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Von Winnetou bis Will Wilson / From Winnetou to Will Wilson

Welches war wohl die letzte Generation, die die Schmöker von Karl May noch mit Genuss und ohne Bedenken ihrer jugendlichen Phantasie zugefügt hat? Ich jedenfalls hatte fast alle Bände irgendwann bis hin zur Pubertät verschlungen.

Mit sehr ambivalenten Gefühlen bin ich also durch das erste Geschoss des `Kunstwerk´ geschlendert und habe mir angeschaut, wo überall in unserer Populär-Kultur und Literatur das `Indianer´-Bild geprägt wurde. Da gab es neben Winnetou z.B. noch den Lederstrumpf von James F. Cooper und es zieht sich hin bis hin zu Yakari dem kleinen Comic-`Indianer´, den ich über meine Töchter kennenlernen durfte. Bis hierher kann man, glaube ich, auch noch von `Indianern´ sprechen, denn das war der Begriff, der damals für die amerikanischen Ureinwohner benutzt wurde.

Im zweiten Geschoss der Ausstellung “Als würden alle diese Bilder bleiben” widmet sich Edwars S. Curtis , der in den ersten drei Jahrzehnten des 20ten Jahrhunderts ein unvergleichliches Werk geschaffen hat, in dem er 80 Stämme der amerikanische Ureinwohner beschrieben und eben auch fotografiert hat. In dieser gigantomanischen Unternehmung hallt, wenn ich es recht sehe, die enzyklopädische Wissensauffassung des 19. Jahrhunderts nach. Menschen werden hier, wie Pflanzen in einer Taxonomie erfasst und beschrieben und wie die Pflanzen in der Botanisiertrommel, werden die Fotos zur Illustration beigefügt. Curtis hat sich sehr viel Mühe gegeben, typische Abbildung einzufangen. Genau darin liegt aber auch das Problem, weil man eben nicht weiß, wie viel von dem, was in den Bildern zu sehen ist, aus der Lebenswirklichkeit der Photographierten oder aus den Vorstellungen des Photographen stammt. Auch als Betrachter ist es schwierig, herauszufinden, ob der Eindruck, typische Szenen aus dem Leben der Stämme zu sehen, daher stammt, dass uns diese Bilder und davon abgeleitete Vorstellungen über die Jahre geprägt haben oder daher, dass sie wirklich etwas Typisches einfangen.

Über das Leben und die unvergleichliche Geschichte, wie Curtis zu diesem Lebenswerk kommen konnte, empfehle ich den entsprechen Podcast aus der Reihe „Fotomenschen“ anzuhören.

Faszinierend, was die Präsentation angeht, waren nicht nur für mich auch die von Curtis hergestellten Photogravuren, die die dargestellten Szenen in einem goldenen Glanz erstrahlen lassen.

Which was  the last generation, which still added the Schmöker of Karl May with pleasure and without doubts to their youthful fantasy? I, at least, had devoured almost all volumes at some point up to puberty.

So it was with very ambivalent feelings that I strolled through the first floor of the ‘Kunstwerk’  and looked at where  in our popular culture and literature the ‘Indian’ image had been shaped. There was besides Winnetou e.g. still the `Leather stocking Tales´ of James F. Cooper and it goes a long way up to Yakari the small comic `Indianer’, which I was allowed to become acquainted with over my daughters. Up to this point, I think it is still possible to speak of ‘Indians’, because that was the term used at the time for Native Americans.

The second floor of the exhibition “As if all these pictures would remain”  is dedicated to Edward S. Curtis, who in the first three decades of the 20th century created an incomparable work, in which he described and also photographed 80 tribes of Native Americans. In this gigantomaniac enterprise, if I see it correctly, the encyclopedic conception of knowledge of the 19th century reverberates. People are recorded and described here, like plants in a taxonomy, and like the plants in the botanizing drum, the photographs are added for illustration. Curtis has taken great pains to capture typical illustration. But exactly therein lies the problem, because one does not know how much of what is seen in the pictures comes from the reality of life of the photographed or from the imagination of the photographer. Also, as a viewer it is difficult to find out whether the impression of seeing typical scenes from the life of the tribes was due to the fact that these pictures and ideas derived from them have influenced us over the years, or whether they really capture something typical.

About the life and the incomparable story of how Curtis could come to this life’s work, I recommend listening to the corresponding podcast  from the series “Foto Menschen”.

Fascinating in terms of presentation, not only for me, were the photogravures produced by Curtis, which make the scene depicted shine with a golden glow.

Im obersten Stockwerk der `Sammlung Klein´ dann erwartet den Besucher die dritte Perspektive auf die Native Nations nämlich der zeitgenössische Blick. Will Wilson hat die Nachfahren der von Edward Curtis fotografierten Stämme mit einem historischen Verfahren, den Kolloid-Nassplatten, die wie bei den Daguerreotypien oder Polaroids, nur ein Original liefern, eingefangen. Der Clou der Präsentation ist hier, dass die ausgestellten Bilder mit Hilfe einer App zum Leben erweckt werden können, was ihnen den Namen `Talking Tinotypes´ eingebracht hat. Da sind Videos hinterlegt, in denen die Dargestellten sich zu Wort melden oder sich durch Tanz ausdrücken. Besonders, und anders als bei Curtis ist, dass die Frage, wie die Porträtierten auf den Portraits und in den Videos  in Erscheinung treten, nicht vom Photographen vorgegeben, sondern nach den Wünschen der Dargestellten arrangiert wurden. Deswegen fallen die Portraits auch sehr individuell aus.

Then, on the top floor of the `Klein Collection’, the third perspective on the Native Nations awaits the visitor, namely the contemporary view. Will Wilson has captured the descendants of the tribes photographed by Edward Curtis using a historical process, the colloid wet plates, which, like the daguerreotypes or Polaroids, provide only one original. The highlight of the presentation here is that the images on display can be brought to life using an app, which has earned them the name ‘Talking Tintypes’. There are videos underlayed in which the sitters speak out or express themselves through dance. What is special, and different from Curtis’ work, is that the question of how the sitters appear in the portraits and in the videos was not predetermined by the photographer but arranged according to the wishes of the sitters. That’s why the portraits are very individual.

Neben den Porträts werden auch schöne unbeschnittene Panoramen und Videos seines Projekts AIR (Auto Immune Response) gezeigt, die ihn mit Atemmaske durch unwirtliche Berglandschaften gehend zeigen. Will Wilson, geboren 1969 ist Angehöriger der Navajo/Diné-Nation. Er hat seine Jugend in der Navajo Nation Reservation in Tucson, Arizona verbracht und ist inzwischen Professor für Photographie an der University of Texas.

Eine weitere Perspektive, ein weiteres Bild, das wir uns von den Ureinwohnern Amerikas machen, wird durch ein Kunstwerk angedeutet, dass im Treppenhaus hängt. Es zeigt das Porträt eines alten „Indianers“ inmitten von Symbolen und anderen spirituellen Paraphrenalia und ist eine zeitgenössische Version des `edlen Wilden´, ein Echo der Romantik. Und auch dieses Bild reflektiert einen Aspekt der Ureinwohner Amerikas, nämlich ihre Verbundenheit mit der Natur, in der sie lebten und ihre spirituellen Vorstellungen, die im Wesentlichen unter dem Begriff des Schamanismus subsumiert werden können. Aber auch hier handelt es sich um eine Art Aneignung, die die Aspekte aufnimmt, die uns heute noch in den Kram passen und alles andere ausblendet, was nicht genehm ist. Fazit ist letztlich, dass es verschiedene Blickwinkel gibt, die man bewerten kann, wenn einem das wichtig ist, die aber letztlich alle in ihrer Zeit verwurzelt und nicht wirklich vergleichbar sind.

Die Ausstellung ist noch bis zum  30.7.23 zu sehen.

In addition to the portraits, the exhibition also features beautiful uncropped panoramas and videos of his AIR (Auto Immune Response) project, which show him walking through inhospitable mountain landscapes while wearing a breathing mask. Will Wilson, born in 1969, is a member of the Navajo/Diné Nation. He spent his youth on the Navajo Nation Reservation in Tucson, Arizona, and is now a professor of photography at the University of Texas.

Another perspective, another image we have of Native Americans, is suggested by a piece of art that hangs in the stairwell. It shows a portrait of an old “Indian” amid symbols and other spiritual paraphernalia, and is a contemporary version of the `noble savage´, an echo of Romanticism. And this image also reflects an aspect of the Native Americans, namely their connection with the nature in which they lived and their spiritual views, which can essentially be subsumed under the concept of shamanism. But here, too, it is a kind of appropriation that takes up the aspects that still suit us today and fades out everything else that is not approved. In the end, the conclusion is that there are different points of view that can be evaluated, if that is important to you, but in the end they are all rooted in their time and not really comparable.

The exhibition is on view until 30.7.23.

9 Comments

  1. Klaus

    Ich war auch ein begeisteter Karl May Leser und schätze meine damalige Begeisterungsfähigkeit. Bei den Fotos von Curtis hat mich beeindruckt, dass er die Porträtierten wertschätzend sehr selbstbewusst dargestellt hat: “…ich arbeitete mit ihnen und nicht über sie…”

  2. Stefan Brendle

    Okay, aber das hat ja weniger was mit Relativismus und jede Menge mit einer immer bescheuerter anmutenden sozialen Welt zu tun.

  3. Stefan Brendle

    Hoppla, wusste gar nicht, dass auch du Karl-May-Leser warst! Und klar, eine Fotoausstellung zum Thema Rothäute&Bleichgesichter macht ein weiteres Mal deutlich, dass ein an unsere Wort- oder unmissverständlicher: Satzsprache gebundenes Wissen vorausgesetzt ist, um Bildsprachliches auch nur halbwegs befriedigend zu rezipieren. Freilich – und wider jeden übertriebenen Relativismus: Wie historisch bedingt auch immer es ist, man kann das, was entsprechend bildsprachlich und/oder satzsprachlich verbraten wird, nach wahr oder falsch, nach gut oder schlecht beurteilen und aus dem Ergebnis Konsequenzen für die Zukunft ziehen.

    • Rolf Noe

      Ja, das war ich. Inzwischen muss man das wahrscheinlich unter Jugendsünden verbuchen und vor dem Internationalen Korrektheitsgericht Beichte ablegen, Buße tun usw.
      Deine Hoffnung in Ehren, dass man wahr/falsch bzw. gut/schlecht anhand der konkret geäußerten Sätze bestimmen kann. Das kannst Du für Dich machen. Problematisch wird es, wenn
      Du Dich mit Anderen einigen musst, wenn es nicht mehr um wahr und falsch geht, sondern darum wer was sagen darf und vor allem wer dort was sagen darf, wo auch viele zuhören. Hier kann ich so ungefähr
      alles sagen, die die mitlesen sind kongenial und fangen allenfalls eine Diskussion an.

  4. kopfundgestalt

    Ich nehme an, dass die verschiedenen indianischen völker durchaus recht verschieden waren. Ich weiß nicht, wieviel Wissen über die einzelnen Völker vorhanden ist.

    • Rolf Noe

      Es geht nicht um Wissen. Edward S. Curtis hat ein 17 Bände umfassendes systematisches Werk über das Leben unzähliger Stämme hinterlassen,
      aber all das ist durch den Filter dieses einen Mannes an der Schwelle vom 19ten zum 20ten Jahrhundert eingefärbt und damit nicht einfach so
      benutzbar. Heute würden wir das ganz anders aufziehen, aber in diesem Fall nutzt es uns nichts mehr, denn diesen Forschungsgegenstand gibts nicht mehr.

  5. Cornelia Puk

    Interessant, ich werde hingehen, danke für die Information! – Gute Bücher zum Thema “Indianer” sind die von Liselotte Welskopf-Henrich: “Die Söhne der großen Bärin” (am besten die ganze Ausgabe in 6 Bänden), gute Filme die mit Gojko Mitic; beides in der DDR entstanden. Beide Künstler hatten seinerzeit Kontakt mit den Lakota und wurden mit einem Ehrentitel versehen (Welskopf-Henrich) bzw. wurde anerkannt, dass “es solche Filme in Amerika nicht gibt” (Mitic). Sehr empfehlenswert – mit einem Hauch Nostalgie, aber kein Winnetou-Schema.

    • Rolf Noe

      Danke für die Gegenbeispiele. Es zeigt sehr schön, dass es auch zu einer bestimmten historischen Zeit unterschiedliche Sichtweisen gibt, die
      ungestört nebeneinander existieren dürfen. Was mich heute stört, ist, dass bestimmte Leute ihre heutige Sicht absolut gesehen wissen und
      alles Andere einkassieren wollen. Da wird man in fünfzig Jahren hoffentlich herzlich drüber lachen können.

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