Wann ist „Jetzt“? Die Frage ist schwierig zu beantworten. Ist es der Augenblick, sind es die drei Sekunden, die unser Kurzzeitgedächtnis überbrücken kann. Oder halten wir’s mit Heraklit oder den Buddhisten und sagen „Alles ist im Fluss“ und verändert sich eh laufend. Es gibt keine Zeit-Punkte. Aber es gibt vielleicht eine Art dem, was ist offen zu begegnen und es nicht immer an dem zu messen was war. Gerade heute kam ein Buch, auf das ich schon länger gewartet habe: „Surfing Uncertainty“ von Andy Clark. Ich habe zwar erst Vorwort und Einleitung gelesen, aber sein Thema ist genau dies. Dass unser Gehirn in Zusammenarbeit mit unserem Sensorium und unserer Aktivität dauernd die hereinkommenden Sinnesdaten mit aus der Vergangenheit stammenden Entwürfen vergleicht, um sich ein Bild zu machen und vor allem um aktiv vorausschauend handeln zu können. Dabei hat das „Bild“ oft weniger mit dem zu tun was ist, als mit dem, was war. Wer meint zu wissen was Zeit ist und sich gerne eines Besseren belehren lassen will, dem kann ich darüber hinaus noch ein halbgelesenes Buch empfehlen. Und zwar „Die Ordnung der Zeit“ von Carlo Rovelli. Das zieht einem ganz elegant den Teppich unter den Füßen weg.
Wo ich mir ziemlich sicher bin, ist, dass Zeit und Raum sich letztlich nur insofern als sinnvolle Hilfskonstrukte zur Orientierung entwickelt haben, als sie beide Aspekte von Bewegung sind. Nicht zuletzt sieht man das daran, dass Sie immer wichtiger geworden sind, seit unsere Bewegungsräume sich immer mehr ausgeweitet haben und wir um den halben Globus jetten können. Zuvor war Verortung weitgehend gegeben und Zeit bemaß sich in den natürlichen Zyklen von Helligkeit und Dunkelheit, Mondphasen und Sonnenumrundungen.
So eine lange philosophische Vorrede nur um dahin zu kommen, dass ich bei einem meiner Streifzüge durch Köln (2022) eine denkwürdige Wandbemalung entdeckt habe (s.o.), die mir irgendwie bekannt vorkam. Hier in Köln gibt es nämlich einen Sprayer, der an alle möglichen und unmöglichen Orte das Wort „HIER“ pinselt. Nach und nach ging mir auf, dass ich solche Werke schon irgendwo gesehen habe. In der fotocommunity gibt es einen Photographen, der unter dem Namen „itsme“ diese Inschriften abgelichtet hat und auch weiter ablichtet und sie in einem Ordner (s.u.) ablegt. Es sind bisher etwa sechzig Stück zusammengekommen. Die Bilder haben auch eine große Fangemeinde, zu der ich mich seit der Entdeckung zähle, denn die Schriften sind nicht nur sehr abwechslungsreich, sondern auch gut photographiert.
Wahrscheinlich hätte ich die ganze Geschichte längst vergessen, wenn nicht Gerry dieses Bild in meinem Flickr-Stream entdeckt und mich noch einmal auf Stefans Account hingewiesen hätte. Und da ich wieder etwas mehr in der fc unterwegs bin, passt das jetzt auch gut.
Ich stelle mir vor, müßig durch Köln zu wandeln und jedes Mal bei der Entdeckung so einer „Schrift an der Wand“ aus meinen Gedanken geholt und kurz in eine verortete Gegenwart gestellt zu sein. In ein „Hier und Jetzt“ könnte ich sagen, wenn diese Formel nicht schon zur Floskel verkommen wäre.
When is “now”? This is a difficult question to answer. Is it the moment, is it the three seconds that our short-term memory can bridge? Or do we go with Heraclitus or the Buddhists and say “Everything is in flux” and is constantly changing anyway. There are no points in time. But perhaps there is a way of being open to what is and not always measuring it against what was. Just today, I received a book that I’ve been waiting for a while: “Surfing Uncertainty” by Andy Clark. I’ve only read the foreword and introduction, but that’s exactly what it’s about. That our brain, in cooperation with our sensorium and our activity, constantly compares the incoming sensory data with drafts from the past in order to form a picture and, above all, to be able to actively act with foresight. The “picture” often has less to do with what is than with what was. If you think you know what time is and would like to be proven wrong, I can also recommend a half-read book. It’s “The Order of Time” by Carlo Rovelli. It pulls the rug out from under your feet quite elegantly.
What I am pretty sure of is that time and space have ultimately only developed as meaningful auxiliary constructs for orientation insofar as they are both aspects of movement. You can see this not least from the fact that they have become increasingly important since our spaces of movement have expanded more and more and we can jet halfway around the globe. Previously, localization was largely a given and time was measured in the natural cycles of light and dark, phases of the moon and orbits around the sun.
Such a long philosophical preface just to get to the fact that I discovered a memorable wall painting (see above) during one of my forays through Cologne (2022), which somehow seemed familiar to me. There is a sprayer here in Cologne who paints the word “HERE” in all possible and impossible places. Little by little, I realized that I had already seen such works somewhere. There is a photographer in the fotocommunity who has photographed and continues to photograph these inscriptions under the name “itsme” and stores them in a folder (see below). About sixty of them have been collected so far. The pictures also have a large fan base, to which I have belonged since discovering them, because the inscriptions are not only very varied but also well photographed.
I would probably have forgotten the whole story long ago if Gerry hadn’t discovered this picture in my Flickr stream and pointed me once again to Stefan’s account. And since now I’m back on the fc a bit more, it’s a good fit.
I imagine strolling idly through Cologne, and every time I discover such a “writing on the wall” I am taken out of my thoughts and briefly placed in a localized present. Into a “here and now” I could say, if this formula had not already degenerated into a cliché.

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Hier ist meistens jetzt aber auch irgendwie immer. Das hat schon allein durch die simple, aber suggestive Wortwahl viel mehr “impact” als die meisten der omnipotenten Tag-Hinterlassenschaften die überwiegend lediglich selbstreferenziell sind. Bin mal gespannt wie sich das entwickelt. Wolfgang zurborn wird bald einen Blick darauf und anderes von its.me haben und hoffentlich zusätzliche kreative Impulse geben können, zweifelsohne ein förderungswürdiges Talent.
Das kann sich nur positiv auswirken, wenn Wolfgang sich “einmischt”. Zumal er nicht dazu neigt dem Photographen EGO zu schmeicheln, sondern von den Bildern aus Vorschläge zu machen.
Eine Möglichkeit, an die wahrscheinlich noch niemand gedacht hat, die aber in einem Kommentar auf Flickr (https://www.flickr.com/photos/rolfnoe/54525919811/in/dateposted-public/ ) angedeutet wird. Was ist, wenn der Sprayer ein Franzose ist?
….das ist eigentlich völlig wurscht, Rolf. Denn “gestern” beginnt ja immer bereits JETZT, naja, fast 😉
Today is only yesterday’s tomorrow, oder so…
Der “Hier”-Sprayer ist mir noch nicht aufgefallen, vielleicht wohne ich im falschen Stadtteil … Die Gedanken zum Jetzt und die Lektüretipps finde ich sehr anregend. Überhaupt habe ich, um aufs Thema Fotografie zurückzukommen, schon oft darüber nachgedacht, was für das Auge “jetzt” ist, also welche Belichtungszeit unser Auge wohl hat. Langzeitbelichtungen sind ja eher nicht möglich, auch wenn eine gewisse Anpassung an die Dunkelheit möglich ist (wohl eher eine Iso-Erhöhung). Da Film mit ca. 25 Bildern pro Sekunde als durchlaufende Bewegung wahrgenommen wird, liegt unsere Belichtungszeit vermutlich unter 1/40.
Und überhaupt ist “hier” ja allenfalls eine extrem relative Ortsangabe, wenn man bedenkt, mit welcher Geschwindigkeit wir um die Sonne rasen und diese wiederum durch das sich angeblich ausdehnende Weltall.
Best, Andreas
Ab JETZT wirst du die Schrift an der Wand an jeder Ecke sehen. Danke dir, für deine kosmischen Gedanken. Vor allem der Gedanke, mit der Belichtungszeit unserer Augen verdient es nachgedacht zu werden. LG