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“Nice picture”

Fotoherbst Schömberg 2019 Vorjurierung

Das Bewertungsproblem

Aktuell ist das Thema durch die Vorjurierung der zum Fotoherbst Schömberg 2019 eingereichten Serien wieder mal auf den Tisch gekommen. Als Mitglied des Organisationsteam bin ich an der Jurierung beteiligt. Dort muss aus der Fülle der eingereichten Serien aus dem Bereich Reise und Reportagephotographie so weit aussortiert werden bis am Schluss die 20-25 Serien je Kategorie (Amateure und Profis) übrig bleiben, die ausgestellt werden sollen. Die Auswahl fand anonymisiert statt, d.h. dass wir erst nach der Auswahl nachgeschaut haben von wem die Serien sind. Das ist auch gut so, denn wenn man beim Einpacken der abgelehnten Bilder plötzlich den Namen einer Arbeitskollegin oder eines Fotoclub-Mitgliedes entdeckt, fragt man sich schon wie man entschieden hätte wenn man das vorher gewusst hätte.

Es gibt bei diesen Entscheidungen eine Reihe von Kriterien, die ohne irgendwie formuliert zu sein oberhalb des persönlichen Geschmacks zur Anwendung kommen. Die Qualität der Bilder, die Originalität (wie oft haben wir sowas schon mal besser gesehen), die Präsentation aber vor allem die Frage: „funktioniert diese Reihung von Bildern als Serie? Erzählt Sie eine Geschichte oder illustriert Sie ein Thema? Hinterlässt Sie auch formal einen `runden´ Eindruck? Da sind sich die Jury Mitglieder oft schnell einig. Minderheitsvoten werden erst mal berücksichtigt. Zur Abstimmung kommt es oft bei Geschmacksfragen und bei der Frage, ob das Thema als interessant empfunden wird. Da gibt’s halt kaum Kriterien dafür. Da entscheidet Jeder aus dem Bauch oder aus dem Kopf heraus und dann wird abgestimmt weil sich diese Fragen kaum diskutieren lassen.

Auch um Bewertung geht es, wenn wir im örtlichen `Fotoclub Querformat´ aus den mitgebrachten Bildern über das Bild des Monats abstimmen. Wir haben uns immer wieder mit der Kriterienpalette für die Beurteilung von Einzelbildern auseinandergesetzt und versucht Bilder systematisch danach zu bewerten aber im Club-alltag ist mein Eindruck, dass immer wieder der persönlich Geschmack zum Tragen kommt und das Bild mit dem größten WoW-Faktor die Abstimmung gewinnt. Das ist insofern nicht weiter schlimm als die anderen Kriterien dann oft bei der anschließenden Besprechung des Bildes doch zum Thema werden. Seit diesem Jahr haben wir im Übrigen angefangen Abstimmung und Besprechung zuerst zu machen und dann zu fragen von wem das Bild ist.   Das geht wenn sich die Gruppe einigermaßen kennt und respektvoll kritisiert wird.

Am weitesten weg von irgendwelchen Kriterien sind wir auf den Photo-Plattformen und in den sozialen Medien. Nur sehr selten kommt dort einen Rückmeldung, die mit den Inhalten des Bildes oder der Ausführung zu tun hat. Meist wird mit kurzen anerkennenden Floskeln(nice, cool, wow…)  kommentiert, die außer einem diffusen Zufriedenheitsgefühl nicht viel für die eigene künftige Produktion bringen. Besonders ärgert es mich, wenn ich mit einem Bild eher irritieren oder provozieren will und dann drunter steht: “nice picture”.

The rating problem

Currently, the topic has come back on the table by the Prejudging of the series submitted to the Photo Autumn Schömberg 2019. As a member of the organization team, I am involved in the jury. There must be sorted out so far from the abundance of submitted series in the field of travel and reportage photography until in the end the 20-25 series per category (amateurs and professionals) remain to be exhibited. The selection took place anonymously, means that we only looked at the names of the participants after the selection of who the series. That’s a good thing, because when you suddenly discover the name of a colleague or a member of your photo club when packing the rejected pictures, one wonders how one would have decided if one had known that before.

There are a number of criteria above the personal taste in these decisions that are used without being formulated. The quality of the pictures, the originality (how often have we something similar done in a better way)and the presentation but above all the question: “does this series of pictures work as a series? Does it tell you a story or does it illustrate a topic? Does it also formally leave a ’round’ impression? So the jury members are often united quickly. Minority votes are considered on the first hand. The final vote often involves questions of taste and the question of whether the topic is perceived as interesting. There are hardly any criteria for that. Everyone decides from the gut or from the head and then it is voted because these questions can hardly be discussed.

It also comes down to rating questions, if we vote in the local photo club called `landscape format’ from the images brought to our meeting to select the image of the month. We have repeatedly dealt with the whole range of criteria for the evaluation of individual images and tried to systematically evaluate pictures afterwards but in club life my impression is that again and again the personal taste comes to fruition and the picture with the largest WoW-factor wins the voting. This is not so bad as the other criteria are often used in the subsequent discussion of the image. Incidentally, since this year, we have started to vote and discuss first and then ask who the picture is from. That works if the group knows one another and criticism is done respectfully.

The furthest away from any criteria we are on the photo platforms and in the social media. Only very rarely there is a feedback that has to do with the contents of the image or the execution. Most are commented on with short appreciative phrases (nice, cool, wow …), which does not bring much for your own future production except a diffuse satisfaction. I am particularly annoyed when I tend to irritate or provoke with a picture and then the comment says “nice picture”.

13 Comments

  1. Thomas Bregulla

    Wann immer ich einen Artikel über die “Bewertung von Fotos” oder “Was ist ein gutes Foto”, etc lese, stellen sich meine Nackenhaare etwas auf. Bei Hunden typischerweise das Vorzeichen einer Beißattacke, so möchte ich mich doch schriftlich sanfter aufstellen. Ich frage mich, aus welchen Gründen die Aussage getroffen werden muss: “Das ist ein gutes Foto” (oder schlechtes)
    Ich denke nicht, dass das so absolut betrachtet werden kann, sondern immer in einem konkreten Kontext. Suche ich Bilder, die eine Aussage haben, sind die Kriterien anders, als bei Bildern, die ich rein fotografisch oder die ich technisch betrachte.

    Warum denke ich so?
    Zum einen ist jede Bewertung subjektiv. Ich betrachte vom jetzigen Zeitpunkt mit meinem Wissen, meiner Gefühlssituation, meinem Hungergefühl, etc, ob mich ein Bild anspricht, oder nicht. Drei Wochen, ein halbes Jahr oder noch später, beurteile ich das gleiche Bild anders, weil meine inneren Parameter anders sind. Das halte ich für in Ordnung und damit kann ich auch umgehen.
    Ausserdem kann ein Foto auch “gut” sein, und dennoch nicht in eine Auswahl passen, weil es anderen Kriterien nicht entspricht.
    Ich finde immer, dass ein Foto nie alleine steht. Es steht immer im Kontext anderer Bilder, im Kontext zu einem Thema, einem Raum, einem Buch, einer Geschichte. – Und hier fällt das bewerten plötzlich einfacher: Im Kontext mit seiner Umgebung passt das Bild hinein oder nicht, egal ob es absolutistisch als gut oder nicht bewertet würde. Passfähigkeit ist hier das Schlüsselwort. Das mag sich für manche Leute als Krücke anhören, wenn es jedoch hilft Entscheidungen treffen zu können, um so besser.

    Wow Effekte
    Noch so ein Nackenhaar Thema für mich.
    Effekte nutzen sich ab. Jetzt Wow, und in 2 Minuten schon langweilig. Mit Wow Effekten produziert man, meiner Ansicht nach, fotografisches Fastfood. Ein Foto sollte für mich keinen Wow Effekt haben, sondern Tiefe, die mich auffordert, das Bild länger anzusehen, mich am Bild zu reflektieren, zum Nachdenken anzuregen. Das würde mir zeigen, dass ein Fotograf das, was er vorhatte auch in Bildern festhalten konnte.

    Viel Erfolg beim Fotoherbst und mögen die Ausstellungen viele Bilder enthalten, die fesseln, zum nachdenken anregen und eines nicht sind: Beliebig, Austauschbar, Effektreich.

    • Rolf Noe

      Vielen Dank für diesen Kommentar, Thomas. Das ist ja fast schon ein eigener Beitrag. Du hast Recht insofern als wir immer so tun als könnten wir Qualität skalieren. Was wir aber tun wenn wir sie als gut oder weniger gut einstufen ist Sie auf Quantität zu reduzieren. Qualität kann man beschreiben zum Teil auch erklären. Das kommt auch in dem Begriff der Tiefe zum Ausdruck, den du benutzt. Ich gehe Mal stark davon aus, dass diese auch nicht in Zentimetern gemessen werden kann, aber du könntest z. b. an einem konkreten Beispiel erklären, was Du damit meinst.

      • Thomas Bregulla

        Tiefe ist ohne Beispiel selbstverständlich schwer zu erklären. Tiefe ist mit Sicherheit, genauso wie viele andere Kriterien, subjektiv und wird von jedem Betrachter anders eingeschätzt. Ein Blumenmakro zB hat keine Tiefe für mich, weil ich es als austauschbar empfinde, und ich auch keine Möglichkeit zur Reflektion sehe. Die Blume jedoch, die in dem Polizist bei der Demo überreicht wird, z.B. wie im Bild von Marc Riboud, ist das etwas anderes. Nun kann man von Amateuren nicht erwarten, dass sie Bilder in der Liga eines Marc Riboud erzeugen, und dennoch sehe ich immer wieder Bilder, die mehrere Dimensionen haben. Manchmal sind sie nicht sofort erkennbar, daher empfiehlt es sich Bilder immer von verschiedenen Blickwinkeln anzusehen und sich Zeit zu lassen.
        Bilder mit Tiefe sind aus meiner Sicht Bilder, die subtil sind, die nicht plakativ sind, und deren Bedeutung sich mit der Betrachtung tiefer einsackt. Bilder, die helfen, Situationen, andere Menschen besser zu verstehen.

        • Rolf Norgaard

          Würde gern testen, ob ich dein Vorurteil bezüglich der Tiefe von Blumenmacros erschüttern kann. Unter dem Beitrag “Perfekt” ( https://photo-philosophy.net/perfect/ ) ist eine kleine Slideshow mit solchen Bildern. Schau Sie dir mal an und urteile dann im konkreten Fall. Notfalls ließ den Artikel und erzähl mir dann ob du mir zugestehst, dass die Bilder in diesem Zusammenhang Tiefe bekommen. Ehrliche Antwort bitte ich Fische nicht nach Komplimenten. Danke.

          • Thomas Bregulla

            Die Bilder in “Perfekt” suggerieren eine Projektion des Textes in die Abbildung. Dadurch erhalten die Bilder aber keine Tiefe, sondern es wird ihnen eine vermeintliche Bedeutung angehängt. Die Bilder sind, für sich gesehen hochwertig und nicht “normale Blumenmakros” – aber die Tiefe, von der ich spreche, besitzen sie nicht. – Hätten sie Tiefe, bräuchten sie keinen Text, der ihnen den Kontext gibt, sie könnten – ohne Worte im Dialog mit anderen Bildern zu Tiefe kommen. Als Gesamtserie, nicht als Einzelbilder – ich biete Dir an, zu telefonieren, manchmal ist eine direktere Kommunikation hilfreicher als zeitversetzte, schriftliche Kommunikation.

          • Rolf Norgaard

            Ja, wir können gerne mal telefonieren. Im Augenblick bin ich allerdings unterwegs und komme nicht dazu. Zumindest nicht in Ruhe. Wenn du mir deine Nummer und ungefähr die Zeiten in denen du erreichbar bist in einer Mail an die E-Mail Adresse aus dem Impressum schickst find ich die Mail wenn ich heim komme. Das Thema beschäftigt mich insofern als ich mir gerade die unglaublich starken Einflüsse von Titel, Subtext und Context auf Bilder verdeutliche. Und ich frag mich, ob es das wirklich gibt, ein Bild daß für sich spricht, dass mich ohne Sprache anspricht? By the way, hast du schon Mal ein Bild gemacht, von dem Du denkst v, dass es das tut?

          • Thomas Bregulla

            Mail ist raus.
            Ich kenne kein Bild von Relevanz, das einen Titel oder sonstwie geartete Worte braucht.
            Die Frage ist, ob Du den Betrachtern Deiner Bilder zulässt, dass sie ihre eigene Interpretation haben dürfen. Ein Titel, ein Text zum Bild ist der Versuch den Betrachter in eine bestimmte Richtung zu manipulieren. Bilder dürfen für sich selbst sprechen und stehen. Deine Bilder können das auch. Ich hätte da auch schon eine Idee…

  2. JOHNDOE

    Auch die Betrachter der Galerien beim Fotoherbst dürften nach dem WOW-Effekt entscheiden, so wie in eurem Fotoclub. Daher würde mich schon im Detail interessieren, wie ihr als Jury vorgeht. Achtet ihr darauf, wie z.B.Schärfe/Unschärfe, goldener Schnitt usw. eingesetzt wird? Aber dann würde vielleicht mancher Starfotograf schlecht abschneiden, denn von ihnen werden die Regeln oft bewusst gebrochen. Müsste nicht immer nach dem WOW-Effekt entschieden werden? Wie wählen Starfotografen ihre Bilder aus?

    • Rolf Noe

      Welcome back mr. Doe! Schwierige Fragen. Ich versuchs trotzdem mal. Der WoW-Effekt ist insofern problematisch als er eine anfängliche und oft vorübergehende Überwältigung ist. Im Unterschied zu dem was Roland Barthes das punctum nennt. Das ist eine Kleinigkeit, ein Teilaspekt der einen an einem Bild fesselt, wo es oft erst mal ein Weilchen braucht, bis man überhaupt drauf kommt was es ist. Das ist ein persönlicherer und nachhaltigerer Effekt als das initiale WoW. Der Wow Effekt braucht auch nicht viel Wissen über das, was auf dem Bild zu sehen ist (Barthes nennt es das studium). Man braucht es nicht zu verstehen um begeistert zu sein. Bei unserem letzten Treffen hat ein Clubmitglied gesagt, dass er nach der Diskussion über die Bilder ganz anders darüber entschieden hätte, welches das bessere Bild sei, als nach dem ersten Betrachten der Bilder. Es ist nichts verkehrtes daran sich begeitern zu lassen, aberes ist eben nicht Alles. Bei Serien ist das nochmal ganz anders. Aber zu den Kriterien beim Fotoherbst morgen mehr. Gute Nacht!

    • Rolf Noe

      Beim Fotoherbst ist es eine ganz andere Situation. Zum einen geht es um die Serie und nicht um das Einzelbild, zum Anderen geht es darum ein interessante Ausstellung zuusammenzustellen.
      Es ist also gewissermaßen immer auch ein kuratorischen Blick, der über drin oder draußen entscheidet. Was Bewertung angeht eine Sondersituation. Oft gibt es Serien mit sehr beeindruckenden Einzelbildern drin, die dann abert durch schwache , unpassende oder sonstwie nicht überzeugende Bilder sich diqualifizieren. Im Extremfall kann es sogar sein dass eine an sich starke Serie durch einen Ausreißer entwertet wird. Und man kann ja nicht mit den Einsendern sprechen und Sie bitten das Bild zu ersetzen oder rauszunehmen. Das ist dann halt Pech bzw. kanpp daneben ist halt nicht drin.

      • JOHNDOE

        Das mit dem WoW-Effekt ist ein interessantes Thema. Dass er nur anfänglich sein kann zeigt das Beispiel des Clubmitglieds. Ich würde aber sagen, wenn er auch nur anfänglich ist, ist er absolut notwendig, um aus der heutigen Bilderflut herauszustechen. Vielen Dank für die Erläuterungen, der Jurierung beim Fotoherbst. Wahrscheinlich ist die Anzahl der Beiträge zu diesem Event überschaubar, so dass ihr genügend Zeit habt euch mit den Serien auseinanderzusetzen. Aber was wäre, wenn ihr einige tausend eingesandte Serien hättet? Würdet ihr dann nicht auch eine Vorauswahl mit Hilfe des Wow-Effekts machen? Bei Bildern in einer Galerie ist der WoW-Effekt wahrscheinlich nicht notwendig. Die Besucher gehen dorthin und planen genügend Zeit, zum Betrachten der Bilder, ein. Genauso dürfte es auch bei den Betrachtern der Fotoherbst-Serien sein. Um aber bei Flickr und Co. erst einmal einen Betrachter fest zu halten, braucht es den WoW-Effekt.

        • Rolf Noe

          Ja, das ist ein Problem. Wenn man leise Bilder macht, die sich nicht aufdrängen wird man schnell überblättert (weggewischt). Im übrigen auch wenn man ungewöhnliche Bilder macht, aber da hat man dann wenigstens die Chance über die Irritation Aufmerksamkeit zu bekommen. Wenn man nicht übersehen werden möchte empfiehlt es sich also zumindest einen eye-catcher einzubauen oder so beeindrückende Ansichten zu bieten, dass man wahrgenommen wird. Das ist nicht Jedermanns Sache. Alternativ könnte man auch die Nische suchen. Letztlich machen wir hier nichts anderes, als eine Nische für Nachdenkliche und Photoflüsterer zu schaffen.

  3. Harald S.

    Hier wird wieder deutlich, dass das Medium die Botschaft ist, wie McLuhan sagte. Die Ausstellung zwingt den Betrachter -– vor allem die Jury – , sich mit den Bildern zu beschäftigen. Die Besucher der Ausstellung haben sich schon einmal die Mühe gemacht, den Weg zum Ausstellungsort zurückzulegen, also verweilen sie auch bei den Bildern und betrachten sie länger. Wer zum Fotoclub kommt, hat ebenfalls ein Interesse zu sehen, wer was mitgebracht hat und sich vielleicht dazu zu äußern. Zudem hat sie oder er an dem Abend nichts anderes vor. Wer hingegen auf Flickr oder einer anderen Plattform Bilder anschaut, hat den geringsten Aufwand. Das nächste Bild ist nur einen Mausklick oder eine Fingergeste entfernt. Ich denke, Aufwand und Aufmerksamkeit stehen in einem direkten Verhältnis zueinander.

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