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Frida Orupabo

Manchmal setze ich mich Anblicken aus, denen ich eigentlich nicht gewachsen bin. Ich zwinge mich förmlich dazu, mich damit auseinanderzusetzen. Nur um danach verwirrt und betroffen aus dem Sprengel-Museum zu taumeln. Ein Spaziergang am Ufer des Maschsees hilft dann und die Aussicht darauf, ein paar Kilometer weiter nördlich in die überschaubarere Welt meines Enkels einzutauchen.

Ich spreche von der Ausstellung von Frida Orupabo, die das Sprengel Museum  anlässlich des ihr verliehenen Spectrum Fotografiepreises der Stiftung Niedersachsen organisiert hat. Zu sehen sind erstmal gar keine Photographien, sondern flache, zum Teil reliefartige oder gar dreidimensionale Objekte, die viel Raum brauchen, um sich zu entfalten. Oft erinnern sie an Gliederpuppen, grob an den Gelenken zusammengehaltenen Versatzstücke von Körperteilen. Und hier kommt die Photographie ins Spiel. Diese Körperteile sind photographischem Archivmaterial entnommen, das Zeugnis ablegt für die gewalttätigen Schatten, die der Wohlstand Europas in den letzten paar Jahrhunderten in der Welt hinterlassen hat und noch hinterlässt. Dieses Thema, das an Universitäten diskutiert und auf der Straße totgeschwiegen wird – unser koloniales Erbe.

Sometimes I expose myself to sights that I am not really up to. I literally force myself to confront them. Only to stagger out of the Sprengel Museum afterwards, confused and affected. A walk along the banks of the Maschsee then helps, and the prospect of immersing myself in the more manageable world of my grandson a few kilometres further north.

I’m talking about the exhibition by Frida Orupabo, which the Sprengel Museum has organized on the occasion of the Spectrum Photography Prize awarded to her by the Lower Saxony Foundation. For the time being, there are no photographs on display, but flat, sometimes relief-like or even three-dimensional objects that need a lot of space to unfold. They are often reminiscent of mannequins, set pieces of body parts roughly held together at the joints. And this is where photography comes into play. These body parts are taken from photographic archive material that bears witness to the violent shadows that Europe’s prosperity has left and continues to leave in the world over the last few centuries. This is a subject that is discussed in universities and hushed up on the street – our colonial heritage.

Was für mich besonders beschäftigt hat und den Gang durch die Ausstellung zu alles anderem als einem Vergnügen gemacht hat, ist die Kombination von Gewalt gegen Frauen und gegen farbige Menschen, die in den fragmentierten und mühsam wieder zusammengesetzten Körperteilen sich zeigt. In den Bildern der schwarzen Frauen deren Köpfe auf Körpern ruhen die Assoziationen zu sexualisierter Gewalt geradezu aufdrängen. Ich habe ja schon mal über den Kolonialismus und seine Bilder geschrieben. Aber das war aus der Sicht des Historikers, des distanzierten Wissenschaftlers.  Hier in der Ausstellung hingegen entkommt man den Gefühlen von Betroffenheit und Scham nicht. Sie springen einen förmlich von der Wand her an. Für mich ein Zeichen, dass Kunst nicht schön sein muss, um wirkmächtig zu sein.

Ich habe schon mal eine Ausstellung mit Bildern/Objekten von Frida Orupabo gesehen, und zwar 2022 in Arles. Ich meine es war auf dem LUMA-Gelände im Rahmen der Ausstellung über die feministische Avantgarde. Aber damals habe ich das Unbehagen weggesteckt die Irritation vergessen und mich weiter mit anderen Photo-Themen beschäftigt. Das ist letztlich auch unsere Grundtendenz bei diesem Thema. Wir verdrängen die Tatsache, dass unser ganzer Wohlstand auf unsäglichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit beruht, wir beschönigen die Tatsachen dass die Ausbeutung der Bodenschätze und der Arbeitskraft von Nicht-Europäern die Grundlage der erstaunlichen Entwicklung unseres Wirtschaftssystems ist und wir vermeiden es uns wirklich damit auseinander zu setzen indem wir mehr oder weniger fundierte Schuld-vermutungen hegen wer oder was dafür verantwortlich war und ist, dass wir es nicht schaffen uns allen Menschen gegenüber menschlich zu verhalten.

What particularly concerned me and made the walk through the exhibition anything but a pleasure was the combination of violence against women and against people of colour, which can be seen in the fragmented and painstakingly reassembled body parts. In the pictures of the black women whose heads rest on bodies that almost force associations with sexualized violence. I have written about colonialism and its images before. But that was from the point of view of the historian, the distanced scientist. Here in the exhibition, on the other hand, you can’t escape the feelings of dismay and shame. They literally jump out at you from the wall. For me, this is a sign that art doesn’t have to be beautiful to be powerful.

I’ve seen an exhibition of paintings/objects by Frida Orupabo before, in Arles in 2022. I think it was on the LUMA grounds as part of the exhibition on the feminist avant-garde. But back then I put away the discomfort, forgot the irritation and continued to work on other photographic themes. Ultimately, that is also our basic tendency with this topic. We suppress the fact that our entire prosperity is based on unspeakable crimes against humanity, we gloss over the facts that the exploitation of natural resources and the labour of non-Europeans is the basis of the astonishing development of our economic system and we avoid really dealing with it by harbouring more or less well-founded assumptions of guilt about who or what was and is responsible for the fact that we do not manage to behave humanely towards all people.

Beim Betrachten der Handy-Bilder aus Arles (s.o.) wird mir noch klarer, warum die Ausstellung in Hannover mich viel mehr emotional erreicht, hat als die in Arles. In Arles waren die meisten „Bilder“ von Orupabo gerahmt. Auch eine Strategie, um sich der Unmittelbarkeit zu entziehen. Rahmen schaffen Abstand sie Objektivieren in dem Sinne, dass Sie das Gerahmte zum Objekt der (distanzierten) Betrachtung machen. In Hannover waren die größeren Bilder und Objekte direkt an den Wänden befestigt oder in unauffälligen weißen Rahmen präsentiert und haben so direkt gewirkt. Das macht es viel schwerer, sich ihnen zu entziehen.

Die Auseinandersetzung mit dem Thema Kolonialismus und seinen Folgen kann nur schmerzhaft sein, wenn man sich damit beschäftigt. Ich merke das daran, wie schwer es mir fällt das Buch „Decolonizing the Camera“ von Mark Sealy fertig zu lesen und wie viel Überwindung es mich gekostet hat das Buch „Hospicing Modernity“ von Vanessa Machado de Oliveira zu lesen, geschweige denn die darin enthaltenen Introspektion-Übungen zu machen. Ich empfehle es aber all denjenigen herzlich, die gut englische Texte lesen können und die sich ernsthaft mit ihrem Anteil an diesem Erbe und an der versauten Zukunft, die es uns beschert hat, auseinandersetzen wollen. Denn man muss das schon wollen und den Mut haben, sich aus der Komfort-Zone nicht nur ein bisschen herauszuwagen.

Looking at the cell phone pictures from Arles (see above), it becomes even clearer to me why the exhibition in Hanover reached me much more emotionally than the one in Arles. In Arles, most of Orupabos “pictures” were framed. This is also a strategy to evade immediacy. Frames create distance, they objectify in the sense that they turn the framed object into an object of (distanced) contemplation. In Hanover, the larger pictures and objects were mounted directly on the walls or presented in inconspicuous white frames and thus had a direct effect. This makes it much more difficult to avoid them.
Dealing with the subject of colonialism and its consequences can only be painful if you are preoccupied with it. I can see this in how difficult it is for me to finish reading the book “Decolonizing the Camera” by Mark Sealy and how much effort it took me to read the book “Hospicing Modernity” by Vanessa Machado de Oliveira, let alone do the introspection exercises it contains. However, I warmly recommend it to all those who can read English texts well and who want to take a serious look at their part in this legacy and the messed-up future it has brought us. Because you have to want to do that and have the courage to venture out of your comfort zone more than just a little.

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