Am 22. – 23. April 2023 fand in Pforzheim die Veranstaltung „Offene Ateliers“statt. Bereits 2017 gab es diese Veranstaltung und in den Folgejahren. Lediglich während der Pandemie fiel sie aus. Bei dem Format laden professionell Kunstschaffende befreundete Kolleginnen oder Kollegen als Gäste in ihr Atelier ein und öffnen die Türen für die Öffentlichkeit. An 33 Standorten zeigten 130 Künstlerinnen und Künstler ihr Schaffen. Eine stattliche Zahl, wenn man bedenkt, dass die Liste keineswegs vollständig ist. Der Bildhauer René Dantes, der Maler Harald Kröger, der Photograph Jens Allemann und Petra Huber mit ihren zauberhaften Figuren haben dieses Jahr nicht mitgemacht – und das sind nur Kunstschaffende, die mir persönlich bekannt sind. Initiatorin und Organisatorin der Veranstaltung ist die Pforzheimer Malerin Anina Gröger.
Ich habe diesmal hauptsächlich Ateliers und Ausstellungsorte besucht, bei denen auch Photographie gezeigt wurde. Fast sämtliche Photographen und Photographinnen waren Gäste in anderen Ateliers. Lediglich Bart Dewijze und Linda Wendel wurden im Haus der Jugend als Hauptausstellende gemeldet. Dort hängt auch eine permanente Ausstellung der beiden mit Portraits Pforzheimer Jugendlicher. Leider hatte ich sie und ihre Arbeiten ebensowenig sehen können wie Gerd Jütten, Jaein Pyo und Bernhard Friese und deren Werke. Die Zeit, die Zeit…
Die Künstler
Christopher Barbour
Christopher Barbur (man spricht den Namen “Barber” aus), stammt aus den USA und lebt seit drei Jahren in Pforzheim. Er zeigt unter anderem eine Serie Landschaften und urbane Settings. Sie wirken wie impressionistische Gemälde. Die Farben sind blass, die Vignettierung deutlich. Es ist analoge Photographie, quadratisches Format – „Mittelformat?“ „Ja.“ „Welche Kamera?“ Christopher Barbour geht zur Ecke mit seinen Sachen und öffnet einen Rucksack. Er holt ein billig aussehendes schwarzes Plastikding heraus. „Holga“ steht auf dem klobigen Kasten oberhalb der Linse. „Und kaputt ist sie auch“, sagt Christopher. Die langzeitbelichteten Aufnahmen (mindestens zwei Minuten) hat er aus der Hand gemacht, stehend. Die Bilder üben auf den unvorsichtigen Betrachter einen erheblichen Sog aus.
Bald war ich in ein anregendes Gespräch mit dem Künstler vertieft und die Zeit verging rasch. Erst hinterher, als ich den alten Schlachthof längst verlassen hatte wurde mir bewusst, dass ich mir seine Serie mit kleinformatigen iPhone-Bildern gar nicht richtig angeschaut hatte…
Silke Helmerdig
Silke Helmerdig, Professorin für künstlerische Fotografie, Hochschule Pforzheim (HfG) ist zu Gast bei Anina Gröger. Die ausgestellte Arbeit trägt den Titel „Platons Höhlengleichnis“. Die monochromen Aufnahmen sind verfremdet. Die Person ist nicht erkennbar, die Details sind hinter hinter einer Schicht aus Strichen und geschwungenen Linien verborgen. Nur die Umrisse sind zu sehen. Ich fühle mich an Arnulf Rainers Bildübermalungen erinnert.
„Die Arbeit beschäftigt sich für mich (…) mit der Wirklichkeitserwartung an Photographie.“, antwortet Silke Helmerdig auf meine Mail. „Oft wird bei Portraits die Frage nach dem wer gestellt, obwohl sie eine*r Betrachter*in, die die Person nicht kennt, keinerlei Aufschluss gibt. Ich als Photographin brauche die Person nicht erkennbar im Bild, da ich weiß, wer sie ist. Deshalb habe ich mich entschieden, in persönlichen Erinnerungsbildern die Personen aus dem Negativ herauszukratzen. Die Situation bleibt erkennbar, aber die Person ist anonymisiert. Sicher kann man auch andere und weitere Interpretationen für das Herauslöschen aus dem Negativ finden. Mein Antrieb war die Infragestellung der Abbildung und ihrer Bedeutung (für Photographin und Betrachter*innen).“
Seung-Ja Kim-Leutinger
Im Alten Schlachthof war auch Seung-Ja Kim-Leutinger mit ihren Arbeiten zu Gast. Einiges davon hatte ich schon im Kulturhaus Osterfeld gesehen. Rolf und ich hatten uns damals auf diesem Blog darüber unterhalten; wir wurden uns bei der Interpretation nicht ganz einig. Offene Ateliers war eine gute Gelegenheit, die Künstlerin selbst zu befragen. Autobiografische Reflexionen seien diese rätselhaften Werke, Entsprechungen ihrer Seelenzustände, Zeichen ihrer Identitätssuche zwischen den Kulturen Deutschlands und Koreas. Die Photos der Serie „Kleines sehen, Großes fühlen“ sind eins zu eins von der Aufnahme übernommen und keine Ausschnitte, wie ich zunächst vermutet hatte. Sun Ja Kim hat Photographie in Seoul und Karlsruhe studiert. Ihr Lebensmittelpunkt ist Deutschland. Nach einer familienbedingten mehrjährigen Pause geht sie ab 2021 wieder vermehrt in die Kunst-Öffentlichkeit. Ihre Arbeiten werden auch in Madrid und Florenz ausgestellt.
Harald Koch
Harald Koch stellt bei seinem Künstlerfreund Thomas Ochs in dessen Zeichenprojekt aus. Er ist gelernter Photograph und arbeitet an der Pforzheimer Hochschule Pforzheim, Fakultät für Gestaltung. Er bringt dort den Studienanfängern die Grundlagen der Photographie nahe. Das Kernstück sind Bilder von den Floating Piers (2016 in Norditalien) des Künstlerpaars Christo & Jeanne Claude. Die Bilder haben kein einheitliches Format: Hochkant, Panorama, Querformate… Bei allen ist die Farbigkeit zugunsten der leuchtend goldgelben Piers zurückgenommen. Die Bilder sind teilweise (nachträglich) mehrfachbelichtet und zeigen Besucher der Piers als semitransparente, flüchtige Gestalten. Eine Serie von vier kleineren quadratischen Bildern mit botanischen Motiven – hübsch zwischen zwei veteranen Zimmerpflanzen gehängt – ist ebenfalls mehrfachbelichtet: Waldgewirr und Kräuterleuchten. Die dritte Serie zeigt Bilder mit verwischten Konturen. Sie wurden aus fahrenden Autos oder Zügen aufgenommen. Nein, das verbindende Element ist nicht das Rot-Orange, das mir in allen drei Bildern zuerst aufgefallen ist. Es ist die Flüchtigkeit, das unkenntlich machen durch die Bewegung, sagt Harald Koch.
Matthias Lüben
zeigt in der Raphaelkirche eine Serie, die er Bildräume nennt. Er hat die Bilder aus seinen dreidimensionalen Projektionen in die zwei Dimensionen der Photographie zurückverwandelt. Es sind ungewöhnliche Bilder, voll seltsamer Farbmuster und abrupter Perspektivwechsel. Sie erinnern an Collagen.
Sein Geld verdient Matthias Lüben hauptsächlich mit dem Bauen von virtuellen Räumen. Dabei scannt er reale Räume mit Infrarotsensoren. Er erstellt eine virtuelle Punktwolke, die den Raum mathematisch abbildet. „Auf diese Punktwolke mappe ich die Fotografie drauf. Und dadurch entsteht eine 3D-Struktur. Darin kann man virtuelle Rundgänge machen.“
Bei seinen hier ausgestellten Bildern macht er das genau Gegenteil. „Ich packe die dreidimensionale Struktur wieder auseinander – wie einen Schuhkarton. Ich baue bei allen Bildern Bezugspunkte ein, die ermöglichen, die dreidimensionalen Räume nachzuvollziehen.“
Die Farbverschiebungen in den Bildern, die sich durch die Rückverwandlung ergeben, führt Matthias Lüben darauf zurück, dass wir Farben anders wahrnehmen, je nachdem, ob wir drei- oder zweidimensional sehen.
Mein Fazit
Wie empfand ich die Rolle der Photographie bei den Offenen Ateliers? An manchen Orten gab es mehr Platz für Photoarbeiten, etwa im Alten Schlachthof mit dem wunderbar weichen Licht im Hauptraum oder in der Raphaelkirche. Malerei, Kleinplastik, Schmuckdesign und Photographie in einem gut besuchten Atelier – da ging die Photographie in der Fülle der gezeigten Arbeiten auf engem Raum manchmal ein wenig unter. Dennoch ergab die Veranstaltung für mich einen schönen Sinn – die kreativ Schaffenden Pforzheims unterschiedlichster Kunst- und Stilrichtungen und ihre Werke im Dialog zu erleben.
Wenn ich mir die Freiheit nehme, als interessierter und kunstempfänglicher Laie ein Urteil zu fällen, dann dieses: Was ich an Photographie gesehen habe, war beeindruckend divers und von hoher künstlerischer Qualität.
Ich hoffe und wünsche, dass die Ateliers auch im kommenden Jahr öffnen – und dass ich alle ausstellenden Photoschaffenden und ihre Arbeiten sehen und antreffen kann.
On 22 – 23 April 2023, the “Open Studios” event took place in Pforzheim. This event already took place in 2017 and in the following years. It was only cancelled during the pandemic. In this format, professional artists invite friends or colleagues to their studios as guests and open the doors to the public. At 33 locations, 130 artists showed their work. An impressive number, considering that the list is by no means complete. The sculptor René Dantes, the painter Harald Kröger, the photographer Jens Allemann and Petra Huber with her enchanting figures did not take part this year – and these are only artists I know personally. The initiator and organiser of the event is the Pforzheim painter Anina Gröger.
This time I mainly visited studios and exhibition venues where photography was also shown. Almost all the photographers were guests in other studios. Only Bart Dewijze and Linda Wendel were registered as main exhibitors at the Haus der Jugend. A permanent exhibition of portraits of young people from Pforzheim hangs there. Unfortunately, I had not been able to see them and their works, just as I had not been able to see Gerd Jütten, Jaein Pyo and Bernhard Friese and their works. The time, the time…
The artists
Christopher Barbour
Christopher Barbour (pronounced “barber”) comes from the USA and has lived in Pforzheim for three years. Among other things, he shows a series of landscapes and urban settings. They look like impressionist paintings. The colours are pale, the vignetting clear. It is analogue photography, square format – “Medium format?” “Yes.” “What camera?” Christopher Barbour walks to the corner with his things and opens a rucksack. He pulls out a cheap-looking black plastic thing. “Holga” is written on the clunky box above the lens. “And it’s broken too,” Christopher says. He took the long-exposure shots (at least two minutes) handheld, standing up. The images exert a considerable pull on the unwary viewer.
Soon I was engrossed in a stimulating conversation with the artist and time passed quickly. Only afterwards, when I had long since left the old slaughterhouse, did I realise that I hadn’t really looked at his series of small-format iPhone pictures…
Silke Helmerdig
Silke Helmerdig, Professor of Artistic Photography, Pforzheim University (HfG) is a guest of Anina Gröger. The exhibited work is titled “Plato’s Allegory of the Cave”. The monochrome photographs are alienated. The person is not recognizable, the details are hidden behind a layer of strokes and curved lines. Only the outlines are visible. I feel reminded of Arnulf Rainer’s picture overpaintings.
“For me, the work (…) deals with the expectation of reality in photography,” Silke Helmerdig replies to my email. “In portraits, the question of who is being photographed is often asked, although it gives no information to a viewer who does not know the person. As a photographer, I don’t need the person to be recognisable in the picture, because I know who they are. That’s why I decided to scratch the persons out of the negative in personal memory pictures. The situation remains recognisable, but the person is anonymised. Certainly, one can find other and further interpretations for the erasure from the negatives. My motivation was to question the image and its meaning (for photographer and viewer).
Seung-Ja Kim-Leutinger
The Alte Schlachthof also hosted Seung-Ja Kim-Leutinger with her work. I had already seen some of her work at the Kulturhaus Osterfeld. Rolf and I had talked about it on this blog at the time; we didn’t quite agree on the interpretation. Open Studios was a good opportunity to ask the artist herself. These enigmatic works are autobiographical reflections, correspondences of her states of mind, signs of her search for identity between the cultures of Germany and Korea. The photos in the series “Seeing Small Things, Feeling Big Things” are taken one-to-one from the photograph and are not cut-outs, as I had initially assumed. Sun Ja Kim studied photography in Seoul and Karlsruhe. Germany is the centre of her life. After a break of several years due to family reasons, she returned to the art public in 2021. Her works will also be exhibited in Madrid and Florence.
Harald Koch
Harald Koch exhibits with his artist friend Thomas Ochs in his drawing project. He is a trained photographer and works at the Pforzheim University of Applied Sciences, Faculty of Design. He teaches first-year students the basics of photography. The centrepiece are pictures of the Floating Piers (2016 in northern Italy) by the artist couple Christo & Jeanne Claude. The images do not have a uniform format: upright, panorama, landscape formats… In all of them, the colourfulness has been reduced in favour of the bright golden-yellow piers. Some of the pictures have been (subsequently) multiply exposed and show visitors to the piers as semi-transparent, fleeting figures. A series of four smaller square pictures with botanical motifs – nicely hung between two veteran houseplants – is also multiple-exposed: Forest Tangle and Herb Luminaries. The third series shows images with blurred contours. They were taken from moving cars or trains. No, the unifying element is not the red-orange that first struck me in all three pictures. It is the fleetingness, the rendering unrecognisable through movement, says Harald Koch.
Matthias Lüben
Matthias Lüben is showing a series in the Raphael Church that he calls Bildräume. He has transformed the images from his three-dimensional projections back into the two dimensions of photography. They are unusual pictures, full of strange colour patterns and abrupt changes of perspective. They are reminiscent of collages.
Matthias Lüben earns his money mainly by building virtual spaces. He scans real rooms with infrared sensors. He creates a virtual point cloud that mathematically maps the space. “I map the photograph onto this point cloud. And this creates a 3D structure. You can take virtual tours in it.”
In his paintings exhibited here, he does the exact opposite. “I take the three-dimensional structure apart again – like a shoebox. I build reference points into all the paintings that allow you to trace the three-dimensional spaces.”
Matthias Lüben attributes the colour shifts in the paintings that result from the reconversion to the fact that we perceive colours differently depending on whether we see in three or two dimensions.
My conclusion
How did I feel about the role of photography at the Open Studios? In some places there was more space for photographic works, for example in the Old Slaughterhouse with the wonderful soft light in the main room or in the Raphael Church. Painting, small sculptures, jewellery design and photography in a well-attended studio – the photography was sometimes a little lost in the abundance of works shown in a small space. Nevertheless, the event made a nice sense to me – to experience Pforzheim’s creative people of the most diverse art and style directions and their works in dialogue.
If I take the liberty of making a judgement as an interested and art-sensitive layman, then this is it: What I saw of photography was impressively diverse and of high artistic quality.
I hope and wish that the studios will open again next year – and that I will be able to see and meet all the exhibiting photographers and their work.
Danke für die Über- und Einblicke in die Photokunst in Pforzheim. Es gibt doch immer wieder Neues zu entdecken und bekanntes wieder zu würdigen.