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Sibylle Bergemann in Hermannstadt/Sibiu

Es war eigentlich auf meiner Hermannstadt-Reise nicht mein primäres Ziel, Photoausstellungen zu besuchen. Aber wie das so ist, wenn sich die Gelegenheit bietet, dann sag’ ich nicht nein. Bedanken muss ich mich beim Goethe-Institut, dass es möglich gemacht hat, dass diese außerordentlich spannende Ausstellung mit Werken von Sibylle Bergemann in Europa rumreisen und gezeigt werden kann.

Die Ausstellung fand im Rahmen eines Kunstfestivals statt und hat mehr oder weniger alle Räume des Museums für zeitgenössische Kunst in der ehemaligen Quergasse (heute Str. Tribunei) bespielt. Es ist eine Retrospektive und zeigt einen (hoffentlich) aussagekräftigen Querschnitt von Bergemanns Werk.

Um besser zu verstehen, warum dieses Werk hervorragend zu Hermannstadt passt, müssen wir uns zuerst mal ein wenig in die Biographie von Sibylle Bergemann und dann in die jüngste Geschichte Hermannstadts bzw. Siebenbürgens begeben.

Sibylle Bergemann wurde 1941 in Berlin geboren und ist 2010 bei Brandenburg gestorben. Sie hat von Arno Fischer,  ihrem späteren Mann, das photographieren gelernt und war ab 1967 als freie Photographin in der DDR für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und Verlage tätig. 1975 bis 1986 arbeitete sie im Staatsauftrag an einer Dokumentation über die Entstehung einer Bronzestatue von Karl Marx und Friedrich Engels, den geistigen Vätern des Kommunismus. Aber sie – und das wurde in der Ausstellung in Hermannstadt auch deutlich – photographierte eben auch Mode, Portraits und Stadtansichten.

Nach der Wende war Sibylle Bergemann Gründungsmitglied der Photographenagentur Ostkreuz  und sie unterrichtete zusammen mit ihrem Mann ab 2005 an der Ostkreuzschule für Fotografie.

Sie war sowohl vor der Wende Mitglied im ‚Verband Bildender Künstler der DDR‘ als auch nach der Wende Mitglied der ‚Akademie der Künste‘‚ in Berlin.

Nun zur Parallele mit Hermannstadt. Ich hatte das bisher nicht so auf dem Schirm, weil ich mich wenig über das Schicksal meiner Geburtsstadt auf dem Laufenden gehalten habe. Aber auch hier war die „Wende“ (hier der Zusammenbruch des ehemaligen Ostblocks und das Ende der Schreckensherrschaft Ceausescus) ein massiver Einschnitt, der unter anderem zur Folge hatte, dass fast 90% der im Land verbliebenen deutschsprachigen Menschen das Land verlassen haben. Aber natürlich gab es auch Kontinuität und Neuanfang. Da möchte ich gar nicht weiter darauf eingehen, aber der Bruch hat mich natürlich bei der Betrachtung der Bilder in diesem Kontext mit beeinflusst. Dazu ein Ausschnitt aus meinem Reisetagebuch:

„Nach einem Kaffee im Erasmus Kultur Café  bin ich in die Ausstellung von Sibylle Bergemann im Museum für zeitgenössische Kunst gegangen und habe mir die Fotos angeschaut. Es war eine Art Retrospektive mit vielen Vor-Wende Schwarz-Weiß-Bildern vor allem aus Berlin, Portraits, Polaroids und einer Serie von Menschen mit Trisomie, die in einem Theater-Projekt mitgewirkt hatten.

Visiting photo exhibitions wasn’t actually my primary goal on my trip to Sibiu. But as is often the case, when the opportunity arises, I don’t say no. I have to thank the Goethe-Institut for making it possible for this extraordinarily exciting exhibition of works by Sibylle Bergemann to travel around Europe and be shown.


The exhibition took place as part of an art festival and occupied more or less all the rooms of the Museum of Contemporary Art in the former Quergasse (now Str. Tribunei). It is a retrospective and shows a (hopefully) meaningful cross-section of Bergemann’s work.


To better understand why this work is so well suited to Sibiu, we must first take a brief look at Sibylle Bergemann’s biography and then at the recent history of Sibiu and Transylvania.


Sibylle Bergemann was born in Berlin in 1941 and died near Brandenburg in 2010. She learned photography from Arno Fischer, who later became her husband, and from 1967 onwards worked as a freelance photographer in the GDR for various newspapers, magazines, and publishers. From 1975 to 1986, she worked on a state commission to document the creation of a bronze statue of Karl Marx and Friedrich Engels, the intellectual fathers of communism. But she also photographed fashion, portraits, and cityscapes, as was evident in the exhibition in Sibiu.


After the fall of the Berlin Wall, Sibylle Bergemann was a founding member of the Ostkreuz photography agency  and, together with her husband, taught at the Ostkreuz School of Photography  from 2005 onwards.


Before reunification, she was a member of the Association of Visual Artists of the GDR, and after reunification, she was a member of the Academy of Arts in Berlin.


Now to the parallel with Sibiu. I hadn’t really thought about this before, because I hadn’t kept up to date with the fate of my hometown. But here, too, the “Wende” (in this case, the collapse of the former Eastern Bloc and the end of Ceausescu’s reign of terror) was a massive turning point, which resulted, among other things, in almost 90% of the German-speaking people remaining in the country leaving. But of course, there was also continuity and a new beginning. I don’t want to go into that further, but the break naturally influenced me when viewing the pictures in this context. Here is an excerpt from my travel diary:


“After a coffee at the Erasmus Kultur Café, I went to Sibylle Bergemann’s exhibition at the Museum of Contemporary Art and looked at the photos. It was a kind of retrospective with many pre-reunification black-and-white pictures, mainly from Berlin, portraits, Polaroids, and a series of people with trisomy who had participated in a theater project.

Aber es gab auch sehr ansprechende Farbbilder, großformatig ausgedruckt, aus Afrika aus den Jahren um die Jahrtausendwende sowie eine Serie von fantastischen Bildern aus den Nuller-Jahren in Zusammenarbeit mit Wenzel Storch aus Hildesheim entstanden sind der die Requisiten dazu gesammelt hatte.

But there were also very appealing color images, printed in large format, from Africa from around the turn of the millennium, as well as a series of fantastic images from the 2000s created in collaboration with Wenzel Storch from Hildesheim, who had collected the props for them.

Ich hatte zuerst ein wenig Probleme im Vor-Wende und Nach-Wende Bilder zu sortieren, da Sibylle Bergemann wohl auch schon in der DDR-Zeit im Auftrag der Zeitschriften gereist ist und Bilder aus New York und Paris mitgebracht hat, aber ein zweiter Durchgang durch die Ausstellung hat da geholfen. Erst fand ich es ein wenig schade, dass die Chronologie nicht eingehalten wurde, dann hat sich aber die Einteilung in Werkgruppen und Serien doch als recht tragend herausgestellt.“

At first, I had a little trouble sorting the pre-reunification and post-reunification pictures, as Sibylle Bergemann had already been travelling on behalf of magazines during the GDR era and had brought back pictures from New York and Paris, but a second viewing of the exhibition helped. At first, I thought it was a bit of a shame that the chronology wasn’t followed, but then the division into groups of works and series turned out to be quite effective.

Soweit mein erster Eindruck dort. Ergänzend möchte ich noch ein paar Gedanken zu dem Mammut-Projekt der „Marx/Engels-Staue“ loswerden, die mit 9 Bilder prominent in der Ausstellung vertreten war. Auf der einen Seite ist es ein Auftrag des „Unrechtsstaates“, der da erfüllt wird, auf der anderen Seite aber habe ich in der Art der Umsetzung des Projektes (zumindest so wie es in dieser Ausstellung präsentiert wurde) durchaus eine Art Widerstand gegen die Einheits-Linie wahrnehmen können. In der Art wie die Statue als „fragmentiert“, „hohl“ und als „konstruiert“ gezeigt wird, kommt für mich eine stille Verweigerung zum Ausdruck, die natürlich kontextabhängig, selektiv und subjektiv ist, aber eben in mein Bild vom Leben im real existierenden Sozialismus passt, das wohl so unterschiedlich in Rumänien und in der DDR nicht gewesen sein wird. Real erfahren habe ich dies nur als Kind, gut abgeschirmt durch Familie und Solidarität der deutschsprachigen Minderheit.

That was my first impression there. I would like to add a few thoughts on the mammoth project of the “Marx/Engels Statue,” which was prominently featured in the exhibition with 9 images. On the one hand, it is a commission from the “unjust state” that is being fulfilled, but on the other hand, I was able to perceive a kind of resistance to the party line in the way the project was implemented (at least as it was presented in this exhibition). The way the statue is shown as “fragmented,” “hollow,” and “constructed” expresses, for me, a silent refusal that is, of course, context-dependent, selective, and subjective, but fits into my image of life under real existing socialism, which probably wasn’t so different in Romania and the GDR. I only experienced this firsthand as a child, well shielded by my family and the solidarity of the German-speaking minority.

Soweit zu dieser Ausstellung. Das ist natürlich noch lange nicht genug, um das Lebenswerk von Sibylle Bergemann und ihrem Mann zu würdigen, es ist auch immer noch nicht eine intensivere Auseinandersetzung mit der Photographie in der DDR und schon gar nicht das, was ich schon eine Weile über Agentur Ostkreuz und Ostkreuzschule gerne geschrieben hätte, aber es ist mal ein Anfang.

Zum Schluss möchte ich noch, auch um die Fallhöhe zwischen dieser Ausstellung und den zwei oder drei anderen Photoausstellungen, die ich in Hermannstadt gesehen habe anzudeuten, diese wenigstens erwähnen. Einmal gab es auf dem Großen Ring im Rahmen einer Art Oeko-Messe eine Ausstellung mit Bildern aus den Fogarascher Bergen, die alle sehr schön und zur touristischen Betätigung einladend waren, aber eben nicht das, was ich von dokumentarischer Photographie erwarte. Und dann eine Ausstellung in der ASTRA- Bibliothek mit ebenfalls sehr schönen Naturbilder eines Fotografen, dessen Namen ich schon wieder vergessen habe. Schöner war der Ausblick vom Dachgarten dieses Gebäudes echt und live auf die Dächer Hermannstadts.

So much for this exhibition. Of course, this is nowhere near enough to do justice to the life’s work of Sibylle Bergemann and her husband, nor is it a more intensive examination of photography in the GDR, and certainly not what I have been wanting to write about the Ostkreuz agency and Ostkreuzschule for some time, but it’s a start.


Finally, I would like to mention the two or three other photo exhibitions I saw in Sibiu, if only to highlight the contrast between this exhibition and them. First, there was an exhibition on the large ring as part of a kind of eco-fair with pictures from the Făgăraș Mountains, all of which were very beautiful and inviting for tourist activities, but not what I expect from documentary photography. And then there was an exhibition in the ASTRA library with equally beautiful nature pictures by a photographer whose name I have already forgotten. The view from the roof garden of this building, overlooking the rooftops of Sibiu, was truly beautiful.

6 Comments

  1. meinolfthomas

    Ich habe diese Ausstellung in Berlin gesehen – in der Tat beeindruckende Photographien.
    Ein Besuch in Hermannstadt, das doch einmal europäische Kulturhauptstadt war, lohnt sich wahrscheinlich sowieso, oder?

    • Rolf Noe

      Ich kann einen Besuch nur empfehlen, seit dem Jahr der Kulturhauptstadt ist die Altstadt auch weiter hergerichtet und gepflegt worden. Man spaziert das durch 800 Jahre Geschichte, die deutlich von den deutschsprachigen Siedlern, aber auch von der Österreichisch-Ungarischen Monarchie geprägt ist. Es gibt eine deutsche Buchhandlung, ein deutschsprachiges Kulturzentrum und vieles mehr. Ich muß zugeben, dass meine Begeisterung sich natürlich auch daraus speist, dass ich in Hermannstadt geboren wurde, aber ich denke auch ohne diesen Bezug lohnt sich ein Besuch.

      • meinolfthomas

        Vielen Dank! Wahrscheinlich werde ich der Empfehlung folgen, wenn auch nicht bald. Von Berlin aus ist man mit der Bahn, über Budapest, ungefähr dreiundzwanzig Stunden unterwegs. (Innerhalb Europas möchte ich nicht per Flugzeug reisen.)
        1991 war ich per Mitfahrgelegenheit nach Budapest gefahren. Der Fahrer sagte, Ungarn sei zwar auch schön, aber Rumänien erst!

        • Rolf Noe

          Wir sind geflogen. Mehr als eine Tagesreise in Auto oder Bahn will ich meinem Körper und meinen Nerven nicht mehr zumuten (oder 27 Stunden im Flixbus :-))

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