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Welchen Wert haben Fotos? What value do photos have?

Familienfotos

Mein Schwager Andreas hat mir die kleine Geschichte erzählt, doch so ähnlich ist sie sicherlich vielen begegnet. Ein Freund rief Andreas an. Ob er helfen könne, die Wohnung seines verstorbenen Vaters auszuräumen. Vor dem Haus standen zwei Container – Mulden genannt. Sie füllten sich bald mit Möbeln und Hausrat.

An den Wänden des Arbeitszimmers waren Regale eingebaut. Sie reichten bis zur Decke. Ein großer Teil der Regale war mit länglichen Plastikboxen gefüllt. Die Boxen waren akribisch beschriftet, mit Datum versehen und nummeriert. In den Boxen lagerten Magazine mit Diapositiven, staubgeschützt. Der Verstorbene war ein engagierter Hobbyfotograf gewesen hatte viele Reisen unternommen. Über Jahrzehnte hatte er seine Reisen sorgfältig dokumentiert.

„Sollen die Dias auch weg?“

„Ja, alles in die Mulde!“

Ein fotografisches Lebenswerk landete auf dem Müll.

Als ich die Geschichte hörte, wurde ich nachdenklich. Welchen Wert hat ein Foto? Natürlich hat ein Foto zu nächst einmal einen Wert für den Fotografen selbst. Schaut er seine Bilder an, so erinnert er sich vielleicht an jede einzelne Fotosituation, erlebt die Spannung oder Freude, die Anstrengung und Erfüllung aufs Neue.

Vielleicht war der Verstorbene Mitglied in einem Fotoclub. Seine Reisedias waren dort allgemein anerkannt. Und die Aufnahmequalität war immer top. Schließlich benutzte er eine professionelle Ausrüstung.

Der Ehepartner, wenn er das Hobby nicht teilt, ist da vielleicht schon weniger begeistert: „Erich! Willst du wirklich den Schulzes sämtliche Dias von Kreta zeigen?!“

Den Kindern waren Papas Diaschauen immer ein Graus gewesen. Sie interessierten sich für andere Dinge. Für sie hatten die Bilder der vielen schönen Reisen keinen Wert.

Der Wert eines Fotos ist vielleicht ein Stück weit personenabhängig. Auch bei mir zu Hause hängen Fotos, die meisten zeigen die Familie. Auf dem ältesten sieht man den 60. Geburtstag meiner Urgroßmutter. Der größte Teil ihrer Familie ist um sie versammelt: Kinder, Schwiegertöchter und -söhne, Enkelkinder. Ganz nah bei der Jubilarin steht ihre Enkeltochter Sonja, damals etwa fünf Jahre alt. Heute ist meine Mutter 88 – die einzige Überlebende der auf dem Foto Abgebildeten. An der gleichen Wand hängen Bilder von meinem Vater und seinen Geschwistern und ein Foto aus Okinawa. Es zeigt die Familie meiner Frau beim 60. Geburtstag ihres Vaters.  Alle haben eine strenge Haltung eingenommen, niemand der Älteren lächelt. Masaes Familie ist in drei Reihen hintereinander formiert, die vordere Reihe sitzt, die zweite steht und die hintere steht auf Hockern, damit man auch alle erkennen kann. Und schließlich sind da auch noch die Fotos unserer Kinder von der Vorschulzeit bis heute.

Auf diversen Festplatten lagern (Ich habe gerade einmal nachgezählt) ca. 70.000 Fotos von mir. Ich schätze, dass 65.500 davon nur noch selten bis gar nicht angeschaut werden. 1500 Fotos habe ich auf Flickr veröffentlicht, etwa 200 auf Fotocommunity und rund zwei Dutzend auf 500px. Das Interesse daran hält sich in Grenzen. Ungefähr 50 eher dekorative Bilder ohne Familienbezug habe ich als Drucke. Einige davon sind oder waren in Ausstellungen. Inzwischen ist mir die kurze Halbwertszeit von dekorativen Bildern bewusst. Ich bemühe mich, Fotos jenseits des oberflächlich Schönen zu machen.

Welchen Wert wird meine fotografische Hinterlassenschaft haben? Zumindest werden es meine Kinder leichter haben als der Freund von Andreas. Ein paar Festplatten sind einfach zu entsorgen.

My brother-in-law Andreas told me the little story, but I’m sure, similar things often happen. A friend called Andreas. Whether he could help clear out his late father’s apartment. In front of the house there were two containers. They soon filled with furniture and carpets and other household effects.

Shelves were built into the walls of the study. They reached up to the ceiling. A large part of these shelves was filled with long plastic boxes. The boxes were meticulously labelled, dated and numbered. The boxes were filled with racks of slides, dust protected.

The deceased had been a dedicated amateur photographer and had undertaken many journeys. For decades he had carefully documented his travels.

“Should the slides also be removed?”

“Yes, everything in the container!”

A photographic life’s work landed on the garbage within a couple of hours.

When I heard the story, I became thoughtful. What is the value of a photo? Firstly a photo has a value for the photographer himself. If he looks at his pictures, he may remember every single photo situation, experience the tension or joy, the effort and fulfillment anew.

Perhaps the deceased was a member of a photo club. His slide shows were generally recognized there. And the quality was always top. After all, he used professional equipment.

The spouse, if she doesn’t share the hobby, is perhaps less enthusiastic: “Erich! Do you really want to show all the slides of Crete to the Schulzes?”

Papa’s slide shows had always been a horror for the children. They were interested in other things. For them, the pictures of the many beautiful journeys had no value.

The value of a photo is perhaps a very personal one. Photos also hang at my home, most of them show the family. The oldest one shows the 60th birthday of my great-grandmother. Most of her family is gathered around her: Children, daughters-in-law and sons-in-law, grandchildren. Her granddaughter Sonja, then about five years old, stands very close to the jubilarian. Today my mother is 88 – the only survivor of those pictured. On the same wall hang photos of my father and his siblings and a picture from Okinawa. It show my wifes family at her father’s 60th birthday. All family members are keeping a strict posture, only the young people smile. Masae’s family is lined up in three rows one behind the other, the front row sits, the second row stands and the back row stands on stools so that everyone can be seen. And finally, there are the photos of our children from preschool to today.

On several hard disks there are about 70.000 photos of me (I just counted them). I estimate that 65,500 of them will never be looked at again. I published 1500 photos on Flickr, about 200 on Fotocommunity and about two dozen on 500px. The interest in it is limited. I have about 50 rather decorative pictures without family reference as prints. Some of them are or were in exhibitions. Meanwhile I am aware of the short life of decorative pictures. I try to take photos beyond the superficially beautiful.

What value will my photographic legacy have? At least my children will have it easier than Andreas’s friend. A few hard disks are easy to dispose of.

10 Comments

  1. Rolf Norgaard

    Manchmal wenn ich so vor mich hin träume, stell ich mir vor, dass es in einer fernen Zukunft sowas wie Festplattenarcheologen gäbe, die mit uns noch unvorstellbaren Mitteln, die Daten aus den wegeworfenen Festplatten extrahieren. Und dann träume ich davon, dass sie ausgerechnet meine Festplatten ausgraben und ich sehe förmlich ihre langen Gesichter, wenn sie fünfundvierzigtausend Blümchenfotos finden und hunderttausend Reisebilder und darunter gäbe es ungefähr ein Dutzend, die mir richtig wichtig wären aber das werden Sie nie rausfinden (es sei denn Sie finden auch diesen Blog hier)

    • JOHNDOE

      Wir haben heute viele Möglichkeiten unsere digitalen Daten zu speichern, aber ich bin mir sicher, dass das digitale Zeitalter in der Weltgeschichte einmal eine ganz große Lücke aufweisen wird.

  2. JOHNDOE

    Dieser Beitrag hat mich schon sehr nachdenklich gemacht. In den Bildern steckt nicht nur die eigentliche Bildinformation sondern auch persönliches vom Fotografen. So etwas wegzuwerfen lässt darauf schliessen, dass zwischen Vater und Sohn kein gutes Verhältnis bestand. Der Platzbedarf für solche Dias dürfte ja nicht all zu groß sein, da zu dieser Zeit noch nicht die Masse an Bildern angefertigt wurde. Wenn Erinnerungen so ausgelöscht werden macht mich das schon sehr betroffen.

    • Hania Kartusch

      Das sehe ich nicht so. Vielleicht hat der Vater auch einige Ausdrucke oder Fotoalben hinterlassen, die sich der Sohn sehr wohl aufhebt. Dias, die man selbst nicht anschauen möchte, würde ich auch nicht aufheben, allerdings würde ich sie auch nicht wegschmeißen, sondern einem Fotoklub oder ähnlichem schenken.

      • JOHNDOE

        Okay, das mit den Bildern bzw. Fotoalben könnte schon sein. Trotzdem möchte ich dann noch einmal eine Frage stellen. Warum würden Sie die Bilder nicht auch wegwerfen, wo es doch der einfachere Weg ist, als diese einem Fotoklub zukommen zu lassen? Ich behaupte mal, dass Sie damit den Bildern trotzdem eine gewisse Wertschätzung entgegen bringen würden. Würde dadurch der Vater nicht auch symbolisch doch noch in den Bildern weiterleben? Ist es nicht auch das, was wir Menschen möchten, nach unserem Tod mit unserem Erschaffenen ein wenig weiterleben?

  3. swissfoto

    Wenn die Fotos gut beschriftet sind mit Ort und Datum können sie für lokale Archive, Historiker etc. interessant bleiben/werden.

    • Harald S.

      Ja, danke für den Hinweis. Der Artikel soll ein wenig das Nachdenken über das Thema provozieren. Es ist übrigens gar nicht so leicht, digitale Medien dauerhaft zu archivieren. Sie sind viel flüchtiger als belichtete Fotos oder Negative. Festplatten und SD-Speicher haben eine sehr begrenzte Lebensdauer. Von der heutigen Bilderfülle wird der Nachwelt möglicherweise deutlich weniger überliefert werden als zu analogen Zeiten. Ich weiß noch gar nicht, ob das Stadtarchiv Pforzheim für elektronische Nachlässe ausgerüstet ist. Ein Artikel dazu aus der guten alten Wikipeia: https://de.wikipedia.org/wiki/Langzeitarchivierung

  4. h.

    Ein schöner Artikel, der nachdenklich macht. Ich werde trotzdem weiter gerne fotografieren, wohl kaum für die Nachwelt, für jetzt! Danke Harald.

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