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Oh, Tannenbaum

Wenn ich in den Bildern krame, die mein Vater im Laufe der Jahre von der Familie gemacht hat, finde ich wahrscheinlich für jedes Jahr mindestens ein Bild unterm Weihnachtsbaum. Es ist interessant darüber nachzudenken, wie diese jahrelange, ja jahrzehntelange, Tradition, die in irgendeiner Form immer am Ende des Jahres stattgefunden hat, eine eigene eigenartige Beharrungskraft entwickelt, die, auch wenn man eigentlich nur noch wenig damit auf dem Hut hat, trotzdem dazu führt, dass man bestimmte Rituale wieder und immer wieder wiederholt.

Ein Teil des Zwangs in diese Richtung entsteht durch die Umgebung. Wenn aus allen Lautsprechern die modernen Versionen der traditionellen Weihnachtslieder schallen und selbst wenn man es, wie ich, schafft, sich von den Weihnachtsmärkten fernzuhalten, flattert einem Weihnachten in Form von Online-Kaufangeboten, Prospekt-Werbung und so weiter unweigerlich ins Haus.

When I rummage through the pictures my father has taken of the family over the years, I can probably find at least one picture under the Christmas tree for every year. It’s interesting to think about how this long-standing, even decades-long tradition, which has always taken place in some form at the end of the year, develops its own peculiar persistence which, even if you don’t really have much to do with it, leads you to repeat certain rituals over and over again.

Part of the compulsion in this direction comes from the environment. When the modern versions of traditional Christmas carols are blaring from every loudspeaker and even if, like me, you manage to stay away from the Christmas markets, Christmas inevitably flutters into your house in the form of online shopping offers, brochure advertising and so on.

Mein jüngeres ich, mein Vater und sein Vater / My youger self , my father and his father

Ich habe letztlich auch gar nichts dagegen zu feiern und wenn man ein bisschen tiefer gräbt, findet man ja unter den christlichen Bräuchen tatsächlich auch Wurzeln der noch älteren Traditionen, die wohl, zumindest auf der nördlichen Halbkugel, seit Urzeiten das Wiedererstarken des Lichtes feiern.

Was auch als eine durchaus nachvollziehbare Tradition betrachtet werden könnte, ist das Entzünden von Lichtern. Dadurch, dass die Tage immer kürzer, die Nächte immer länger werden, entsteht ein gewisses Bedürfnis nach Licht und auch danach, das Licht ein Stückchen auch in die Nacht hinein leuchten zu lassen. So gibt es auch in meinem Fenster eine stromsparende LED Lichterkette, die den Weihnachtsbaum ersetzt und sowohl nach innen als auch nach außen signalisiert. dass ich auch zu denen gehöre, die sich nach mehr Licht sehen.

Was ein bisschen eigenartig ist, ist, dass dieser Wendepunkt bei uns zweimal gefeiert wird, einmal in Form von Weihnachten kurze Zeit nach der Wintersonnenwende und zum zweiten in Form von Neujahr, was ja auch einen Neubeginn, einen neuen Start in die nächste Runde bedeutet. Womit ich mich auch anfreunden kann, ist dieser zyklische Charakter, der jedes Jahr von neuem feiert, dass es wieder aufwärts geht. Das ist möglicherweise auch ein Überbleibsel aus den vor theistischen Zeiten als die Menschen das Wunder, dass die Vegetation immer wieder von Neuem anfängt zu sprießen, und später Früchte trägt, jedes Mal neu gefeiert haben, durch Feste, die die einzelnen Stationen dieses Fruchtbarkeitszyklus betonen.

Was das alles mit Fotografie zu tun hat, kann ich jetzt auch nicht sagen. Die Zeiten, als ich noch auf Weihnachtsmärkten die Karussells und die Lichterketten photographiert habe und mich mit Bokeh-Spielchen amüsiert habe, sind im Wesentlichen durch. Allenfalls wird noch im Familien Chat ein Bild des Adventskranzes oder der Fenster Dekoration gepostet, um den anderen Familienmitgliedern zu signalisieren, dass man ja doch irgendwie noch dabei ist die guten alten Traditionen zu pflegen.

Was ich eben in den Zeiten als die Kinder noch kleiner waren und Weihnachten tatsächlich unterm Baum stattgefunden hat, natürlich auch immer gemacht habe ist, dass ich die anwesenden Personen in entspannter Stimmung und warmem Licht porträtiert habe, was, wenn man die Jahre vergleicht, natürlich auch ein anschauliches Bild vom Werden und Vergehen abgibt. Auch das ist in den letzten Jahren auf das Anfertigen von ein paar schnellen Handy-Bildern reduziert und dient im Wesentlichen dazu, den Familienmitgliedern, die bei der aktuellen Feier nicht dabei sind, einen Eindruck zu vermitteln, wie das „Fest“ stattgefunden hat und wer alles dabei war. Weihnachten in Zeiten von „social media“ eben.

Ultimately, I have nothing against celebrating and if you dig a little deeper, you can actually find roots of even older traditions among the Christian customs, which have probably been celebrating the revival of light since time immemorial, at least in the northern hemisphere.

The lighting of candles could also be seen as a perfectly understandable tradition. As the days get shorter and shorter and the nights get longer and longer, there is a certain need for light and to let the light shine a little into the night. So there is also an energy-saving LED light chain in my window, which replaces the Christmas tree and signals both inside and out that I am also one of those who are looking for more light.

What is a little strange is that this turning point is celebrated twice here, once in the form of Christmas shortly after the winter solstice and secondly in the form of New Year, which also means a new beginning, a new start to the next round. What I can also get behind is this cyclical character, which celebrates the fact that things are looking up again every year. This is possibly also a remnant from pre-theistic times when people celebrated the miracle of vegetation starting to sprout again and again and later bearing fruit anew each time, through festivals that emphasize the individual stages of this fertility cycle.

I can’t say what all this has to do with photography. The days when I photographed the carousels and fairy lights at Christmas markets and amused myself with bokeh games are essentially over. At most, a picture of the Advent wreath or the window decorations is posted in the family chat to signal to the other family members that you are somehow still keeping up the good old traditions.

What I also used to do when the children were younger and Christmas actually took place under the tree was to take portraits of the people present in a relaxed mood and warm light, which, if you compare the years, also gives a vivid picture of becoming and passing. In recent years, this has also been reduced to taking a few quick cell phone pictures and essentially serves to give family members who are not present at the current celebration an impression of how the “celebration” took place and who was there. Christmas in the age of social media.

Natürlich gehören zu Weihnachten auch die Geschenke. Und dieses Jahr habe ich mir selbst ein Geschenk gemacht und mir das köstliche Photo-Buch „O Tannenbaum“ von Nikita Teryoshin (pupupublishing) bestellt. Vom Thema her ist es natürlich eher ein nachweihnachtliches Buch, weil es darin darum geht, wo die ganzen Tannenbäume landen, wenn sie brav ihren Dienst getan haben. Ein schönes Bild unserer Wegwerfgesellschaft.

Of course, Christmas also includes presents. And this year I gave myself a present and ordered the delicious photo book “O Christmas Tree” by Nikita Teryoshin (pupupublishing). It’s more of a post-Christmas book, of course, because it’s about where all the Christmas trees end up after they’ve done their duty. A nice picture of our throwaway society.

2 Comments

  1. Gerda

    Nur von meinem ersten Weihnachten 1942 gibt es ein Foto. Vermutlich hatte der uns besuchende Onkel einen Fotoapparat. Den nächsten bekam dann meine Schwester, ca zwölf Jahre später, geschenkt. Von da an gibt es dann auch wieder Fotos, aber nicht unterm Weihnachtsbaum, soviel ich mich erinnere.

    • Rolf Noe

      Hallo Gerda, gut dokumentiert zu sein macht auch nicht unbedingt glücklicher. Neben der scheinbaren Kontinuität tritt ja auch der Verfall deutlich vor Augen. Aber machen wir uns nichts draus, feiern wir lieber die Feste wie sie fallen, unabhängig davon, ob uns der Anlass wirklich berührt oder nicht. Schöne Zeit Dir!

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