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Heimatlosigkeit der Bilder / Homeless pictures

Auf einem 2002/3 von Herbert Burda veranstalteten Vorlesungsreihe über den`iconic turn´(Ikonische Wende) hat Peter Weibel einen sehr interessanten und gut verständlichen Vortrag über die Geschichte und Wandlung der Bilder gehalten  (https://www.youtube.com/watch?v=5lIpNADoqYM Ab ca. 45. min).

Es ist gar nicht so lange her, dass die Bilder eine Heimat hatten, einen Ort den Sie nicht verlassen konnten. Eine  Höhlenwand, eine Kirchenmauer oder eine Museumswand. Erst die Technologie hat sie `befreit´. Buchdruck und dann der Einzelblattdruck brachten Bilder in jedes Haus. Schnell wurden Almanache und Illustrierte daraus. Bilder wurden transportabel. Die Entwicklung der Transportmöglichkeiten im Rahmen der industriellen Revolution über Eisenbahn bis hin zum Flugzeug vervielfältigten diese Möglichkeiten noch weiter.  Auch die Welt wurde beim Blick aus dem Zugfenster zum sich bewegenden Bild. Das Kino brachte die bewegten Bilder. Aber erst die Möglichkeit des `scannens´ und zeilenwiese Übertragens von Bilder (Fernsehen etc.) ermöglichte es den Bilder körperlos auf die Reise zu gehen.  Mit der Digitalisierung erlebte die Mobilität der Bilder vollends eine explosive Entwicklung.

Was dabei verloren ging ist die Ortsbindung. Die Bilder wurden heimatlos. Und damit allgegenwärtig und wohl auch allmächtig. Es ist zwar theoretisch möglich die Augen zu verschließen und oder die Medien abzuschalten aber praktisch kann man heute noch nicht mal mehr zum Arzt oder in die Kneipe gehen ohne dass im Wartezimmer eine Fernseher läuft, der die weniger aufdringlichen Illustrierten oder die im Zeitungshalter  fixierten Tageszeitungen ersetzt.

Die Bilder still oder bewegt verfolgen uns in alle Bereich unseres Lebens  und Sie werden zusehends flüchtiger und redundanter. Sie Verschwinden schnell wieder und werden durch Neue ersetzt. In den Streams ist es so, dass ich oft scheitere, wenn ich ein Bild wiederfinden will das ich mal im vorüberscrollen wahrgenommen habe und dann wiedersehen will.

Bewegt oder unbewegt bewegen uns Bilder. Sie wirken anders als Texte direkt auf unsere Emotionen. Die Werbung zeigt drastisch, wie man unter Umgehung des kritischen Verstandes Menschen zum Kauf bewegen kann.  Und auch die Werbung wartet nicht mehr an der Straßenecke sondern sucht uns inzwischen auf, um nicht zu sagen heim.

Uns interessiert dieses Szenario ja hauptsächlich aus der Perspektive der Mitproduzenten dieser Flut heimatloser Bilder. Was können wir tun, um wenigstens Teile unserer Produktion zu verorten? Da gibt es zum einen den Weg zurück auch wenn das vielleicht nur eine Illusion ist.  Ausdrucken, Bücher machen, Ausstellungen veranstalten und Bilder im öffentlichen Raum präsentieren. Selbst eine gut sortierte Homepage, auf der die Bilder wiederauffindbar sind wirkt heimeliger als der unablässige Strom der Bilderportale allen voran INSTAGRAM das gigantische Bildergrab. Zum zweiten der Weg nach vorn. Wo gibt es im digitalen Zeitalter  Möglichkeiten Bilder zu verorten, Sie tatsächlich als Informationsträger einzusetzen? Welche Bilder, welche Bilderkombinationen und welche Verbindungen von Bildern mit Text machen unsere Bilder wieder `informativ´?

Vilém Flusser schreibt in seiner Schrift „Für eine Philosophie der Fotografie“ (1983)

„…und tatsächlich sind einige Antworten hörbar geworden: Erstens, man kann den Apparat in seiner Sturheit überlisten. Zweitens, man kann in sein Programm menschliche Absichten hineinschmuggeln, die nicht in ihm vorgesehen sind. Drittens, man kann den Apparat zwingen, Unvorhergesehenes, Unwahrscheinliches, Informatives zu erzeugen. Viertens, man kann den Apparat und seine Erzeugnisse verachten und das Interesse vom Ding überhaupt abwenden, um es auf Information zu konzentrieren. Kurz: Freiheit ist die Strategie, Zufall und Notwendigkeit der menschlichen Absicht zu unterwerfen. Freiheit  ist gegen den Apparat zu spielen.“

At a series of lectures on the `iconic turn´ organized by Herbert Burda in 2002/3, Peter Weibel gave a very interesting and well-understood lecture on the history and transformation of images (https://www.youtube.com/watch?v=5lIpNADoqYM Starting with min 45).

It is not that long ago that the pictures had a home, a place you could not leave. A cave wall, a church wall or a museum wall. Only the technology has ‘freed’ them. Letterpress and then the single sheet printing brought pictures into every house. Almanacs and magazines soon evolved out of it. Pictures became portable. The development of transport options in the context of the industrial revolution from railway up to the aircraft further multiplied these possibilities. The world also became a moving picture when looking out of the train window. The cinema brought the moving pictures into the houses. But only the possibility of ‘scanning’ and line-wise transmission of images (television, etc.) enabled the images to go bodilessly on the journey. With the digitization, the mobility of images has experienced an explosive development.

What was lost on the way is the link to a location. The pictures became homeless. And thus omnipresent and probably also omnipotent. Although it is theoretically possible to close your eyes and or turn off the media, you can practically not even go to the doctor or in the pub today without the TV in the waiting or drinking room, that replaced the less obtrusive magazines or newspaper fixed in the newspaper hloder.

The pictures, still or moving, chase us in all areas of our lives and they become more and more fleeting and redundant. They disappear quickly and are replaced by new ones. In the streams it is so, that I often fail, if I want to find a picture I once saw in the scrolling and then want to see it again.

Moving or still images move us. They act, other than texts, directly on our emotions. The advertisement shows drastically how one can move people to the purchase under circumvention of the critical mind. And the advertising is no longer waiting on the street corner but it is looking for us now, not to say haunting us.

We are mainly interested in this scenario from the perspective of the co-producers of this flood of homeless pictures. What can we do to locate at least parts of our production?There is the way back, even if it is just an illusion. Print, make books, organize exhibitions and present pictures in public space. Even a well-sorted homepage, on which the pictures are retrievable, looks more homely than the incessant stream of picture portals, especially INSTAGRAM the gigantic picture grave.And the way forward. In the digital age, where are these opportunities to situate images and actually use them as information carriers? Which pictures, which picture combinations and which connections of pictures with text make our pictures ‘informative’ again?

Vilém Flusser writes in his work “Towards a Philosophy of Photography” (1983)

“… a few answers have come to light: First, one can outwit the camera´s rigidity. Second, one can smuggle human intentions into its program that are not predicted by it. Third, one can force the camera to create the unpredictable, the improbable, the informative. Fourth, one can show contempt for the camera and its creations and turn one´s  interest away from the thing in general in order to concentrate it on information. In short: Freedom is the strategy of making chance and necessity subordinate to human intention. Freedom is to playing against the camera. “

6 Comments

  1. Harald S.

    Man kann die Flut der heimatlosen Bilder natürlich auch einfach so hinnehmen. Und man kann sich auch ebenso gedankenlos daran beteiligen und seine Tröpfchen zum Bildermeer hinzu tun. Wenn man aber den Fehler gemacht hat, darüber nachzudenken, wird es schwieriger. Es beschleicht einem ein unangenehmes Gefühl.

    Vielleicht wäre es ein interessantes Experiment, einen Tag lang mit verbundenen Augen durch die Welt zu gehen: Keine Bilder auf dem Smartphone oder Tablet, dem Bildschirm, den Plakatwänden, den Schaufenstern und in den Druckerzeugnissen… Wie vielen Bilder trägt man in sich, und was werden diese Bilder mit dem Blinden für einen Tag machen? Wird sein Hunger nach BIldern unterträglich?
    Es gibt natürlich praktische Gründe gegen das Experiment und ich denke, das wäre auch eine Sackgasse.

    Wichtiger finde ich, dass man eine Haltung dazu entwickelt, und beispielsweise hinterfragt, was wollen die Bilder (von mir)? Lasse ich mich davon beeinflussen und wenn ja, wie? Und ja, dass man seine eigenen Absichten beim Bildermachen hinterfragt. Macht man Bilder oder macht man Bilder nach? Persönlich bin ein bisschen streng mit mir: Habe ich etwas mit den Bildern zu sagen oder nicht? Wenn nicht, dann das Bild besser nicht machen. Es soll mir nicht gehen, wie dem alten Rocksänger in dem Lied von Randy Newman “I’m dead (but I don’t know it): “I’ve got nothing left to say, but I’m going to say it anyway!” “Ich habe nichts mehr zu sagen, aber ich sage es trotzdem!”

    Das Unbehagen bei der gedankenlosen Fotografiererei und dem unablässigen Strom von Bildern, die immer austauschbarer werden, hat seine Gründe. Man sollte es meiner Meinung nach nicht ignorieren. Denn das massenhafte Auftreten der Bilder macht ja etwas. Es entwertet beispielsweise jedes Bild allein dadurch schon, dass die Aufmerksamkeitsspanne dafür sinkt.

    Individualität und Freiheit sind wichtige Werte, vor allen für Fotografen. Der massenhafte Versuch, das auf die gleiche Art zu verwirklichen, führt aber zum Gegenteil. Es ist wie mit dem Stau auf der Autobahn: alle fahren zur gleichen Zeit auf der gleichen Straße zum gleichen Ziel. Kann man machen. Muss man aber nicht.

    • JOHNDOE

      Gibt es überhaupt heimatlose Bilder? Für mich ist ein heimatloses Bild, ein Bild, welches z.B. auf der Speicherkarte verbleibt und nie von dieser gelöscht wird. Sobald aber ein Bild irgendwo hin kopiert wird, ist es nicht mehr heimatlos. Derjenige der das Bild weiterkopiert macht dies bewusst und gibt dem Bild eine Heimat. Ein heimatloses Bild auf einer Speicherkarte wird fast niemand jemals zu Gesicht bekommen. Vielleicht sind auch die Höhlenmalereien heimatlose Bilder. Wenn die Höhle als (damalige ausschließliche) Speicherkarte benutzt wurde, kann man diese Bilder auch als heimatlos betrachten.
      Dass das Bildermeer zunimmt, kann nicht widerlegt werden. Sie schreiben, dass Bilder dadurch
      entwertet werden. Dies ist vielleicht richtig, aber wer hat das Recht Bilder anzufertigen? Eigentlich hat jeder das Recht Bilder anzufertigen, ob er gute oder schlechte Bilder macht. Ich sehe das Bildermeer weniger kritisch, denn die wirklich guten Fotografen werden bestimmt Möglichkeiten finden um ihre Bilder von der Masse abzuheben und darauf bin ich gespannt.

      • Harald S.

        Vor Erfindung der Reproduktionstechniken wie der Fotografie gab es keinen Unterschied zwischen dem Original und seinem Abbild. Selbst das gemalte Bild einer antiken Statue war wiederum ein Original. Das hat sich sehr stark geändert. Alle heute lebenden Menschen sind in diese Welt der Reproduzierbarkeit hineingeboren, weshalb wir das für selbstverständlich halten. Die Heimatlosigkeit, um die es in diesem Beitrag geht, beschreibt diese Trennung von Original und Abbildung. Das Original hat seine Heimat an dem Ort, an dem es gemalt, in Stein gehauen oder hingehängt wurde. Und es gab es nur einmal. Das alles gibt es ja heute auch immer noch. Das Foto, vor allem das digitale Foto hat aber keinen wirklich Ort. Es ist virtuell. Erst wenn es gedruckt wird, erhält es einen “Körper”. Das alles ist an und für sich ja erstmal nix Schlimmes. Es hat ja auch Vorteile – etwa wenn es um die Verbreitung geht oder darum, Dinge zu vergleichen. Wenn wirklich jeder in den Antelope Canyon zum Fotografieren ginge, oder jeder zum Schloss Neuschwanstein, das gäbe ein entsetzliche Gedränge…
        Wie alles hat auch die Mobilität der Bilder ihre Nachteile. Die Flut der Bilder kommt ja nicht daher, dass jeder versucht etwas Einzigartiges zu schaffen, sondern im Gegenteil, weil jeder versucht das Gleiche zu machen. Wenn’s viele Clicks, Likes und Favs gibt, ist jedes Bild recht. Und da entwickeln sich netztypische Dynamiken. Erfolgreiches wird kopiert und dadurch noch erfolgreicher, sprich, noch weiter verbreitet. Das führt zu einer Verarmung der Auswahl, der “Katalog” der erfolgversprechenden Motive wird eher kleiner als größer.
        Natürlich ist es jedem Menschen freigestellt, Bilder zu machen. Die Frage ist, woran er sich dabei orientiert. Hier beginnen die Mühen der Freiheit.

  2. JOHNDOE

    Beim Überfliegen des Beitrags stellte sich mir die Frage “Ist die Aussage von Bildern tatsächlich vom Ort ihrer Präsentation abhängig?”. Angenommen wir hätten eine Bildserie im Format 30x40cm, welche in einer Ausstellungshalle präsentiert wird und zufällige Personen, die diese Bilder betrachten. Im anderen Fall hätten wir die gleichen Bilder, diesmal im Format 10x15cm und diese werden auf der offenen Straße von den gleichen zufälligen Personen betrachtet. Die Bilder haben in beiden Fällen den gleichen Inhalt und wir hätten auch den selben Personenkreis. Würden die Bilder gleich oder unterschiedlich bewertet werden?

    • Rolf Noe

      Aber auf jeden Fall. Selbst in dem genannten Beispiel sind es schon mal andere Leute, die in die Austellung gehen. Das Format kann dazu führen dass Details wahrgenommen werden oder auch nicht. Das Licht ist in der Ausstellung optimal und auf der Straße nicht. Sie haben selbst das Beispiel der Straßengallerie im Photoherbst mit ihren suboptimalen Bedingungen genannt. Das kann nicht nur zu verringerter Lesbarkeit, sondern auch zu kompett anderen Sinnzuschreibungen führen z. B. durch die Interaktion mit den anderen Dingen im Schaufenster. Hier ein Beispiel: https://www.flickr.com/photos/rolfnoe/10645720403/in/album-72157627693476231/

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