Quelle/Source: Wikipedia
Ein schwieriges Thema, das merkte ich daran, dass ich das Buch “Decolonising the Camera” von Mark Sealy nur stückchenweise lesen könnte. Es ist eben kein auf Populärniveau herab transformierter Text, sondern eine ernsthafte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Quellen. Das wird schon daran deutlich, wie im ersten Kapitel, dass „The Congo Atrocities“ benannt ist, ein sehr differenziertes Bild gezeichnet wird.
Es geht um eine Serie von Diapositiven (lantern slides), die das Missionars-Ehepaar Harris benutzt haben, um in einer breit angelegten Kampagne die Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzuprangern, die im, von Belgien verwalteten, Kongo in der Zeit des ausgehenden 19ten Jahrhunderts begangen worden. Es war 1902 wahrscheinlich die erste Kampagne dieser Art, die sich auf Bilder stützte und dadurch eine sehr große Wirkung erzielen konnte. Schon früher hatten andere britische sowie amerikanische und französische Besucher des Kongo über Grausamkeiten berichtet, aber erst die den erläuternden Text bebildernden `lantern slides´ der Harrises entfalteten diese starke Wirkung.
Sealy zeigt aber auch sehr klar auf, dass diese Kritik natürlich auch interessengeleitet war. Man zeigte da mit dem Finger auf die anderen (die Belgier) ohne mitzureflektieren, dass die Briten ja auch nicht gerade zimperlich waren in ihren Kolonien. So konnten die Harrises sich als Briten und als Missionare in einem guten Licht präsentieren. Die Botschaft geht aus heutiger Sicht in die Richtung, zu sagen: „wir Briten unterwerfen die Schwarzen auch, aber wir gehen dabei menschlicher vor“. An ein Recht der Schwarzen im Kongo, sich selbst zu verwalten, wird gar nicht erst gedacht. Es wird eher mit dem Gedanken gespielt, dass, wenn die Briten im Kongo das Sagen hätten, es bei der Ausbeutung menschlicher zugehen würde.
Eine weitere Wirkung der Photographien die Sealy eingehend analysiert, ist die Exotisierung und Archaisierung der Schwarzen durch eine theatralische Darstellung in den Bildern. Die Bilder dienen nicht dazu, die Menschen in Afrika besser zu verstehen, oder ihnen näherzukommen, sondern vielmehr dazu zu zeigen, wie anders und wie rückständig sie sind. Das wiederum bietet die Basis davon, sagen zu können, dass die Schwarzen die `Hilfe´ der Europäer brauchen, dass also Kolonialismus gerechtfertigt ist, vor allem der in diesem Licht sanfter erscheinende Kolonialismus der Briten.
Auch die missionarische Botschaft der Harrises geht letztlich nach hinten los, auch wenn sie dazu geführt hat, dass im Rahmen dieser Vorführung sehr viel Geld für die Missionars Arbeit gesammelt wurde. Die Missionare haben ja den Afrikanern nicht wie Sie behaupten, etwas gebracht (das Christentum), sondern ihnen etwas weggenommen, nämlich ihre traditionellen Glaubenswelten und die Macht selbst bestimmen zu können, was man glaubt. Wie die weltlichen Herrscher das Verfügungsrecht über die Schätze des Landes an sich gerissen haben, so haben sie Missionare das Verfügungsrecht über die Vorstellungswelt der Afrikaner beansprucht. Sealy zeigt auch, dass die Missionare sich selbst nicht als Teil der Kolonialisierung ansehen, was natürlich eine Art blinder Fleck in ihrem Selbstbild zu sein scheint. Auch stellt sich die Frage, warum die Missionare der ganzen Gewalt 20 Jahre lang untätig zugesehen haben, bevor sie an die Öffentlichkeit gebracht wurde.
Sealy geht noch auf die mediale Verbreitung und Wirkung der Vortragsreisen der Harrisses ein, die immerhin 8 Jahre mit den Bildern getourt und viel Geld damit eingesammelt haben. Auch nicht zu vernachlässigen ist der Unterhaltungsaspekt der Bilder. Sealy erwähnt, dass auch das Grauen als eine Art schauerliches Vergnügen gewirkt haben könnte und zeigt dieses u.a. auch daran, dass in den Bildern neben der Darstellung der Grausamkeiten der Kolonialherren auch nicht mit Hinweisen auf die anscheinend kannibalistischen Neigungen einiger der dort ansässigen Stämme gespart wird.
Der Artikel ist so vielgestaltig, dass es mir schwerfällt, das alles wiederzugeben. Es werden auch die einzelnen Dias analysiert und bezüglich ihrer Intention und Wirkung eingeordnet.
Sealy kommt zu dem Schluss, dass die Bilder neben ihrer erklärten Intention, die Grausamkeiten der Belgier öffentlich zu machen, eben auch den bildhaften Dreiklang von exotisch, ethnographisch und gruselig mittransportiert haben, der dann aber wahrscheinlich auch zu ihrer beispiellosen Wirkung beigetragen haben wird.
Wer einen schnellen und breiter angelegten Video-Einstieg in so ein schwieriges Thema bevorzugt und der englischen Sprache mächtig ist, kann auch ein Interview mit Marc Sealyauf YouTube anschauen.
Obwohl ich das Buch bisher nur angelesen habe, ist diese Geschichte vom Anfang des 20ten Jh. so spannend und interessant, dass ich sie euch nicht vorenthalten wollte. Was mich als Gedanke immer wieder beschäftigt, ist die Frage, ob wir nicht heute, obwohl wir das Unrecht von gestern klar vor Augen haben, nicht blind sind für die Verwüstungen, die unsere Art zu leben und zu wirtschaften in anderen Teilen der Welt (und letztlich auch in unserer eigenen Lebenswelt) verursacht.
A difficult topic, as I noticed when I read the book “Decolonising the Camera” by Mark Sealy in bits and pieces. It is not a text transformed down to popular level, but a serious scientific examination of sources. This is already clear from the fact that in the first chapter, which is called “The Congo Atrocities”, a very differentiated picture is drawn.
It is about a series of lantern slides used by the missionary couple Harris to denounce in a broad campaign the crimes against humanity committed in the Belgian-administered Congo at the end of the 19th century. In 1902, it was probably the first campaign of its kind to be based on images, which enabled it to achieve a very wide impact. Earlier, other British as well as American and French visitors to the Congo had reported atrocities, but it was the Harrises’ `lantern slides’ illustrating the explanatory text that developed this strong impact.
But Sealy also shows very clearly that this criticism was of course also guided by interests. One pointed the finger at the others (the Belgians) without reflecting that the British were not exactly squeamish in their colonies either. So the Harrises could present themselves as British and as missionaries in a good light. From today’s point of view, the message goes in the direction of saying: “we British people also subjugate the blacks, but we do it in a more humane way”. A right of the blacks in the Congo to administer themselves is not even thought of. The idea is rather that if the British were in charge in the Congo, the exploitation would be more humane.
Another effect of the photographs that Sealy analyzes in depth is the exoticization and archaization of blacks through a theatrical representation in the images. The images do not serve to better understand or get closer to the people of Africa, but rather to show how different and how backward they are. This in turn provides the basis of being able to say that the blacks need the ‘help’ of the Europeans, that colonialism is therefore justified, especially the colonialism of the British, which appears gentler in this light.
The missionary message of the Harrises also ultimately backfires, even though it led to a great deal of money being raised for the missionaries’ work as part of this screening. The missionaries did not bring something to the Africans (Christianity) as you claim, but took something away from them, namely their traditional beliefs and the power to determine for themselves what one believes. Just as secular rulers usurped the right to dispose of the treasures of the land, so the missionaries claimed the right to dispose of the imaginary world of Africans. Sealy also shows that the missionaries did not see themselves as part of the colonization, which of course seems to be a kind of blind spot in their self-image. There is also the question of why the missionaries stood idly by and watched all the violence for 20 years before it was brought out into the open.
Sealy still goes into the media dissemination and impact of the lecture tours of the Harrisses, who after all toured with the pictures for 8 years and collected a lot of money with them. Also, not to be neglected is the entertainment aspect of the images. Sealy mentions that also the horror could have acted as a kind of gruesome pleasure and shows this among other things also by the fact that in the pictures apart from the representation of the cruelties of the colonial masters also not with references to the apparently cannibalistic inclinations of some of the resident tribes is not spared.
The article is so multifaceted that it is difficult for me to reproduce it all. It also analyzes the individual slides and classifies them in terms of their intent and effect.
Sealy concludes that the images, in addition to their stated intention of publicizing the atrocities of the Belgians, also conveyed the pictorial triad of exotic, ethnographic, and creepy, which probably contributed to their unprecedented impact.
If you prefer a quick and broader video introduction to such a difficult topic and are fluent in English, you can also watch an interview with Marc Sealy on YouTube.
Although I have only read a part of the book so far, this story from the beginning of the 20th century is so exciting and interesting that I did not want to withhold it from you. What always occupies me as a thought is the question of whether we are not today, although we have the injustice of yesterday clearly before our eyes, are not blind to the devastation caused by our way of life and business in other parts of the world (and ultimately in our own lives).