Illustrierende Bilder in der Neuzeit
Ich bin wieder einmal, diesmal durch einen der Podcasts von Andy Scholz (Fotografie neu denken) auf ein Band aus der Reihe “Digitale Bildkulturen” (herausgegeben von Anne-Kathrin Kohuth und Wolfgang Ulrich) aufmerksam gemacht worden. Und zwar auf das Essay über die Stockfotografie von Thomas Nolte.
Er beginnt damit, Markus Krajewski folgend, den dienenden Charakter vieler digitaler Angebote herauszuarbeiten. Auch die Stockfotografie bedient von Anfang an den spätkapitalistischen Markt. Mit der explosiven Ausdehnung der digitalen Angebote ist der Bedarf an Bildern exponentiell gewachsen. Mit der steigenden Quantität ging ein immer weiter sinkender Anspruch an die Spezifität und Qualität einher. Anfangs, das heißt schon bevor die Digitalisierung richtig losgeht, gelingt es den Stock-Fotografie-Plattformen, zunächst noch neben den Bild-Agenturen, ihre Angebote zu platzieren. Die den Stockfotos eigene Ästhetik ist geprägt von der Nachfrage nach Illustration für die verschiedensten Themen in öffentlichen Medien. Vor allem muss ein Foto dafür möglichst von allem Individuellen gereinigt werden, um nur noch den Typus, die Idee zu illustrieren, um die es in dem Kontext geht, in dem das Bild eingesetzt werden soll.
Ein geradezu platonischer Abstraktionsprozess, der, von den unzähligen Ausprägungen absehend, versucht, die dahinterstehende Idee zu extrahieren. Ich möchte hier, Nolte folgend, zeigen, dass die generierten Bilder diesen Job noch deutlich besser zu tun imstande sind, weil Sie zum einen sprachlichen Vorgaben (und damit Begriffen) folgen, zum zweiten ganz konkret, weil sie mehr oder weniger exklusiv an Material geschult wurden, dass aus der Stockfotografie stammt. Diese und andere gut mit sprachlichen Beschreibungen verbundenen Bilder erlauben im Umkehrschluss aus Sätzen entsprechende Bilder zu generieren.
Ich möchte auch am Rande darauf hinweisen, dass die Idee, die hinter der Illustration steckt, medienübergreifend schon im vorphotographischen Zeitalter (18. bis 19. Jahrhundert) eine Rolle gespielt hat und deswegen damals auch schon viel diskutiert und wurde, wie ein Bild beschaffen sein muss, um die typischen Eigenschaften eines Objekts oder Sachverhaltes jenseits seiner individuellen Abweichung zu reproduzieren.
In dem von Peter Geimer herausgegebenen Sammelband “Ordnungen der Sichtbarkeit” zeigt gleich der erste Aufsatz (viel weiter bin ich noch nicht gekommen) die Diskussion anhand von Illustrationen in Lexika, Atlanten und Anatomie-Büchern auf. Damals wurde der Kupferstich zum Teil noch für geeigneter gehalten, gute Illustrationen zu liefern als die Photographie, weil man nach dem Studium verschiedener Varianten, z.B. einer Pflanze, versuchen konnte, das Typische, immer wieder Anzutreffende in der Illustration zu betonen.
Ein Auswuchs dieser Art zu denken könnte auch Goethes Urpflanze sein, die als eine Art Synthese aller konkreten Pflanzen nur noch das Allgemeine, allen Gemeinsame enthält. Zugegeben das ist ein wenig schemenhaft, aber es zeigt, wie unser Denken und unsere Begriffe die eigentlich entstanden sind, um die Phänomene zu beschreiben und zu erfassen, zunehmend dazu führen, dass der Blick abgelenkt wird von der Vielfalt und verwirrenden Mannigfaltigkeit der Welt und uns zunehmend vormacht die Dinge seien geordnet und klassifizierbar, wenn man nur die passenden Begriffe dafür verwendet.
Nolte weist auch darauf hin, dass diese Art der Illustration eng verbunden ist mit den Verwertungsinteressen und den ökonomischen Verhältnissen der jeweiligen Zeit. Er nennt als Beispiel die Neuruppiner Bilderbögen die 1848 verwendet worden, um Illustration von Unruhen und Straßenkämpfen in Printmedien zu zeigen. Hier finden sich Abbildungen von immer wieder gleichen „typischen Unruhestiftern“, die verwendet worden, um Unruhen und Straßenkämpfe in den verschiedensten Orten zu illustrieren.
Auch ein anderes Massenmedium, dass im 19ten und 20ten Jahrhundert eine große Rolle spielte, folgt dem Gedanken der Illustration. Auch hier geht es um massenhafte Verbreitung. Es ist die Postkarte. Einige wenige typische Bilder eines Ortes reichen, um ihn zu charakterisieren und das Bild davon in der Gegend rumzuschicken. Hier gilt das Prinzip der Metonymie – pars pro toto. Der Eifel-Turm steht für Paris, Rheinbrücke mit Dom im Hintergrund für Köln und so weiter.
Grundlage für Auffindbarkeit von Photos, die als Illustrationen eingesetzt werden (ich mache das ja auch hier in meinem Blog), ist die Verschlagwortung. Damit haben meines Wissens die Bild-Agenturen angefangen. Anfangs noch auf die Rückseite der Bilder, später durch komplexere Systeme, die der Wiederauffindbarkeit erlauben. Im Prinzip ähnlich wie in den Bibliotheken und Archiven, aber eben auf eine kommerzielle Verwertung hin ausgerichtet. Auch die Verschlagwortung ist eine der Grundlagen, auf der die Bildgenerierung vermittels KI basiert.
Während die Bild-Agenturen Material zu konkreten Ereignissen der Zeitgeschichte, zu spezifischen Themen oder zu bestimmten Menschen liefern können, ist es in der Stockfotografie eher so, dass außer der Individualität auch noch der Zeitbezug der Bilder herausgenommen wird, um eine möglichst zeitunabhängige Verwendung zu erlauben. Diese spezifischen Eigenschaften der Stockfotografie, die laut Nolte auch eine eigene Ästhetik hervorbringen, führt auch dazu, dass die Bildgeneratoren in der Anfangszeit vor allem Typisches hervorgebracht haben, also zum Stichwort Familie, eine Mama, ein Papa und ein oder zwei Kinder, alle weiß und zeitlos gekleidet. Inzwischen sind die Generatoren angewiesen, mehr Diversität zu generieren. Aber auch die Stock-Agenturen hatten schon auf die diverser werdenden Wünsche der Kunde reagiert bzw. durch diversere Varianten breitere Märkte erobern können.
Diese Diversität ist zwar eine Schein-Diversität, weil sie auch noch im Diversen das Typische betont, aber da hier ja ein Markt zukünftig zu erwartender Bildverwendungen bedient wird, ist die Stockfotografie auch ein stückweit ein möglicher Indikator dafür, wohin sich die Gesellschaft entwickeln wird. In dem Maß, in dem das Untypische, Abweichende, Störende aus den Bildern herausgerechnet wird, wird auch die Gesellschaft unliebsames, störrisches und ambiges Verhalten zunehmend weniger gut aushalten und zu eliminieren suchen. Schöne neue Welt – jetzt dann doch?
Illustrating images in the modern era
Once again, this time through one of Andy Scholz’s podcasts (Fotografie neu denken = Rethinking photography), I was made aware of a volume from the series “Digitale Bildkulturen” (edited by Anne-Kathrin Kohuth and Wolfgang Ulrich). It is an essay on stock photography by Thomas Nolte.
Following Markus Krajewski, he begins by working out the serving character of many digital offerings. Stock photography has also served the late capitalist market from the very beginning. With the explosive expansion of digital offerings, the demand for images has grown exponentially. The increasing quantity was accompanied by an ever decreasing demand for specificity and quality. In the beginning, i.e. even before digitization really took off, stock photography platforms were able to place their offerings alongside image agencies. The inherent aesthetic of stock photos is characterized by the demand for illustration for a wide variety of topics in public media. Above all, a photo must be stripped of as much individuality as possible in order to illustrate only the type, the idea in the context in which the image is to be used.
An almost platonic process of abstraction that attempts to extract the underlying idea, leaving aside the countless manifestations. Following Nolte, I would like to show here that the generated images are able to do this job much better because, on the one hand, they follow linguistic guidelines (and thus concepts) and, on the other hand, because they have been trained more or less exclusively on material that comes from stock photography. These and other images that are well linked to linguistic descriptions make it possible to generate corresponding images from sentences.
I would also like to point out in passing that the idea behind illustration already played a role across all media in the pre-photographic age (18th to 19th century) and that there was therefore much discussion and debate at the time about how an image should be composed in order to reproduce the typical characteristics of an object or circumstance beyond its individual deviation.
In the anthology “Ordnungen der Sichtbarkeit” edited by Peter Geimer, the first essay (I haven’t gotten much further yet) illustrates the discussion on the basis of illustrations in encyclopedias, atlases and anatomy books. At that time, copperplate engraving was still considered more suitable for providing good illustrations than photography, because after studying different variants of a plant, for example, one could try to emphasize the typical, recurring features in the illustration.
An outgrowth of this way of thinking could also be Goethe’s Urpflanze, which, as a kind of synthesis of all concrete plants, contains only the general, common to all. Admittedly, this is a little vague, but it shows how our thinking and our concepts, which actually arose in order to describe and grasp phenomena, increasingly lead to a distraction from the diversity and confusing multiplicity of the world and increasingly lead us to believe that things are ordered and classifiable if we only use the appropriate terms.
Nolte also points out that this type of illustration is closely linked to the exploitation interests and economic conditions of the time. He cites as an example the Neuruppiner Bilderbögen, which were used in 1848 to illustrate riots and street battles in print media. Here you can find images of the same “typical troublemakers” that were used to illustrate riots and street fighting in different cities.
Another mass medium that played a major role in the 19th and 20th centuries also follows the idea of illustration. Here, too, it is about mass distribution. It is the postcard. A few typical pictures of a place are enough to characterize it and send the picture around the region. The principle of metonymy applies here – pars pro toto. The Eifel tower stands for Paris, the Rhine bridge with the cathedral in the background for Cologne and so on.
The basis for the findability of photos that are used as illustrations (I also do this here in my blog) is keywording. As far as I know, the picture agencies started with this. Initially on the back of the images, later through more complex systems that allow retrievability. In principle, similar to libraries and archives, but geared towards commercial exploitation. Keywording is also one of the foundations on which image generation using AI is based.
While image agencies can provide material on specific events in contemporary history, on specific topics or on specific people, stock photography tends to remove not only the individuality but also the time reference of the images in order to allow them to be used as independently of time as possible. These specific characteristics of stock photography, which according to Nolte also produce their own aesthetics, also mean that in the early days the image generators mainly produced typical images, such as a mom, a dad and one or two children, all dressed in white and timeless to illustrate the concept of family. In the meantime, the generators have been instructed to generate more diversity. But the stock agencies have also responded to the increasingly diverse wishes of customers and have been able to conquer broader markets with more diverse variants.
This diversity is a pseudo-diversity because it emphasizes the typical even in the diverse, but since a market of expected future image uses is being served here, stock photography is also a possible indicator of where society will develop. To the extent that the untypical, deviant, disturbing is eliminated from the images, society will also be less and less able to tolerate and try to eliminate unpleasant, disruptive and ambiguous behavior. Brave new world – now is it?
Picture above: Distracted Boyfriend Meme (my version)-original Photo by Antonio Guillem
Picture below: Stock Photography (cc) – Canadian Coins-by KMR Photography
Nicht ganz leichte Kost, Rolf, aber gut. Waldmeisterliche Grüße.
Ja, ist so eine Art Rundumschlag. In zehn Schritten durch drei Jahrhunderte. Immerhin hab ich die alten Griechen rausgelassen, mit denen sonst jegliche abendländische Story beginnt 😄