Es steht schon länger an, über Nan Goldin zu schreiben, aber ich habe es immer wieder rausgeschoben. Wahrscheinlich, weil ich bisher immer auf den Inhalt der Bilder fixiert war, und dachte zu dieser Art von Lebenswelten keinen persönlichen Bezug herstellen zu können. Aber jetzt ist es so weit.
Ich möchte gerne ganz hinten anfangen. Bei Nan Goldins Engagement gegen die frei rezeptierbaren Opiate in den USA, ganz konkret gegen die Familie Sackler, die buchstäblich ihren Reichtum aus den Schmerzen der Amerikaner extrahiert hat. Mit ihrer Aktivistengruppe P.A I N (Prescription, Addiction, Intervention, Now) hat sie es geschafft die Sacklers aus ihrem „Artwashing“-Engagement bei den bekanntesten Museen herauszukicken. Angefangen hat dieses Engagement mit der Dokumentation ihrer eigenen Abhängigkeit in der Zeitschrift „Artforum“. Den nüchternen Blick, der dieses Engagement trägt, hat sie sich erkämpft, indem sie sich in den späten 80er Jahren einem Entzug in einer Klinik unterworfen hat. Diese könnte sie aber auch nur durchstehen, weil sie Freunde hatte, vor allem David Armstrong (1954 bis 2014), womit wir beim Thema wären.
Nan Goldins Photographie ist “Freunde-Photographie”, es ist das Anknüpfen, das Aufrechterhalten von Beziehungen und das Trauern um Freunde, von denen sie nicht wenige durch AIDS verloren hat.
Das ist mir absolut deutlich geworden, als ich mir die Ausstellung “High Noon” in den Deichtorhallen angeschaut habe. Dort sind nämlich neben den Bildern von Goldin auch Bilder von David Armstrong, Mark Morrisroe und Philipp Philip-Lorca DiCorcia zu sehen, alles Photographen, die zu Goldins Freundeskreis bzw. Dunstkreis gehört haben oder noch gehören. Zeitgleich findet in Berlin in der Neuen Nationalgalerie eine Einzelausstellung statt, die ich noch nicht gesehen habe. Wahrscheinlich bekommt man dort einen besseren Überblick, aber den besseren Einblick habe ich dank der Sammeltätigkeit von F.C, Gundlach hier in Hamburg bekommen.
F.C. Gundlach hat seit den später 80er Jahren Nan Goldin mit Ankäufen für seine Sammlung und Drucken für ihre Ausstellungen unterstützt und dabei auch eine ganze Reihe Bilder aus den Kameras ihrer Freunde mit in seine Sammlung aufgenommen.
Nan Goldin und David Armstrong können sich seit ihrer Schulzeit (1969) und waren eng befreundet, seit David Nan seine queeren Neigungen offenbart hatte. Sie haben gemeinsam in Boston Malerei studiert, in New York und Berlin zusammen gelebt und waren bis zu seinem Tod 2014 befreundet.
David Armstrong hat auch wie Goldin seine Freunde aus der queeren Subkultur photographiert, aber eher klassisch in einem Portrait-Setting und in Schwarz-Weiß. Er hat dafür einen ganz eigenen Stil entwickelt, der vor allem geprägt wurde durch die Vertrautheit mit seinen Models. Nan Goldin sagt, dass schon die allererste Aufnahme, die sie mit 15 Jahren machte, Armstrong gezeigt hatte und so photographierten sie sich gegenseitig, aber auch beide ihre Freunde so, dass manche davon bei beiden auftauchen, wie z.B. Cookie Mueller. Dieses Beziehungsgeflecht durch Photographie wird in der Hängung in Hamburg sehr deutlich und offenbart, wenn man sich tiefer darauf einlässt, Geschichten, die vor allem in Zeiten von AIDS nicht selten mit einem Foto des Sarges eines Freundes/einer Freundin enden.
I’ve been meaning to write about Nan Goldin for some time, but I kept putting it off. Probably because I’ve always been fixated on the content of the pictures and didn’t think I could make a personal connection to this kind of lifeworld. But now the time has come.
I would like to start at the very back. With Nan Goldin’s commitment against over-the-counter opiates in the USA, specifically against the Sackler family who have literally extracted their wealth from the pain of Americans. With her activist group P.A I N (Prescription, Addiction, Intervention, Now), she has managed to kick the Sacklers out of their “artwashing” engagement with the best-known museums. This commitment began with the documentation of her own addiction in the magazine “Artforum”. She fought for the sober view that underpins this commitment by undergoing withdrawal in a clinic in the late 1980s. However, she was only able to get through this because she had friends, especially David Armstrong (1954 to 2014), which brings us to the subject.
Nan Goldin’s photography is “friends photography”, it is about establishing and maintaining relationships and mourning friends, many of whom she lost to AIDS.
This became absolutely clear to me when I looked at the exhibition “High Noon” in the Deichtorhallen. Alongside Goldin’s pictures, there are also pictures by David Armstrong, Mark Morrisroe and Philipp Philip-Lorca DiCorcia, all photographers who belonged or still belong to Goldin’s circle of friends or haze. At the same time, a solo exhibition is taking place at the ‘Neue Nationalgalerie’ in Berlin, which I have not yet seen. You can probably get a better overview there, but I got a better insight thanks to F.C. Gundlach’s collecting activities here in Hamburg.
F.C. Gundlach has been supporting Nan Goldin since the late 1980s with purchases for his collection and prints for her exhibitions, and has also included a whole series of pictures from her friends’ cameras in his collection.
Nan Goldin and David Armstrong have known each other since their school days (1969) and have been close friends since David revealed to Nan his queer tendencies. They studied painting together in Boston, lived together in New York and Berlin, and were friends until his death in 2014.
Like Goldin, David Armstrong also photographed his friends from the queer subculture, but more classically in a portrait setting and in black and white. He has developed his very own style for this, which is primarily characterized by his familiarity with his models. Nan Goldin says that the very first picture she took at the age of 15 showed Armstrong, and so they photographed each other, but also both their friends, so that some of them appear in both pictures, such as Cookie Mueller. This network of relationships through photography becomes very clear in the hanging in Hamburg and, if you delve deeper into it, reveals stories that often end with a photo of a friend’s coffin, especially in times of AIDS.



Mark Morrisroe war aufgrund einer Schussverletzung gehbehindert, was ihn aber nicht daran hinderte auf den verschiedensten Bühnen des gesellschaftlichen Lebens mit seinen Kameras aufzutauchen. Er war nicht nur was sein Auftreten, sondern auch was ein Stil angeht, ein früher Punk und feilte sorgfältig an dem dreckigen Erscheinungsbild seiner Photos z.B. indem er ein Farb- und ein Schwarz-Weiß Negativ desselben Photos übereinanderlegte und das Ergebnis dann ausbelichtete. Er nannte das Sandwich-Negativ. Er ging wie die anderen Beiden mit Nan Goldin auf die Kunstschule in Boston und war ungeheuer kreativ, bevor er mit nur 30 Jahren starb.
Mark Morrisroe was disabled due to a gunshot wound, but this did not prevent him from appearing on various stages of social life with his cameras. He was an early punk, not only in appearance but also in style, and carefully honed the dirty appearance of his photos, for example by layering a color and a black and white negative of the same photo and then exposing the result. He called this a sandwich negative. Like the other two, he went to art school in Boston with Nan Goldin and was immensely creative before he died at the age of just 30.

Auch Philip-Lorca DiCorcia hat auf der Kunstschule in Boston studiert. Auch er war kein “Art Kid”, wie er selbst sagte, sondern wie die anderen ein Außenseiter in der Kunstwelt. Trotzdem wäre es verkehrt diese, im Sinne einer Schicksalsgemeinschaft, miteinander verbundenen Photographen als Künstlergruppe zu beschreiben. Dafür waren ihre Art zu photographieren viel zu unterschiedlich. Auch DiCorcia hat einen eigenen, ganz anders gelagerten Stil entwickelt. Er macht von der konzeptionellen Photographie herkommend etwas scheinbar Widersprüchliches. Er versucht, mit Freunden als Models beiläufige, alltägliche Szenen zu inszenieren und möchte damit so etwas wie Archetypen des amerikanischen Alltagslebens aufzeigen. Aber er dreht das Konzept zum Teil auch komplett um, indem er mit seiner sensorgetriggerten ‚Linhof‘ Passanten fotografiert. Hier wird das ikonisch-archetypische erst durch die Auswahl der zum Konzept passenden Bilder ermöglicht.
Philip-Lorca DiCorcia also studied at the art school in Boston. He, too, was not an “art kid”, as he himself said, but like the others an outsider in the art world. Nevertheless, it would be wrong to describe these photographers, who were linked together in the sense of a community of fate, as a group of artists. Their way of photographing was far too different for that. DiCorcia also developed his own very different style. Coming from conceptual photography, he does something seemingly contradictory. He tries to stage casual everyday scenes with friends as models and wants to show something like archetypes of everyday American life. But he also completely reverses the concept in part by photographing passers-by with his sensor-triggered ‘Linhof’. Here, the iconic-archetypal is only made possible by the selection of images that fit the concept.


Die Ausstellung in Hamburg ist nicht die erste gemeinsame Ausstellung der vier Künstler. Obwohl so unterschiedlich in ihren Arzt zu fotografieren sind sie verbunden durch ihr Sujet, die Individuen am Rande der amerikanischen Gesellschaft, die Freundschaft, gemeinsame Künstlerschaft und durch das Photographieren als einem Medium zum Knüpfen, Halten und Loslassen von Beziehung zwischen Menschen.
The exhibition in Hamburg is not the first joint exhibition of the four artists. Although so different in their approach to photography, they are united by their subject matter, individuals on the margins of American society, friendship, shared artistry and photography as a medium for establishing, maintaining and releasing relationships between people.


Hausstaubmilbe hat mir auf flickr diesen Link zukommen lassen, der Nan Goldin in einem etwas aktuelleren Konflikt darstellt. Das habe ich in meinem Bericht bewusst rausgelassen: https://www.ardmediathek.de/video/rbb-kultur/nan-goldin-ausstellung-in-der-neuen-nationalgalerie/rbb/Y3JpZDovL3JiYl81NTZiNjBjYi1iODA2LTRhYmItYjQ5My0yNTk2YTFmOGMwY2JfcHVibGljYXRpb24
Danke! Liebe Grüße!