„Vor der Aufnahme ist für mich eine genaue Bildvorstellung unerläßlich. Dieses Gedankenbild muß noch mit der Mattscheibe in Übereinstimmung gebracht werden. Ich gehe dabei von der Wirklichkeit als Raum aus. Dieser Raum soll als Ausschnitt so beschaffen sein, daß er auf eine Ebene projiziert eine geordnete Bildfläche ergibt. Er muss so beschaffen sein, daß er nicht als Ausschnitt empfunden wird; es muß durch ihn ein neuer Bildorganismus entstehen, der vom Zufälligen gänzlich befreit erscheint.“
>>Alfred Regner Patzsch<<
Irgendwie bekomme ich da keinen Überblick. Inzwischen habe ich mir drei Ausstellungen zum Thema Photographie in der Zeit zwischen den großen Kriegen angeschaut und trotzdem ergibt sich kein klares oder einheitliches Bild. Bereits im Dezember 2023 habe ich mir im Sprengel Museum in Hannover die Ausstellung „Fotografien der Moderne“ angeschaut. Da hat es sich der Kurator Stefan Gronert mit dieser Bezeichnung einfach gemacht und konnte so die verschiedensten Fotografen der 20er und frühen 30er Jahre zeigen. Deutlich wurde dort der Einfluss der Russischen Revolution mit Alexander Rodtschenko und El Lissitzky und ihren neuen Perspektiven.
Etwas disparater, aber trennschärfer war die Ausstellung in der „Gällery“ in Stuttgart, die wir mal wieder im Trio besucht haben. Hier wurden drei Strömungen dieser Zeit benannt und gesondert behandelt. Zum einen das „Neue Sehen“ mit Photographen wie Alfred Ehrhardt, Lazlo Moholy-Nagy, Florence Henri und Umbo, dann die „Neue Sachlichkeit“, die als Abkehr von der Kunst-Photographie antritt, mit Vertretern wie August Sander, Albert Regner-Patzsch, Hans Finsler und Aenne Biermann und das „Bauhaus“ in dem es zwar erst ab 1929 eine Photoklasse gab, in dem aber Photographie auch vorher schon eine große Rolle gespielt hat und hier kennt man Namen wie Lucia und Lazlo Moholy-Nagy, Irene und Herbert Bayer, Walter Peterhans und Marianne Brandt. Schwierig ist es nicht nur die verschiedenen Strömungen, sondern auch die verschiedenen Genres im Blick zu behalten, in denen Neues ausprobiert wurde. Architektur und Objektfotografie, Portrait und Sozialreportage, Industriefotografie sowie Experimente.
Den besten Zugang zu den „neuen“ Strömungen der Photographie dieser Zeit habe ich im REM in Mannheim bekommen, unter dem Titel „Sachlich Neu“ und in der Tradition der „Neuen Sachlichkeit“ einem Begriff, der vor 100 Jahren in Mannheim mit einer Ausstellung zur neuen sachlichen Malerei aus der Taufe gehoben wurde. Die Maler, die in dieser Ausstellung vertreten waren, wollten sich von Abstraktion und Expressionismus absetzen, indem sie realistisch und oft sozialkritisch gemalt haben.
Um diese Strömung in der Photographie aufzuzeigen, werden in Mannheim drei Photo-Künstler vorgestellt. Vielleicht ist es auch diese Reduktion der Akteure zu verdanken, dass mir der Zugang erleichtert wurde. Zudem ist einer der vorgestellten Photographen gar nicht aus der Zeit der 20er oder 30er Jahre, sondern hat erst in den 40er Jahren angefangen zu photographieren. Robert Häusser ist aber nichtsdestotrotz auch als eine Art Erbe oder Fortführer der neuen Sachlichkeit anzusehen, auch wenn er sich über die Jahrzehnte hin zu einem als „magischen Realismus“ gelabelten Stil entwickelt hat. Er ist in meinen Augen eine echte Entdeckung. Ich kannte ihn vorher nicht und er ist, soweit mein Eindruck, in allen Genres, die er bedient hat, also Porträt, Landschaft, Architektur und Industrie ein beeindruckender Fotograf mit einem ganz eigenen Stil.
Somehow I can’t get an overview. I have now looked at three exhibitions on the subject of photography in the period between the great wars and still no clear or consistent picture emerges. Back in December 2023, I visited the exhibition “Fotografien der Moderne” at the Sprengel Museum in Hanover. Curator Stefan Gronert made it easy for himself with this title and was thus able to show a wide variety of photographers from the 1920s and early 1930s. The influence of the Russian Revolution with Alexander Rodchenko and El Lissitzky and their new perspectives became clear.
The exhibition at the “Gällery” in Stuttgart, which we once again visited as a trio, was somewhat more disparate but more selective. Here, three currents of this period were named and treated separately. Firstly, the “New Vision” with photographers such as Alfred Ehrhardt, Lazlo Moholy-Nagy, Florence Henri and Umbo, then the “New Objectivity”, which started as a departure from art photography, with representatives such as August Sander, Albert Regner-Patzsch, Hans Finsler and Aenne Biermann, and the “Bauhaus”, which only had a photography class from 1929, but in which photography had already played a major role before then, and here we know names such as Lucia Moholy and Lazlo Moholy-Nagy, Irene and Herbert Bayer, Walter Peterhans and Marianne Brandt. It is difficult to keep track not only of the different trends, but also of the different genres in which new things were tried out. Architecture and object photography, portraits and social reportage, industrial photography and experiments.
I gained the best access to the “new” trends in photography of this period at the REM in Mannheim, under the title “Sachlich Neu” (Objectively New) and in the tradition of “New Objectivity”, a term that was launched 100 years ago in Mannheim with an exhibition on new objective painting. The painters represented in this exhibition wanted to set themselves apart from abstraction and expressionism by painting realistically and often in a socially critical manner.
To highlight this trend in photography, three photo artists are presented in Mannheim. Perhaps it is also thanks to this reduction of the protagonists that access was made easier for me. In addition, one of the photographers presented is not even from the 1920s or 1930s, but only started taking photographs in the 1940s. Nevertheless, Robert Häusser can also be seen as a kind of heir or continuator of the New Objectivity, even if he has developed over the decades into a style labeled as “magical realism”. In my eyes, he is a real discovery. I didn’t know him before and, as far as my impression goes, he is an impressive photographer with a style all of his own in all the genres he has worked in, i.e. portrait, landscape, architecture and industry.

Was mir auch sehr gut gefallen hat, an der Ausstellung in Mannheim war die Gegenüberstellung von ähnlichen Motiven jeweils von verschiedenen Photographen. August Sander vs. Robert Häusser oder August Sander und Albert Regner-Patzsch. Über die Bilder von Robert Häusser, der uns sowohl zeitlich als auch stilistisch nähersteht als Sander oder Regner-Patzsch konnte ich einen deutlich besseren Zugang zu den Bildern aus den 20er und 30er Jahren finden. Und zwar über Ähnlichkeiten (z.B. der Motive) und Unterschiede, zum Beispiel in der Art, wie Kontext in Portrait-Photographien mit einbezogen wird (s.u.). Bei Häusser ist immer ein wenig mehr Kontext, ein wenig mehr Tiefe durch Vorder- und Hintergrund als bei Sander, der die Menschen eher plakativer, mit weniger Accessoires abgelichtet hat. Das liegt vielleicht an dem enzyklopädischen Ansatz, den Sander verfolgt hat. Über gewisse Problematiken dieses Ansatzes hatte ich bereits was geschrieben.
What I also liked very much about the exhibition in Mannheim was the juxtaposition of similar motifs by different photographers. August Sander vs. Robert Häusser or August Sander and Albert Regner-Patzsch. The pictures by Robert Häusser, who is closer to us both chronologically and stylistically than Sander or Regner-Patzsch, gave me much better access to the pictures from the 1920s and 1930s. This was through similarities (e.g. the motifs) and differences, for example in the way context is included in portrait photographs. With Häusser there is always a little more context, a little more depth through foreground and background than with Sander, who photographed people in a more striking way with fewer accessories. This is perhaps due to the encyclopaedic approach that Sander pursued. I have already written about certain problems with this approach.





Ein paar Seiten aus dem im Hirmer Verlag erschienenen Katalog zur Ausstellung / A few pages from the exhibition catalog published by Hirmer
Ein anderes Thema, wo der Vergleich hilfreich ist, sind die Landschaften. Da hatte ich bisher eventuell aufgrund der kleinen Abzüge und der nicht immer unseren heutigen Ansprüchen genügend Qualität der Aufnahmen Schwierigkeiten diese wertzuschätzen. Im Vergleich kommen dann aber die kompositorischen und sonstigen gestalterischen Aspekte mehr ins Spiel, die dann auch wieder einen besseren Zugang zu den älteren Landschafts-Bildern von Sander und Regner-Patzsch ermöglichen.
Auch wenn ich in Mannheim ein paar ganz hilfreiche Betrachtung anstellen konnte, bleibt das Gefühl, dass die Einteilung, in die die Kunstgeschichte die Photographen zu zwängen versucht, nur bedingt hilfreich ist und man sich jeden einzelnen Künstler und dann möglicherweise auch noch seine verschiedenen Schaffensphasen anschauen muss, wenn man verstehen will, wie sich der Wunsch bestimmte Themen zu bearbeiten in den Werkgruppen ausdrückt. So sind mir z.B. Photographen wie Umbo und Herbert Bayer in der Ausstellung über innere Welten in Tübingen schon als Surrealisten, in Hannover als modern und in Stuttgart als Vertreter des „Neuen Sehens“ bzw. des „Bauhauses“ vorgestellt worden, mit verschiedenen Bildern natürlich.
.
Another topic where the comparison is helpful is landscapes. In the past, I may have had difficulties appreciating them because of the small prints and the fact that the quality of the photographs was not always up to our modern standards. In comparison, however, the compositional and other creative aspects come more into play, which then allow better access to the older landscape pictures by Sander and Regner-Patzsch.
Even though I was able to make a few very helpful observations in Mannheim, the feeling remains that the categorization into which art history tries to force photographers is only of limited help and that you have to look at each individual artist and then possibly also at their different creative phases if you want to understand how the desire to work on certain themes is expressed in the groups of works. For example, photographers such as Umbo and Herbert Bayer were presented to me in the exhibition on inner worlds in Tübingen as surrealists, in Hanover as modern and in Stuttgart as representatives of the “New Vision” or the “Bauhaus” with different pictures, of course.

“Before taking the picture, it is essential for me to have an exact idea of the image. This mental image still has to be brought into harmony with the focusing screen. I start from reality as a space. This space should be a cut-out in such a way that, projected onto a plane, it produces an orderly image surface. It must be such that it is not perceived as a cut-out; it must create a new pictorial organism that appears completely liberated from the accidental.”
>>Alfred Regner Patzsch<< (Translated with www.DeepL.com)
Danke für den Blogbeitrag, besonders für die Einschätzung der Ausstellung in Mannheim, die mich auch sehr interessiert.
Was ich an der Neuen Sachlichkeit immer so faszinierend finde, ist, dass man mit “kleinem” Besteck (auch wenn die Kamera groß ist), also mit normalen Brennweiten und ohne effektheischende Filter oder Entwicklungsverfahren zu einem eindrucksvollen Ergebnis kommen muss. Statt expressiver Wolkentürme und perspektivverzerrender Weitwinkel eben ausgewogene Kamera und gleichmäßig grauer Himmel. Statt stimmungsgewaltiger Lichtverhältnisse ausgeglichene Beleuchtung. Das Motiv steht im Vordergrund.
Das hat so ein Timbre von “erwachsenem” Fotografieren. Aber wie man seit den Bechers weiß, wird man ganz schnell auch wieder von der bösen Kunstwelt in Beschlag genommen und infantilisiert … 😉
LG Andreas
Mit diesem Artikel hadere ich etwas. Ist es ein Problem, wenn Fotografen kunstgeschichtlich mit unterschiedlichen Strömungen in Verbindung gebracht werden? Muss in jeder Einordnung zwingend erwähnt werden, dass auch noch in dieser oder jenen Art gearbeitet wurde? Lenkt das nicht mehr ab, als es hilft?
Ich finde ja, dass genau keine gerade Linie in jeder menschlichen Entwicklung vorhanden ist, besonders bei Künstlern. In manchen Strömungen sind sie tonangebend, in anderen sind sie Mitläufer. Es kommt immer darauf an, aus welchem Winkel man darauf schaut: Klassifizierung in Themen/Strömung/Genres oder nach Person. Kunstgeschichte nimmt beide und weitere Blickwinkel ein.
Auch wenn ich nicht zustimme: Vielen Dank für den gedanklichen Impuls.
Nein, es ist kein Problem. wenn Künstler mit verschiedenen Strömungen in Zusammenhang gebracht werden.
Zumindest nicht für die Künstler. Meine Frage ist vielmehr, wie sinnvoll und treffend es überhaupt ist, Strömungen oder Schulen zu postulieren, wenn sich diesen nicht z.B. per Manifest als solche selbst konstituiert haben. Letztlich hab ich versucht, da für mich ein wenig Ordnung reinzubringen, was nicht restlos gelungen ist, aber das liegt vielleicht in der Natur der Sache.