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Spaziergang durch den demokratischen Wald / Walk through the Democratic Forest

Wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass ich hauptsächlich wegen dieser Ausstellung nach Berlin gefahren bin für die meisten EMOP (europäischer Monat der Fotografie)-Ausstellungen war es Anfang April eh schon zu spät. Aber William Eggleston hat gefühlt einen so großen Einfluss auf die Art wie ich heute Bilder mache und verteile, dass es eigentlich kaum zu glauben ist, dass ich noch nie eine Ausstellung mit Bildern von ihm gesehen habe.

Was tatsächlich öfter durch meinen inneren Bilderreigen geistert, ist das Dreirad, von dem ich inzwischen weiß, dass es das Cover von Egglestons erstem Buch ziert. Was ich auch noch im Rahmen dieser Ausstellung, in einem Film über Eggleston gesehen habe, ist ein frühes Kinderbild von ihm, auf dem im Hintergrund so ein Dreirad rumliegt. Ob es grün war, können wir nur raten, da es sich um ein Schwarz-Weiß-Bild handelte. Hier liegt aber meines Erachtens schon der erste Schlüssel für Egglestons fotografisches Werk. Jedes Bild hat etwas mit ihm zu tun. Er photographiert, was in anspricht.

If I’m honest, I have to admit that I went to Berlin mainly because of this exhibition – for most EMOP (European Month of Photography) exhibitions, it was already too late at the beginning of April anyway. But William Eggleston has had such a big influence on the way I make and distribute images today that it is actually hard to believe that I have never seen an exhibition with images by him.

What actually ghosts through my inner roundabout of images more often is the tricycle that I now know graces the cover of Eggleston’s first book. What I have also seen in the context of this exhibition, in a film about Eggleston, is an early childhood picture of him with such a tricycle lying around in the background. Whether it was green, we can only guess, because it was a black and white picture. But here, in my opinion, lies the first key to Eggleston’s photographic work. Every picture has something to do with him. He photographs what appeals to him.

Die zweite Besonderheit ist, dass er nach eigener Aussage nie zwei Bilder vom gleichen Objekt/der gleichen Situation macht. Das spart ihm, so sagt er, die lästige Frage, welches von mehreren Bildern das bessere sei. Das heißt andererseits, dass er sich durch diese harte Selbstbeschränkung über die Jahre geschult hat, es gleich richtig hinzubekommen. Klar ist auch, es geht immer um Amerika, um genauer zu sein, um die südlichen Staaten Mississippi, Louisiana, Alabama, und Arkansas, rund um Tennessee, wo sich seine Heimatstadt Memphis befindet, und es geht noch ein wenig enger gefasst um Motive aus seinem unmittelbaren Umfeld, seiner Familie, dem Haus seines Schwagers etc.

Und dann ist da noch die Sache mit dem „demokratischen“ -das heißt nicht, dass irgendetwas abgestimmt werden muss, sondern dass jedes Motiv das „Recht“ hat, ernst genommen und aufgenommen zu werden. Es gibt keine Kriterien aus dem Urteilsvermögen heraus, kein hübsch oder hässlich, kein wichtig oder unwichtig, kein banal oder bedeutend. Die Frage, ob etwas auf dem Film (auf dem Sensor) kommt, wird ausschließlich auf radikal subjektive Weise vom optischen Eindruck her entschieden. Dementsprechend gibt es in der Ausstellung alle möglichen Genres zu sehen: (urbane) Landschaften, Portraits, Stillleben von Alltagsgegenständen, Dinge, Menschen, Orte, Situationen – alles!

The second peculiarity is that he says he never takes two pictures of the same object/situation. This saves him, he says, the tiresome question of which of several pictures is the better one. On the other hand, this means that he has trained himself over the years to get it right already in the first try by this hard self-restraint. It’s also clear that it’s always about America, to be more precise about the southern states of Mississippi, Louisiana, Alabama, and Arkansas around Tennessee, where his hometown of Memphis is located, and it’s even more narrowly about motifs from his immediate surroundings, his family, his brother-in-law’s house, etc.

And then there’s the matter of “democratic” -this doesn’t mean that anything has to be voted on, but that every motive has the “right” to be taken seriously and included. There are no criteria from judgment, no pretty or ugly, no important or unimportant, no banal or significant. The question of, whether something comes on film (on the sensor) is decided exclusively in a radically subjective way from the optical impression. Accordingly, there are all kinds of genres to see in the exhibition: (urban) landscapes, portraits, still lifes of everyday objects, things, people, places, situations – everything!
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Oft wird noch die Farbe hervorgehoben, aber Eggleston hat anfangs auch schwarz-weiß Bilder gemacht, die auch in dieser Ausstellung zu sehen sind. Ob es nun das Innere einer Backröhre in schwarz-weiß oder das Innere eines Kühlfachs in Farbe ist spielt erstmal keine Rolle. Er war einfach der Erste, der es „gewagt” hat, Farbbilder in einer Ausstellung zu zeigen. Saul Leiter hat wie sich später gezeigt hat schon viel früher in Farbe photographiert, aber er hat diese Bilder damals nicht ausgestellt (bekommen). Das Dogma, dass Photo-Kunst Schwarz-Weiß zu sein hat und dass Farbe nur etwas für Amateure und die Werbebranche sei, saß noch zu tief. Auch Eggleston hätte es nicht ohne die Unterstützung von John Szarkowski geschafft, der 1976 Egglestons erste Ausstellung im Museum of Modern Art (MoMA) in New York organisiert und durchgesetzt hat. Die ersten Reaktionen auf diese erste „bunte “Ausstellung waren zum Teil verheerend. Aber die Geschichte hat das bald zurechtgerückt. Heute sind schwarz-weiß Fotografien eher die Ausnahme oder werden so rezipiert, dass man denkt sie wären deswegen schwarz-weiß, weil sie von früher sind.

Often color is still emphasized, but Eggleston also made black-and-white pictures in the beginning, which can also be seen in this exhibition. Whether it’s the inside of a baking tube in black and white or the inside of a refrigerator compartment in color doesn’t matter for now. He was simply the first to “dare” to show color pictures in an exhibition. Saul Leiter, as it turned out, had photographed in color much earlier, but he did not exhibit or let exhibit these pictures at that time. The dogma that photo art has to be black and white and that color is only something for amateurs and the advertising industry was still too deep. Nor would Eggleston have made it without the support of John Szarkowski, who organized and pushed through Eggleston’s first exhibition at the Museum of Modern Art (MoMA) in New York in 1976. Some of the initial reactions to this first “colorful” exhibition were devastating. But history soon set that straight. Today, black-and-white photographs tend to be the exception or are received in such a way that people think they are black-and-white because they are from the past.

Der Ort, wo ich selbst den „demokratischen“ Gedanken am konsequentesten praktiziere, ist, sieht man von diesem Blog ab, mein Instagram-Stream. Es ist zwar nicht ein Bild von jeder Situation, sondern in der Regel drei, aber ansonsten darf da alles rein, sogar Blümchen 😊.

Am Museumskiosk habe ich mir eine Ausgabe von “Der Greif” gekauft, nicht weil ich irgendetwas davon verstehe, was da als Bilder gezeigt wird, sondern weil darin aber auch gar nichts erklärt oder betitelt wird. Und damit wären wir bei dem letzten Merkmal von Egglestons Photographie, mit dem ich mich hier beschäftigen möchte. Seine Weigerung, irgendetwas zu erklären, die Bilder zu betiteln oder kontextuell einzuordnen. Hier müssen die Bilder tatsächlich den Job allein machen und man muss zugeben – was immer man auch darüber denkt, ob Bilder erklärt werden müssen – es funktioniert. Die Bilder wirken als das, was sie sind und gut is.

The place where I myself practice the “democratic” idea most consistently, apart from this blog, is my Instagram stream. It is not one picture of each situation, but usually three, but otherwise everything is allowed in there, even flowers 😊.

At the museum kiosk I bought an issue of  “Der Greif”, not because I understand anything about what is shown there as pictures, but because in it also nothing is explained or titled. And that brings us to the last feature of Eggleston’s photography that I want to deal with here. His refusal to explain anything, to title or contextualize the images. Here the images really have to do the job alone, and you have to admit – whatever you think about whether images need to be explained – it works. The images work as what they are, and that’s good.

14 Comments

  1. Andreas

    Ich fand die Ausstellung super. Ich hatte vor ein paar Jahren bei der Ausstellung über die Kreuzberger Fotoschule schon einzelne Originale von ihm gesehen und hatte dementsprechend hohe Erwartungen, die nicht enttäuscht wurden. Im Gegenteil, ich war richtig geflasht. Danke für deinen zusammenfassenden Bericht.

  2. Harald S.

    Danke für den inspirierenden Bericht, Rolf. Ich werde leider zu spät in Berlin sein, um die Ausstellung zu sehen. Ich werde mich auf jeden Fall mit Eggleston beschäftigen.

  3. Stefan Brendle

    (Wenn´s morgens nicht anzukommen scheint, dann kommt´s vielleicht abends an? Also once again:)

    Das eine ist die kunsthistorische Einordnung eines bestimmten Fotografen. Das andere (um das es mir hier geht) ist – kunsthistorische Einordnung hin und her – seine aktuelle Rezeption.

    • Rolf Noe

      Ich muss deine Kommentare immer einzeln freigeben. Keine Ahnung warum. Und das dauert eben manchmal bis ich mitbekommen, dass Du versucht hast, was zu schreiben.
      Evtl. musst du deine E-Mail angeben. Ich hab noch nicht gefunden, womit ich dich dauerhaft freischalten kann.

  4. Thomas

    Danke für Deine Einsichten zu Egglestons Ausstellung im c/o.
    Eggleston hat ein sehr gutes Auge, was seine Motive angeht. Eine an sich triviale Situation wird dadurch bedeutend, dass es von ihm fotografiert und ausgestellt wird. Durch die Menge der Bilder, die er veröffentlicht kann man den Eindruck bekommen, jedes Auslösen führt zu einem ausstellbaren Foto. Das für die eigene Fotografie als Dogma zu übernehmen, halte ich das jedoch für gefährlich: Man zwingt sich selbst in ein Korsett, das einem den Spaß nimmt. Bisher habe ich alle Leute, die von sich ähnliches behaupteten, als Menschen auf Egotrip verstanden. Wir wissen nicht, wieviele Fotos Eggleston tatsächlich macht und wieviele ausgewählt werden. Er veröffentlicht viel, was ich persönlich schade finde, denn seine besten Fotos gehen neben den “geht-so” Fotos unter. Dabei halte ich es für unausgesprochen richtig, dass seine “geht-so” Fotos immer noch besser sind, als viele “sehr gute” Fotos mittelmässiger Fotografen.
    Beim Schreiben fällt mir eine Sache auf, über die ich in den letzten Tagen mehrfach nachgedacht habe: Das Vergleichen, das Denken über “gute”, “beste” oder “mittelmässige” Fotos oder Fotografen, führt zu nichts. Wenn ich von Eggleston etwas lerne, ist es genau das. Die Dinge so anzunehmen wie sie sind.
    Von anderen Fotografen haben ich gelernt: “You have to work it”, also mehrere Fotos zu machen, dabei sich zu bewegen, andere Blickwinkel einzunehmen, ohne auf das Display zu schauen, bis man zufrieden ist und denkt “das Bild” zu haben. Als Übung versuche ich die jeweiligen Vorgehensweisen immer wieder. Meine Erkenntnis daraus: Fotos, die ich nicht gemacht habe, kann ich nicht auswählen und manchmal habe ich einem Motiv zu wenig Aufmerksamkeit gegeben und dann daher kein Foto aussuchen.
    Ich würde gerne Kontaktbögen von Eggleston sehen, um noch mehr davon überzeugt zu sein, dass sein großes Talent von seiner Aufmerksamkeit zu den Details stammt.
    Er ist einfach ein großartiger Fotograf, die unvergleichbar ist.

    • Rolf Noe

      Man kann auf jeden Fall viel lernen von ihm. Inwiefern das `Eine Bild´ so stimmt oder evtl. auch ein mit der Zeit entstandener Selbstdarstellungs-Mythos ist, möchte ich gar nicht beurteilen.
      Was mich erstaunt hat, ist, dass ich ihm das abnehme, obwohl ich ja sonst immer für Titel, Erklärungen und Kontextualisierung eintrete. Ich nehme an, dass er doch stark ausgesucht hat, was er zeigt
      und dass selbst Monsterwerken wie dem neueren Demokratischen Wald immer noch eine Auswahl zugrunde liegt. Das relativiert natürlich die Erzählung, dass er immer alles richtig trifft (was nicht kommt halt weg).

      • Thomas

        Eggleston ist der Einzige, dem ich glaube, dass er eine Auslösung, ein Foto hat. Gleichzeitig wird immer eine Auswahl getroffen, denn so ein Buch ist eben begrenzt. Bei The Democratic Forest waren es ca. zwölftausend Fotos aus denen ca. 1000 Fotos für die 10 Bände ausgesucht wurden. https://www.cafelehmitz-photobooks.com/eggleston-william-the-democratic-forest.html
        Die Person Eggleston ist sicher kein Angeber, Das wäre ihm vermutlich zu profan. Wann immer ich Interviews mit ihm sehe, bekomme ich den Eindruck, dass ihm ganz viele Sachen fürchterlich egal sind und er sich viel weniger Gedanken darüber macht, als wir ihm zusprechen:

        • Andreas

          Kennst du eigentlichen den Aufsatz:

          Jens Schröter

          The Ephemeral and the Provisional …
          Anmerkungen zur Fotografie von Garry Winogrand und William Eggleston.

          Auf theorie-der-medien.de

          • Rolf Noe

            Ich kannte den (noch) nicht, aber Danke für den Tipp. Hab ihn inzwischen gelesen und fand ihn auch sehr interessant, vor allem,
            da er die Frage aufwirft, warum so vieles in der Photographie, was alles andere als künstlerisch gedacht war, dann freudestrahlend in den
            Kanon der Kunst aufgenommen wird.

  5. Stefan Brendle

    Also – worauf (um alles in der Welt) läuft´s hier jetzt raus?

    Was das Herstellen der Fotos betrifft: Irgendwas spricht optisch an, scheißegal, aus welchem Grund, und los geht die Knipserei. Und dabei dann nach Möglichkeit nur ein Foto pro Motiv, denn das überhebt der so lästigen wie objektiven Frage, welches Foto denn nun besser sei, und aller weiteren, dieser Frage anhängigen Reflexion. Und auch das Problem, mit dem jeweils einen Foto voll ins Schwarze zu treffen, ist nicht wirklich eins, denn man bewegt sich ja im so subjektiven wie bewertungsfreien Raum.

    Was das Zeigen/die Präsentation der Fotos betrifft: Man will beim Foto-Rezipieren nicht nur keine Titel lesen müssen, nichts erklärt und irgendwie eingeordnet kriegen, sondern überhaupt nichts verstehen. Jenseits allen Verstehens sollen Fotos als Fotos (Bilder als Bilder) wirken, zumal ein in Anführungszeichen zu setzendes Verstehen sowieso unmöglich sei, da ein Empfänger aus jeder ihm vom Sender zugeschickten Information etwas vollkommen anderes macht.

    • Rolf Noe

      Ja, das ist ohne die kunsthistorische Einordnung nicht so einfach zu verstehen. Damals war das eine Statement, auch wenn es heute trivial anmuten könnte. Ich bin ja selbst auch kein Fan von dekontextualisierten Bilderreigen, aber in diesem Fall war das ein Schritt in der Entwicklung der Photographie weg von den `schönen´Motiven hin zum Alltag.

  6. Stefan Holland-Cunz

    Vielen Dank für Deine, wie immer erhellenden Beobachtungen. Ich denke, dass es in der Tat Nicht die Bilder sind, die Texte brauchen, um zu wirken oder „verstanden“ zu werden. Viel mehr steht da immer ein Bild und ein Text, beide sind den Ideen und der Produktivität desjenigen zu verdanken, der sie gefertigt hat. Der Betrachter, Leser fügt Bild und Text zusammen oder auch nicht, immer aber verarbeitet der Empfänger die Informationen zu etwas vollkommen anderem, als der Sender es geschaffen hat.

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