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Geschichte wird gemacht / History is manmade

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Warum gehe ich eigentlich nicht mehr auf Mittelaltermärkte, seit die Kinder groß sind? Vielleicht aus dem gleichen Grund, warum Weihnachtsmann und Osterhase ihren Zauber verlieren, wenn man niemanden mehr damit bezaubern kann. Aber wir wollen bezaubert werden. Ich habe einige Jahre am Fuße der Hohenzollern-Burg in Hechingen gelebt und obwohl ich weiß, dass sie eine von den Fürsten im 19 Jahrhundert erbaute Spielzeugburg ist, kann ich schwören, dass ich noch nie eine andere gesehen habe, die mittelalterlicher wirkte als diese. Valentin Groebner vertritt in seinem Buch „RETROLAND- Geschichtstourismus und die Sehnsucht nach dem Authentischen” die These, dass gerade weil es eigentlich keine wirklichen Überreste des Mittelalters oder noch früherer Zeiten (der Vergangenheit)  gibt, diese schon früh aber spätestens seit dem 19. Jahrhundert systematisch rekonstruiert, wieder aufgebaut oder ganz frech einfach neu, größer schöner und vor allem noch mittelalterlicher aufgebaut worden um unsere Vorstellung dieser mythischen Epoche unserer Vergangenheit (der Geschichte) zu entsprechen… Er geht sogar so weit, zu behaupten, dass es nicht Authentizität ist, die bei diesen Inszenierungen gesucht wird, sondern eine möglichst genaue Übereinstimmung mit unseren Vorstellungen davon, was für diese Zeit authentisch sei.  

Das krasseste Beispiel von Simulation, dass ich selbst auf meinen Reisen gesehen habe, ist die Altstadt von Warschau. Die steht da, wie eh und je, und war doch 1945 flach wie die Pampa, zerbombt verbrannt in Schutt und Asche. Es stört das ästhetische Empfinden und den Erlebnisdurst nicht im Geringsten, dass alles Simulation ist. Im Gegenteil, man packt den Photoapparat aus und hält dieses wunderbare Szenario fest, für die Erinnerung. Was ursprünglich fürs Auge gedacht war, ist inzwischen immer auch für die Kamera optimiert womöglich mit markierten Punkten, von wo aus, die Sicht am besten ist.

Groebner zeigt an der hölzernen Kapellbrücke in Luzern, dass die historischen Bauten eigentlich keine Monumente sind, sondern kontinuierliche Inszenierungen für Auge und Kamera. Die Brücke muss alle paar Jahrzehnte fast komplett erneuert werden. Sie schminkt sich sozusagen laufend neu und putzt sich raus für die Augen und Objektive der Besucher. Um diese Geschichten für die Menschen zugänglich (und damit zu Geschichte) zu machen müssen sie immer wieder und möglichst immer wieder in der gleichen Form Re-inszeniert werden. Das nennt sich dann Tradition und soll identitätsstiftend sein. Es ist dabei völlig unerheblich, ob für die historischen Ereignisse, auf die dabei Bezug genommen wird echt Belege vorliegen oder nicht. Notfalls werden diese plötzlich gefunden. Das hat die Kirche schon sehr früh vorgemacht mit den Reliquien, die immer mal wieder epidemisch `gefunden´ werden und dann stolz in, schon vor dem Fund, eigens dafür gebauten Kapellen und Kirchen präsentiert wurden.

Immer wieder zu bestimmten Gedenkstätten und Ritualen zurückkehren zu können scheint für die Menschen ein hohes Maß an Sicherheit zu generieren. Genutzt wird dieses Bedürfnis neben den Kirchen natürlich auch vom Militär, von `nationalen´ Bewegungen und natürlich auch von der Tourismus-Industrie. Letztlich hat jede Ideologie in dieser Hinsicht ihre eigene Folklore. Dass man diese Ereignisse und Monumente, die für `unsere´ glorreicher Geschichte Zeugnis ablegen sollen auch noch photographieren kann, ermöglicht eine fast unbegrenzte Verbreitung dieser, letztlich auch immer etwas verlogenen Erzählungen, die uns so lieb und teuer sind.

Why have I stopped going to medieval markets since the children grew up? Perhaps for the same reason that Father Christmas and the Easter Bunny lose their magic when you can no longer charm anyone with them. But we want to be charmed. I lived at the foot of the Hohenzollern castle in Hechingen for a few years and although I know it is a toy castle built by the princes in the 19th century, I can swear that I have never seen another that looked more medieval than this one. In his book RETROLAND – Geschichtstourismus und die Sehnsucht nach dem Authentischen (Historical Tourism and the Longing for the Authentic), Valentin Groebner argues that precisely because there are no real remains of the Middle Ages or even earlier times (the past), they were systematically reconstructed, rebuilt or, quite impudently, simply rebuilt in a new, larger, more beautiful and, above all, even more medieval way early on, but at the latest since the 19th century, in order to correspond to our idea of this mythical epoch of our past (the history). He even goes so far as to claim that it is not authenticity that is sought in these productions, but as close a match as possible to our notions of what is authentic for the period. 

The most blatant example of simulation that I have seen myself on my travels is the old town of Warsaw. It stands there, as it always has, and yet in 1945 it was flat as the pampas, bombed and burnt to rubble. The fact that everything is a simulation does not disturb one’s aesthetic sensibility and thirst for experience in the slightest. On the contrary, one takes out the camera and captures this wonderful scenario for the memory. What was originally intended for the eye is now also optimised for the camera, possibly with marked points from where the view is best.

Groebner uses the wooden Chapel Bridge in Lucerne to show that the historical buildings are not really monuments, but continuous stagings for the eye and the camera. The bridge has to be almost completely renewed every few decades. It constantly puts on new make-up, so to speak, and spruces itself up for the eyes and lenses of visitors. In order to make these stories accessible to people (and thus make them history), they have to be restaged again and again in the same form. This is called tradition and is supposed to create identity. It is completely irrelevant whether there is real evidence for the historical events referred to or not. If necessary, they are suddenly found. The Church set an example very early on with the relics that were ‘found’ epidemically from time to time and then proudly presented in chapels and churches built especially for this purpose even before they were found.

Being able to return again and again to certain memorials and rituals seems to generate a high degree of security for people. Apart from the churches, this need is of course also exploited by the military, by ‘national’ movements and of course by the tourism industry. Ultimately, every ideology has its own folklore in this respect. The fact that these events and monuments, which are supposed to bear witness to ‘our’ glorious history, can also be photographed, enables an almost unlimited dissemination of these narratives, which in the end are also always somewhat mendacious, and also so dear to us.

Translated with the help of www.DeepL.com/Translator

Gepflegt so zu tun, als würde man sich gegenseitig die Köpfe einschlagen – ein Freizeitvergnügen. / Pretending to bash each other’s heads in – a leisure activity.

4 Comments

  1. Klaus

    Die Innenstadt von Warschau wurde z.T. auch anhand von Gemälden rekonstruiert und man hat die Straßen breiter angelegt. Also eine realistischer wirkende Disney-Version, die aber gerade dadurch künstlich wirkt. Und der Hohenzollernneubau des ehemaligen Kartätschenprinzen, der Berlin bombardieren lassen wollte sollte auch der Stachel im Fleisch aller Demokraten sein. Deshalb sollte sie protzig das Mittelalter geschönt zitieren aber nicht altertümlich wirken. Aber sieht gut aus!
    “Er geht sogar so weit, zu behaupten, dass es nicht Authentizität ist, die bei diesen Inszenierungen gesucht wird, sondern eine möglichst genaue Übereinstimmung mit unseren Vorstellungen davon, was für diese Zeit authentisch sei.” Die Inszenierungen prägen unsere Vorstellungen, sie stellen die Bilder zur Verfügung und wir bringen unsere Vorstellungen in Übereinstimmung mit ihnen.
    Inzwischen zur Perfektion entwickelt: Die Seinsform der Massenmedien erzeugt die pasenden Denkformen. 😉

  2. Andreas

    Marmeladenglas, Schlauch im Hintergrund, Papier- oder Plastiktüte, Bananen und klar, das Stimmgerät.

    • Rolf Noe

      Hundert Punkte! Du hast einen Eintritt auf einem Mittelaltermarkt deiner Wahl gewonnen (sofern überhaupt je wieder Welche stattfinden). Und, meine Rechnung ist aufgegangen. Ich hatte nämlich nur vier Auffälligkeiten entdeckt. Aber ich war mir sicher, das es unter den genauen Beobachtern untern den Lesern jemanden gibt, der Fünf findet.

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