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Viral Hallucinations

Man kann nur gespannt sein, auf die weiteren Ausstellungen in der von Nadine Isabelle Henrich kuratierten Reihe. Die erste Ausstellung der Reihe geht schon im Januar zu Ende. Grund genug, da mal vorbeizuschauen. Neugierig geworden bin ich durch einen Podcast in der Reihe „dieMotive“ geworden, in dem Alexander Hagmann Nadine Isabelle Henrich ausführlich zu dem Thema interviewt. Aber auch im hauseigenen Podcast der Deichtorhallen  “Das ist Kunst” gibt es ein Interview mit den Künstlern der derzeitigen Ausstellung im PHOXXI Andrea Orejarena und Caleb Stein, in dem Sie die wichtigsten Aspekte ihrer Ausstellung “American Glitch” erklären und von ihren Erfahrungen damit berichten.

Es geht um eine doppelte Erkundung der vielfältigen Landschaft von bildgestützten Verschwörungsmythen. Die Künstler haben das Internet nach Bildern durchforstet die, in den Augen ihrer Verbreiter, beweisen sollen, dass irgendetwas hinter der uns vorgespiegelten Realität nicht stimmt, bzw. dass uns da etwas vorgegaukelt wird, was man dadurch erkennen soll, dass in dem Konstrukt kleine Fehler auftauchen, sogenannte „Glitches“. Das sind dann fliegende Schiffe, UFOs, engelförmige Wolken, Verdoppelung von Bildinhalten oder schlicht Risse bzw. Löcher in der Oberfläche der Simulation, wie sie in „Matrix“ oder in „The Truman Show“ durchdekliniert wurden.

We can only look forward to the other exhibitions in the series curated by Nadine Isabelle Henrich. The first exhibition in the series comes to an end in January. Reason enough to take a look. I became curious through a podcast in the series “dieMotive”, in which Alexander Hagmann interviews Nadine Isabelle Henrich in detail on the subject. But the Deichtorhallen‘s own podcast “Das ist Kunst” also features an interview with the artists of the current exhibition at PHOXXI Andrea Orejarena  and Caleb Stein, in which they explain the most important aspects of their exhibition “American Glitch” and talk about their experiences with it.

It is a dual exploration of the diverse landscape of image-based conspiracy myths. The artists have scoured the Internet for images that, in the eyes of their disseminators, are supposed to prove that something behind the reality we are made to believe is not true, or that we are being fooled into believing something, that can be recognized by small errors appearing in the construct, so-called “glitches”. These are flying ships, UFOs, angel-shaped clouds, duplication of image content or simply cracks or holes in the surface of the simulation, as seen in “The Matrix” or “The Truman Show”.

Amüsant ist dabei, dass die Verbreiter dieser Erzählungen die Photographie (das Bild allgemein, sei es auch manipuliert oder generiert) als verlässliches Beweismittel in einer durch und durch simulierten Welt akzeptieren. Letztlich ein trauriger Zustand, in dem man sich in einem fiktiven überschaubaren Narrativ wohler fühlt als in der unübersichtlichen Realität, die aufgrund ihrer Komplexität scheinbar keine sinnvollen in sich geschlossenen Narrative mehr zulässt. Die Künstler gehen aber noch einen Schritt weiter, und suchen die Orte der “Sichtungen” auf und dokumentieren diese in Stil der klassischen dokumentarischen Photographie. Diese Gegenüberstellung zeigt Orte, die zwar oft irgendwie verstörend, aber auch letztlich total unspektakulär sind. Die beiden Künstler haben und diese Bilder zu schießen einen erlebnisreichen Roadtrip durch die ganzen USA gemacht, auf dem sie zugleich die USA als ihr Land empfunden und zu spüren bekommen haben, dass sie als nicht Eingeborene auch irgendwie nicht dazu gehören. Mit ihren Hasselblad Mittelformat-Kameras schaffen sie auch technisch ein Gegengewicht zu den oft verpixelten “Beweisfotos” aus dem Netz.

Für mich zeigt diese ganze, von den Künstlern aufgezeigte und vorgeführte Welt der “Beweise”, dass das Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit und Vorhersehbarkeit in ihrem Leben sie nur allzu oft leicht dazu verführt, in einem Skript zu leben. Für mich macht es da auch keinen Unterschied, ob dieses Skript die Bibel, der Koran, die Matrixgeschichte, Internetforen oder irgendeine andere Verschwörungserzählung ist. Es hilft in allen Fällen Komplexität auszublenden und eine einfacher erlebbare Realität zu konzipieren, was deswegen so gut klappt, weil alle Welterklärungen konstruiert sind.

PS: Wen die Thematik besonders interessiert, der sei auf das vielfältige Material, inklusive des Audioguides und eines Booklets mit Artikeln und einem Glossar der verwendeten Begriffe verwiesen, das auf der Seite der Ausstellung zur Verfügung gestellt wird. In dem Booklet sind zudem QR-Codes zu entsprechender Literatur eingebettet.

What is amusing is that the disseminators of these narratives accept photography (the image in general, be it manipulated or generated) as reliable evidence in a thoroughly simulated world. Ultimately, it is a sad state of affairs in which one feels more comfortable in a fictitious, manageable narrative than in the confusing reality, which, due to its complexity, apparently no longer allows for any meaningful self-contained narratives. The artists go one step further, however, and seek out the places of the “sightings” and document them in the style of classic documentary photography. This juxtaposition shows places that are often somehow disturbing but ultimately totally unspectacular. To shoot these pictures, the two artists went on an eventful road trip through the entire USA, on which they simultaneously experienced the USA as their country and realized that, as non-natives, they somehow don’t belong to it either. With their Hasselblad medium format cameras, they also create a technical counterweight to the often pixelated “evidence photos” from the Internet.

For me, this whole world of “evidence” shown and presented by the artists shows that people’s need for certainty and predictability in their lives all too often easily seduces them into living according to a script. For me, it makes no difference whether that script is the Bible, the Koran, the Matrix story, internet forums or any other conspiracy narrative. In all cases, it helps to escape complexity and to conceive a simpler reality that can be experienced more easily, which works so well because all explanations of the world are constructed.

PS: If you are particularly interested in the topic, please refer to the diverse material, including the audio guide and a booklet with articles and a glossary of the terms used, which is available on the exhibition website. The booklet also contains QR codes to relevant literature.

10 Comments

  1. Harald S.

    Tatsachen? An ihre Stelle sind Meinungen getreten. Die Informationsexplosion zeigt verheerende Auswirkungen.

    • Michael

      Naja….letztendlich sind auch Tatsachen nur eine Art von Meinungen: durch menschliche Hirne gefilterte Wahrnehmungen. Mein Fazit: es gibt nichts, woran wir uns festhalten können. Darin liegt eine große Freiheit…eigentlich.

      • Rolf Noe

        Tatsachen waren mal Meinungen, auf die man sich mehr oder weniger demokratisch geeinigt hatte. Die standen dann im SPIEGEL. Die Demokratisierung dessen, was gesagt werden darf/kann hat dazu geführt, dass es keine Diskurswächter mehr gibt. Die Letzten ihrer Art sind erst kürzlich auf Facebook abgeschafft worden. Und die Zeitungen schreiben, was ihre Besitzer so wollen bzw. was die verbliebenen Reporter hektisch zusammengetragen haben. Es ist ein wenig so wie wenn man auf den Autobahnen die Leitplanken abbauen würde, damit jeder die Freiheit hat dahin zu fahren, wohin er grad Lust hat.

    • Rolf Noe

      Ja, lohnt sich mal reinzuschauen, denn es gibt immer wieder interessante neue Begriffe für Phänomene in den sozialen Netzwerken, die oft helfen, die unglaubliche Dynamik dieses Mediums zu verstehen.

  2. kopfundgestalt

    Zu diesem Beitrag fallen mir auch zwei, drei Fotos ein, die ich selbst gemacht hatte und die unfreiwillig mysteriös waren. Das nur nebenbei.
    Vor vielen Jahren gab es jemand, der dafür sorgte, daß Blitzaufnahmen eines Gebäudes einher gingen mit einem durch das Blitzen selbst erzeugten Lichtzeichen auf dem Gebäude. Chatgbt könnte wohl herausfinden, wer das war und was er damit bezweckt hatte.

    Die Ausstellungsseite will ich mir mal ansehen.

    • Rolf Noe

      Ich denke die meisten von uns werden merkwürdigen Photos gemacht haben, entweder aus Versehen oder weil sie im Augenwinkel was wahrgenommen und draufgehalten haben. Aber dann zu glauben, man habe damit einen Konstruktionsfehler der Wirklichkeit erwischt, ist schon gewagt. Das kommt dann aber auch oft erst, wenn die Bilder geteilt werden, da findet sich immer jemand, der auch ein nur als Kuriosität gepostetes Bild als Beweis für die eigene verschwurbelte Weltsicht einsetzt.

      • kopfundgestalt

        “Konstruktionsfehler der Wirklichkeit” ist schon witzig. Vor dem Computerzeitalter wäre niemand auf die Idee eines Webfehlers gekommen. (Wobei hier Weben gemeint war.

        • Rolf Noe

          Da kommt es schon wieder auf Groß- und Kleinschreibung an. Ein Webfehler oder ein ‘web’-Fehler? 🤣🤣🤣

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