutlich daran hinderte, rechtzeitig auszuwandern. Sie ist seit Kindheit an Zeichnung und Malerei interessiert und tritt nach verschieden Kursen 1909 in den `Württembergischen Malerinnen-Verein´ ein und beginnt eine Ausbildung in der Damen-Malschule bei Adolf Hölzel. 1922 gründet sie zusammen mit ihrer jüngsten Schwester den Hiddenseer Künstlerinnenbund. Ihr Geld verdient sie mit Portraitmalerei in ihrem Atelier in Stuttgart. Die Nazis stufen ihre Werke kurzerhand als entartet (weil z.T. expressiv) ein und erteilen 1934 Mal- und Ausstellungsverbot.

Sometimes it doesn’t take much to set me off on a tangent. A friend mentions that she wanted to go to the exhibition, but unfortunately it wasn’t open. I read a blog post from KuneOnline and I’m already in the car and on my way to Nagold. Today is Tuesday. The exhibition will be open from 2-5pm. The Steinhaus, in the centre of Nagold’s old town, is a half-timbered house with a winding exhibition space on three floors. It fits in quite well with this. On each floor, you can read the biography of one of the three sisters and see at least one picture of them.

The family is introduced on the ground floor. Father Wolff W. Loewenthal (1850-1894) was an internationally renowned physician and university professor. He worked in many places, as can be seen from where his daughters were born, Agnes and Käthe in Berlin, Susanne in Paris. There were five daughters in total, three of whom were to become artists.

The family was also very diverse in terms of religion; the father was of Jewish origin, but was considered an Old Catholic and had his daughters baptised Protestant. The father died early and left the daughters to their mother, Clara H. Loewenthal (1854-1929)

Käthe was the eldest (born in 1878, murdered in the Izbica extermination camp in 1942). She did not marry, but maintained a friendship with Erna Raabe that lasted until the end of her life. That probably prevented her from emigrating in time. She had been interested in drawing and painting since childhood and, after attending various courses, joined the `Württemberg Women-Painters Association´ in 1909 and began training at the Ladies’ Painting School under Adolf Hölzel. In 1922, together with her youngest sister, she founded the Hiddenseer Künstlerinnenbund. She earned her living by painting portraits in her studio in Stuttgart. The Nazis quickly categorised her works as degenerate (because some of them were expressive) and banned her from painting and exhibiting in 1934.

Einzig eine Mappe mit 250 Arbeiten überlebt den Krieg und wird von ihrer Schwester und einzigen Holocaust-Überlebenden Susanne Ritschler (1886-1975) aufbewahrt. Diese hatte an der Akademie des Künstlerinnen-Vereins in München studiert und von dem Ertrag ihrer Arbeiten ein Haus in Hiddensee erworben. In der Zeit ihrer Ehe (1915-1934) ist sie kaum künstlerisch tätig. Ihr Mann trennt sich von ihr, weil ihre jüdische Herkunft seiner Karriere im Weg steht. Sie überlebt, weil eine befreundete Familie sie auf einem Dorf auf der schwäbischen Alb versteckt. Ab den fünfziger Jahren wird sie wieder künstlerisch tätig, zeigt ihre Werke aber nicht in Ausstellungen.

Only one portfolio with 250 works survived the war and was kept by her sister and only Holocaust survivor Susanne Ritschler (1886-1975). She had studied at the `Akademie des Künstlerinnen-Vereins´ in Munich and bought a house in Hiddensee from the proceeds of her work. During her marriage (1915-1934), she was hardly active as an artist. Her husband separated from her because her Jewish background stood in the way of his career. She survived because a befriended family hid her in a village in the Swabian Alb. From the 1950s onwards, she became active as an artist again, but did not show her works in exhibitions.

Nun zu der dritten Schwester, die neben der Geschichte dieser Familie mich dazu bewogen hat mir die Ausstellung anzuschauen.

Agnes Schaefer (1882-1933) ist die dritte der fünf Töchter und die Mittlere der Drei, um die es in dieser Ausstellung geht. Sie heireatet 1905 den Bremer Kaufmann Walter Schaefer und lebt danach zwei Jahre auf Samoa. Nach der Geburt ihren Sohnes Wulf in Garmisch-Partenkirchen beginnt sie zu photographieren, aber erst nach der Scheidung  1918 beginnt sie eine Ausbildung zur Photographin an der Lette-Schule in Berlin.

Now to the third sister, who, in addition to the history of this family, made me want to see the exhibition.

Agnes Schaefer (1882-1933) is the third of the five daughters and the middle one of the three who are the subject of this exhibition. She married the Bremen merchant Walter Schaefer in 1905 and then lived in Samoa for two years. After the birth of her son Wulf in Garmisch-Partenkirchen, she began to take photographs, but it was only after her divorce in 1918 that she began training as a photographer at the Lette School  in Berlin.

 
 

Danach arbeitet sie im weiter im Atelier ihre Freundin Erna Lendvai-Dircksen und ab 1922 auch beim Portraitphotographen Edward Wasow in München. In den Portraits zeigt sich auch ihre wahre Stärke. Zu sehen sind Selbstportraits, Portraits ihrer Tochter aber auch von anderen Menschen. Bei zweien, die ich unten zeige, bin ich mir ziemlich sicher, dass es sich um den jungen Alexis Sorbas und um den indischen Dichter Rabindranath Tagore handelt.

Sie wandert 1923 nach Griechenland aus, um dort Geld zu verdienen und kommt im Oktober 1933 von einer Bergwanderung nicht zurück. Es gibt unbestätigte Vermutungen, dass sie sich selbst getötet hat, um ihren Kindern nicht mit ihrer jüdischen Herkunft zur Last zu fallen.

„Was bleibt?“ (so der Titel der Ausstellung) Vor allem die unangenehme Erkenntnis, dass autoritäre Regime die Freiheit der Kunst nicht nur in den großen öffentlichkeitswirksamen Künstlern fürchten, sondern sicherheitshalber auch in der Breite zu vernichten trachten. Dem gilt es entgegenzutreten.

She then continued to work in the studio of her friend Erna Lendvai-Dircksen and from 1922 also with portrait photographer Edward Wasow in Munich. The portraits also reveal her true strength. You can see self-portraits, portraits of her daughter but also of other people. I am pretty sure that two of the people I show below are the young Alexis Sorbas and the Indian poet Rabindranath Tagore.

She emigrates to Greece in 1923 to earn money and does not return from a mountain hike in October 1933. There are unconfirmed speculations that she killed herself so as not to burden her children with her Jewish origins.

‘What remains?’ (the title of the exhibition) Above all, the unpleasant realisation that authoritarian regimes fear the freedom of art not only in the great public artists, but also seek to destroy it across the board for safety’s sake. This must be countered.

4 Comments

  1. Rolf Noe

    Das mit Zorba ist natürlich ein Witz. Jeder weiß, dass es sich um eine verfilmte Romanfigur handelt. Das macht sie zwar lebendig, aber nicht zur Person. Aber mit Tagore lag ich anscheinend nicht ganz falsch. Hier die Antwort auf meine Rückfrage:
    Hallo Herr Noergaard,
    ich denke auch, dass es sich um Rabindranath Tagore handelt.
    Er wurde allerdings von Agnes Schaefer nicht in Deutschland, sondern in Griechenland fotografiert.

  2. Gerda

    Danke für die ausführliche Besprechung dieser berührenden Ausstellung. Zwei Fehlerchen haben sich eingeschlichen: 2022 und 2023 statt 1922 und 1923 sowie: Atelier in Stuttgart (?). Die Fotos zeigen München.

    • Rolf Noe

      Danke fürs aufmerksame Lesen. Die Jahreszahlen habe ich korrigiert. Die Geschichte mit Stuttgart und München kann ich nicht auflösen, da in der Vita nur von Stuttgart die Rede ist, bei den Photos aber von München. Die beiden jüngeren Schwestern haben eher in München gelebt und gearbeitet.

    • Rolf Noe

      Ich hab nochmal nachgefragt. Hier die Antwort:
      Doch, die Fotos zeigen Käthe Loewenthals Münchner Atelier. Bevor sie in Stuttgart an der Akademie studieren konnte, lebte und arbeite sie eine Zeitlang in München. Diese Information fiel Kürzungen im Bereichstext der Vita zum Opfer.

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