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TRUE PICTURES ?

Jetzt hatte ich auch mal die Gelegenheit, einen weiteren wichtigen Ort für die Fotografie persönlich in Augenschein zu nehmen. Es ist das Sprengel Museum in Hannover. Das Engagement für die Fotografie war mir schon aus dem hervorragenden Blog von Stefan Gronert bekannt, aber es ist immer noch mal etwas anderes, analog vor Ort zu sein. Gezeigt wird gerade die Ausstellung “True pictures?” – ein Versuch, einen Überblick über aktuelle und bekannte Positionen der amerikanischen und kanadischen Photographie zu präsentieren. In Kooperation mit dem Kunstmuseum in Wolfsburg  und dem Museum für Photographie Braunschweig  soll die Weiterentwicklung der Positionen auf dem amerikanischen Kontinent aufgezeigt werden, die durch das Erstarken der europäischen Photographie drohte, etwas aus dem Fokus zu geraten. Die Exponate setzten schon in den letzten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts an. Es werden bekannte Position, wie etwa die Appropriation-Art, am Beispiel der ’Atget´-Serie von Sherrie Levine, die Queen der Selbstinszenierungen Cindy Sherman aber auch die Leuchtkästen von Jeff Wall  und Rodney Graham gezeigt.

Nan Goldin ist dabei mit ihren sehr privaten Blick, der aber sehr gut gesellschaftliche Trends aufzeigt. Aus einem anderen Blickwinkel bekommt Allan Sekula das Gesellschaftliche in den Blick. Zu sehen ist z.B. eine serielle Arbeit über das Schichtende in einem Rüstungsbetrieb. Die Arbeiter quellen förmlich aus der tief gelegenen Produktionsstätte. In diesem Blog wird dieses Bild neben einigen andern Eindrücken aus dieser Ausstellung gezeigt. 

Das waren bisher nur ein paar Beispiele zur ersten Generation. Zur zweiten Generation gehören alle, die jünger sind als ich, ihre Wurzeln aber noch deutlich im letzten Jahrhundert haben (siehe Graphik unten). Interessanterweise fiel es mir bei den bisherigen Künstlern leicht, ihre Bilder einzuordnen und darüber zu sprechen, da ich mich mit den meisten in der einen oder anderen Form schon auseinandergesetzt habe. Mit den Künstlern der zweiten und dritten Generation war es eine erste Begegnung. Auch sind deren Themen zum Teil noch nicht ganz bei mir angekommen. Oder aber habe ich mich noch nicht genug damit auseinandergesetzt. Da ich  mich, mit Ausnahme meines frühen Geflüchtetenschicksals (das ich nicht beklage) in keiner der aktuellen Auseinandersetzungen in die Opferrolle versetzen kann, ist es auch nicht einfach, über das wohlwollende Betrachten hinaus, einen Standpunkt zu diesen Themen zu finden. Kann ja aber auch noch kommen. Vielleicht gerade dadurch, dass die jüngeren Künstler mich mit ihren Werken dazu zwingen mich auseinanderzusetzen.

Now I had the opportunity to see another important place for photography in person. It is the Sprengel Museum in Hannover. The commitment to photography was already known to me from the excellent german blog of Stefan Gronert, but it is always something else to really be on site. On display right now is the exhibition “True pictures?”  – an attempt to present an overview of current and well-known positions in American and Canadian photography. In cooperation with the Kunstmuseum in Wolfsburg  and the Museum for Photography Braunschweig, the exhibition aims to show the further development of positions on the American continent, which threatened to get out of focus due to the strengthening of European photography. The exhibits start already in the last three decades of the last century. Well-known positions such as Appropriation Art, exemplified by the ‘Atget’ series  by Sherrie Levine, the queen of self-staging Cindy Sherman, but also the light boxes of Jeff Wall and Rodney Graham are shown.

Nan Goldin is there with her very private view,  that nevertheless shows social trends very well. From another point of view, Allan Sekula takes a look at society. One can see, for example, a serial work about the end of a shift in an armaments factory. The workers literally spill out of the lower production site. In this blog this picture is shown beside some other impressions from this exhibition. 

So far, I mentioned only a few examples of the first generation. The second generation includes all those who are younger than me, but still have their roots clearly in the last century (see graphic below). Interestingly, with the previous artists it was easy for me to classify their pictures and to talk about them, since I have already dealt with most of them in one form or another. With the second and third generation artists, it was a first encounter. Also, some of the themes haven’t quite reached me yet. Or else I haven’t dealt with them enough yet. Since, except for my early fate as a refugee, which I do not deplore, I cannot put myself in the victim’s role in any of the current conflicts, it is not easy to find a point of view on the topics beyond a benevolent observation. But that can still come. Perhaps just by the fact that the younger artists force me with their works to deal with it.

Ein Beispiel eines Bildes, das mich sofort sowohl angesprochen als auch abgestoßen hat ist Ayana V. Jacksons  „Dictatorship (Guerilla)“ von 2013. Eine selbstbewusst in die Kamera schauende dunkelhäutige Frau mit einem tödlichen Gewehr, dessen Kolben zwischen ihren gespreizten Beinen und dem Lauf an ihrer linken Schulter, posiert vor einem schwarzweiß stilisierten Dschungel-Hintergrund. Ihre rote Kopf- und Halsbedeckung deutet auf nordafrikanische Wüstenbewohner hin und betont ihr davon eingerahmtes Gesicht. In dem Bild sind so viele Themen angesprochen, Geschlecht, Gewalt, Macht und Selbstermächtigung, Nacktheit und Verhüllung, Rassismus uns Kolonialismus… Da steh ich erstmal nur davor und bin beeindruckt von Dichte dieses Bildes. Und wenn ich dann noch erfahre, dass es die Künstlerin selbst ist, die sich so dargestellt hat, weil sie für diese Aussage nicht Andere zum Objekt machen wollte, dann verdient sie dafür nicht weniger als meine Bewunderung.

Eine Serie, die mich beeindruckt hat, waren „The Innocents“ von Taryn Simon (2002). Sie Inszeniert beeindruckende Szenen mit unschuldig für viele Jahre Inhaftierten nach ihrer Freilassung am Ort des vermeintlichen Verbrechens oder ihrer Festnahme zum Teil mit ihren erwachsenen Kindern, die bei der Festnahme noch Babys waren. Hier werden die Opfer einer vorschnellen Justiz zwar nicht rehabilitiert, aber wenigstens gezeigt und gewürdigt. Die Konstruktion von Realität aufgrund von Indizien per Juryentscheid oder Richterspruch wird hinterfragt.

Nicht so aufregend, aber optisch sehr ansprechend fand ich auch die wenigen Bilder von Gregory Crewdson aus New York. Alltagsszenen aus den United States, die erstmal ganz gewöhnlich wirken, die aber bei näherer Betrachtung auch Inszenierungen für einen Hollywood-Film sein könnten. Und in der Tat sind die Szenen von Crewdson sorgfältig inszeniert und ausgeleuchtet.

Sehr plakativ geraten und somit mit einer klaren Aussage unterwegs ist die Serie „Body En Thrall“ von Martine Gutierrez  von 2018 und 2020. Die Bilder spiegeln und überzeichnen, in ihrer krassen Inszenierung, Rollenbilder indigener Frauen und führen einem diese so drastisch vor Augen. Eines davon ziert Katalog und Plakat der Ausstellung und zeigt eine Frau, die sich an eine lebensgroße Plastikfigur (einen dunkelhäutigen Ken) klammert. Auch Gutierrez `benutzt´ für diese Bilder ihren eigenen Körper und nicht Modells.

Mir wird bewusst, dass ich als alter weißer Mann in Europa, auch wenn ich das alles intellektuell verstehe, nicht wirklich nachempfinden kann, aus welchen Beweggründen diese Bilder entstanden sind.

Das soll dann erst mal genügen, auch wenn es nur einen kleinen Teil der Exponate würdigt, denn ich denke, dass Bilder da wichtig sind, wo sie sich auswirken, wo sie gefallen oder irritieren.

An example of an image that immediately both appealed and repelled me is Ayana V. Jackson’s  “Dictatorship (Guerilla)” from 2013. A confidently camera-facing dark-skinned woman with a deadly rifle with the butt between her spread legs and the barrel on her left shoulder poses against a black and white stylized jungle background. Her red head and neck covering suggests North African desert dwellers and emphasizes her face framed by it. In the picture so many topics are addressed, gender, violence, power and self-empowerment, nudity and covering, racism and colonialism… First, I just stand in front of it and am impressed by the density of this picture. And when I then learn that it is the artist herself who has presented herself in this way, because she did not want to make others the object for this statement, then she deserves no less than my admiration.

A series that impressed me was “The Innocents” by Taryn Simon (2002). She stages impressive scenes with innocent people imprisoned for many years after their release at the scene of the alleged crime or their arrest site, partly with their adult children who were still babies when they were arrested. Here the victims of a hasty justice are not rehabilitated, but at least shown and appreciated. The construction of reality based on circumstantial evidence by jury decision or judge’s verdict is questioned.

Not so exciting, but visually very appealing, I also found the few pictures by Gregory Crewdson from New York. Everyday scenes from the United States, which at first seem quite ordinary, but which on closer inspection could also be staged for a Hollywood film. And indeed, Crewdson’s scenes are carefully staged and lit.

The series “Body En Thrall”  by Martine Gutierrez from 2018 and 2020 is very striking and thus makes a clear statement. In their stark stagings, the images reflect and exaggerate role models of indigenous women and thus drastically demonstrate them. One of them adorns the exhibition’s catalogue and poster and shows a woman clinging to a life-size plastic figure (a dark-skinned Ken). Gutierrez also `uses´ her own body rather than models for these images.

I realize that as an old white man in Europe, even if I understand all this intellectually, I can’t really relate to the motivations behind these images.

That should then suffice for now, even if it only honours a small part of the exhibits, because I think that images are important where they have an impact, where they please or irritate.

Translated with the help www.DeepL.com/Translator

8 Comments

  1. Andreas

    Ich war leider in den letzten Wochen zu müde und habe es leider nicht nach Hannover geschafft. Die Ausstellung wandert jetzt weiter nach Salzburg, da war ich aber auch noch nicht.

    Interessiert hätte mich vor allem Gregory Crewdson, da ich ein großer Fan von ihm bin, aber noch keine Ausstellung von ihm sehen durfte. (Einmal, mein größtes Lob ever, hat mir eine Ausstellungsbesucherin gesagt, meine Bilder würden sie an Crewdson erinnern. Da machte das Leben gleich wieder Sinn.) (;

    • Rolf Noe

      Ja, sorry manchmal dauern meine Verdauungsprozesse so lange, dass die Ausstellung schon vorbei ist, wenn ich darüber berichte. Aber vielleicht hab ich ja auch ein paar Leser in Österreich oder wenigstens in Bayern. Die können eben mal nach Salzburg fahren.

  2. kopfundgestalt

    Schade, zu spät.
    Hannover ist etwas weit weg, aber das Sprengel Museum lohnt eigentlich immer
    Cindy sherman sah ich erstmals wohl im retiro Park madrid um 1995.
    Jeff wall und nan goldin sind ja dauerhaft im mmk Frankfurt zu sehen

    Die Bilder in Hannover sind offenbar großzügig gehängt, was gut ist.
    Danke für den Bericht!

    • Rolf Noe

      Ich war mal vor über zehn Jahren in einer großen Cindy Sherman- Ausstellung in London (ich glaube im Barbican). Leider konnte ich das damals noch nicht so schätzen und bin einfach nur interessiert durchgelaufen. Hab noch nicht mal ein Photo von der Location gemacht, was für mich inzwischen als Erinnerungshilfe unerläßlich ist.

      • kopfundgestalt

        Cindy Sherman war für mich damals etwas schockierend. Es standen zwar Warnschilder draussen, aber es war ja ein Park, in denen Eltern und Kinder unterwegs waren.

        Es braucht Erfahrung, was Kunst alles (sein) kann.
        Irgendwann interessierte mich nach all den Erfahrungen dann nur noch Gegenwartskunst. Als Grenze sozusagen Warhol. Wobei ich den mittlerweile nicht mehr interessant finde.

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