Menu Close

Fake Fassaden / Fake facades

„Heute wird das Schöne selbst geglättet, indem ihm jede Negativität, jede Form von Erschütterung und Verletzung genommen wird. Das Schöne erschöpft sich im Gefällt-mir.

Byung Chul Han „Die Errettung des Schönen“ S.Fischer 2013

Es ist ja nicht neu, dass Fassaden dazu benutzt werden, Menschen zu beeindrucken und ihnen Respekt vor Kirche und Obrigkeit einzuflößen. Was neu ist, fällt oft erst auf den zweiten Blick auf. Das sind Fassaden, die im Wesentlichen dazu da sind, den Blick davon abzulenken, dass dahinter eigentlich noch etwas anderes ist. Was Byung Chul Han die Glättung der Oberflächen nennt.

Ich spiele das mal am Beispiel des Humboldt-Forums (Stadtschlosses)  in Berlin durch, dass dieses Fassaden-Spiel beispielhaft zeigt. Darin, dass ein historisches Gebäude dergestalt rekonstruiert wird, dass man die alte Fassade historisch lässt, um dahinter den Gebäude-Kern neu aufzubauen. Es entsteht ein Neubau mit Altbau-Fassade. In Bezug auf meinen Artikel über die Simulation von Geschichte könnte man dabei schon fast sagen, dass es ehrlicher ist als eine komplette Wiederherstellung im pseudohistorischen Zustand. Der äußere Schein wird gewahrt und inneren Werte werden ausgetauscht und durch zeitgemäß nutzbare Räumlichkeiten ersetzt.

Irgendwie ehrlich finde ich auch die wideraufgebaute Neue Frankfurter Altstadt, wo die Fassaden zwar an ihre historischen Vorbilder angelehnt sind aber nicht zu verbergen versuchen, dass es Neubauten sind.

Was weniger ehrlich, mir aber in den letzten Jahren in größeren Städten öfter aufgefallen ist, ist dass bedruckte großflächige Planen benutzt werden, um die Blicke auf die Baustelle durch den Blick auf die zukünftige Fassade zu ersetzen. Es ist dem vorüber laufenden Publikum anscheinend nicht mehr zuzumuten, sich damit auseinanderzusetzen, dass hier etwas restauriert, rekonstruiert oder im alten Stil neu aufgebaut wird. Deswegen zeigt man einfach die zukünftige Fassade als Bild davor. Das ist inzwischen wahrscheinlich auch kein deutlich höherer Aufwand als damals, als Potjemkin nachgesagt wurde (https://de.wikipedia.org/wiki/Potemkinsches_Dorf)  propere Fassaden vor halbzerfallende Hütten gestellt zu haben, um seine Fürstin zu beeindrucken.

Auf dem Weg nach Berlin hatte ich Nürnberg eine lange Umstiegszeit, die der schnelle ICE dann wieder reinholen musste. Direkt neben dem Bahnhof stieß ich auf diese Fassaden:

“Today, beauty itself is smoothed out by removing any negativity, any form of shock and injury. The beauty  exhausts itself  in the `I Like it´.

Byung Chul Han “The Salvation of the Beautiful” 2013

It is not new that façades are used to impress people and instil respect for the church and authorities. What is new is often only noticed at second glance. These are facades that are essentially there to distract the eye from the fact that there is actually something else behind them. What Byung Chul Han calls the smoothing of surfaces.

I’ll play this out using the example of the Humboldt Forum (Stadtschloss) in Berlin, which exemplifies this façade game. A historical building is reconstructed in such a way that the old façade is left as it was in order to rebuild the core of the building behind it. The result is a new building with an old façade. With reference to my article on the simulation of history, one could almost say that this is more honest than a complete reconstruction in a pseudo-historical state. The outer appearance is preserved and inner values are exchanged and replaced by contemporary usable spaces.

I also find the rebuilt Neue Frankfurter Altstadt somehow honest, where the façades are based on their historical models but do not try to hide the fact that they are new buildings.

What is less honest, but I have noticed more often in recent years in larger cities, is that printed large-area tarpaulins are used to replace the view of the building site with the view of the future façade. Apparently, the passing public can no longer be expected to deal with the fact that something is being restored, reconstructed or rebuilt in the old style. That’s why they simply show the future façade as a picture in front of it. In the meantime, this is probably not a significantly greater effort than it was when Potjemkin was said  to have placed clean façades in front of half-ruined huts in order to impress his princess.

On the way to Berlin, I had a long change of trains in Nuremberg, which the fast ICE then had to make up for. I came across these facades right next to the station:

In Berlin dann, auch in Bahnhofsnähe, dieses bunte Versteckspiel. Hier werden Architekturelemente bemüht um den Blick zu verstellen. Ob das was hinter der Fassade entsteht so aussehen wird werden wir erst sehen, wenn die Fassade entfernt wird:

Then in Berlin, also near the station, this colourful game of hide-and-seek. Architectural elements are used here to obscure the view. We will only see if what emerges behind the façade will look like this when the façade is removed:

Auch hinter Ziegelrot kann man verbergen was da renoviert, und gleichzeitig andeuten, wie Sie mal aussehen wird die Schinkelsche Bauakademie . Die Baustelle versteckt sich während des Umbaus hinter gefakten Fassaden:

Brick red can also hide what is being renovated and at the same time hint at what it will look like when it is finished – the Schinkel Building Academy. The building site hides behind fake façades during the renovation:

Auf einer anderen Reise (ach, wann fahrn wir wieder irgendwo hin?) mitten in Düsseldorf diese prächtige Verhüllung. Wenn man unaufmerksam durch die Stadt eilt, könnte man glatt übersehen, wie man hier getäuscht wird.

On another trip (oh, when are we going somewhere again?) in the middle of Düsseldorf this magnificent covering. If you hurry through the city inattentively, you could easily miss how you are being deceived here.

Und zum Abschluss nochmal Berlin:

And finally, Berlin again:

3 Comments

  1. kopfundgestalt

    Beredte Beispiele. Sehr schön.
    Man wird an den Trompe-l’œil erinnert, der in der Renaiisance so en vogue war.
    Die heutige Stossrichtung wird eine andere sein als etwas vorzutäuschen. Meist scheint ja mehr eine Irritation iangestrebt worden zu sein.

    • Rolf Noe

      ja, möglicherweise hab ich zu viele Aspekte versucht reinzupacken und andere wiederum übersehen. Das Titelbild ist tatsächlich ein klassisches `Trompe-l´oeil´- da geht es nur darum eine öde Ecke günstig optisch aufzuwerten. Die neueren Beispiele sind wohl komplexer da spielt Werben, Irritieren (um Aufmerksamkeit zu generieren), Verstecken und Prahlen eine Rolle. Und wie erwähnt der Blick auf einen, nur wenige Budgeterweiterungsstufen entfernten, Endzustand.

      • kopfundgestalt

        Diess sogennnaten Endzustände, mit denen man immer noch Bauvorhaben grösserer Ordnung bewirbt, etwa freie grosse Plätze, mit viel Menschen, die wirken heutzutage unfreiwillig grotesk.

Leave a Comment / Schreib einen Kommentar

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.