Wenn man über Photographie nachdenkt, kommt man an Punkte, die stark in dem Bereich der Selbsterkenntnis hereinragen. So muss ich mir immer wieder die Frage stellen, warum ich keine Menschen photographiere und wenn dann eher aus der Distanz oder zufällig, auf jeden Fall ohne mich mit ihnen auseinandersetzen zu müssen. Ich nehme mal an, dass es mit anderen Motiven bequemer ist. Die Blümchen können sich nicht wehren, die Landschaften können einem keinen Korb geben. Dann bastelt man sich halt so eine Selbstdefinition, die besagt, dass man daran nicht interessiert ist. Das ist sehr einfach, wenn es darum geht sich gegen Photographen abzugrenzen, die sich um leicht bekleidete Mädels schauen oder bezahlte Models in einen `Lost Place´ abschleppen und sie dort hundertfach abzulichten. Schwerer wird es schon, wenn es um ernsthafte “Leute-Photographie” geht.
So hat mich Thomas aus Köln kürzlich an August Sander erinnert, indem er mir einen Artikel von Andy Adams über die drei `Jungbauern auf dem Weg zu einer Tanzveranstaltung´ geschickt hat. Ausgerechnet August Sander mit dem großen Projekt, seine Zeit in den Gesichtern und Posen seiner Mitmenschen zu zeigen. Da wird es schon schwerer sich abzugrenzen, schließlich sind Portraits von Menschen ja auch durchaus ein Teil der Dokumentarfotografie.
Dementsprechend konstatiert Matthias Gründig im Katalog der kürzlich besuchten Ausstellung “Pictures of the Present”, dass es in den 30 Jahren der Stiftungspreise der Wüstenrot-Stiftung immer auch Portraits unter den Preisträgern gegeben hat. Letztlich geht die Geschichte mit den Portraits ja noch viel weiter zurück. Das Porträt war (fast) von Beginn an eines der beliebtesten Nutzanwendung der Photographie. Und davor der Malerei und Bildhauerei.
Wieso also kann ich das nicht/will ich das nicht? Ein Grund, der mir zuallererst in den Sinn kommt, ist, dass ich der Annahme, man könne mit einem Porträt mehr als nur die Gestalt ablichten, einfangen oder zeigen, letztlich skeptisch gegenüberstehe. Auch der Anspruch von August Sander mit seinen Porträts verschiedener Menschen so etwas wie ein Porträt seiner ganzen Zeit zu liefern ist zumindest fragwürdig. Was sagt das Bild der Jungbauern über ihr Leben auf den Bauernhöfen, was sagt es über die ökonomischen und ökologischen Rahmenbedingungen, unter denen diese spezifischen Menschen gelebt haben? Eigentlich gar nichts, oder doch? Natürlich kann man an der Kleidung, an den Frisuren, in den Accessoires und an den Gesichtern einiges über die Menschen und Gewohnheiten jener Zeit ablesen, aber was sagt das schon, wenn wir nicht wissen, wie diese Aufnahmen zustande gekommen sind.
Wir wissen aus der ethnologisch motivierten Photographie, wie ich in dem Artikel über die vorletzte Ausstellung im Kunstwerk beschrieben habe, dass die Protagonisten derselben so eingekleidet worden, dass sie für den Photographen als typisch durchgehen konnten. Wir wissen auch aus der Kolonialzeit, dass Bilder inszeniert worden, damit sie die Unterlegenheit der Portraitierten möglichst offensichtlich zeigen sollen.
Aber auch bei Sander zeigt sich das Porträt eher als trügerisch, denn als er erhellend. Kommen wir noch mal auf die drei Jungbauern zurück. Durch die Bild-Titel Kombination erscheint es schlüssig. Aber wenn man genauer hineinschaut, schwindet die Sicherheit der Interpretation. John Berger sieht in den Dreien noch die erste Generation von Anzugträgern aus der Arbeiter- und Bauern-Klasse. Er empfindet die Art, wie diese Anzüge getragen werden als unnatürlich im Vergleich zu einem anderen Anzugträger-Porträt von Sanders, das drei Stadtmissionare zeigt.
When you think about photography, you come to points that are very much in the realm of self-knowledge. So I always have to ask myself why I don’t photograph people, and if I do, it’s more from a distance or by chance, but in any case without having to deal with them. I suppose it’s more comfortable with other subjects. The little flowers can’t defend themselves, the landscapes can’t give you a basket. Then you just make up a self-definition that says you’re not interested in them. That’s very easy when it’s a question of distinguishing yourself from photographers who look after scantily clad girls or take paid models to a ‘lost place’ and photograph them there a hundred times. It gets more difficult when it comes to serious “people photography”.
Thomas from Cologne recently reminded me of August Sander by sending me an article by Andy Adams about the three ‘three young farmers on their way to a dance event’. August Sanders, of all people, with the great project of showing his time in the faces and poses of his fellow human beings. This makes it more difficult to distinguish oneself, as portraits of people are also part of documentary photography.
Accordingly, Matthias Gründig states in the catalogue of the recently visited exhibition “Pictures of the Present” that in the 30 years of the Wüstenrot Foundation Awards, there have always been portraits among the prize winners. Ultimately, the history of portraits goes back much further. The portrait was (almost) from the beginning one of the most popular uses of photography. And before that, painting and sculpture.
So why can’t I/won’t I do it? One reason that comes to mind first and foremost is that I am ultimately sceptical of the assumption that a portrait can do more than just photograph, capture or show the figure. August Sander’s claim to deliver something like a portrait of his entire time with his portraits of various people is also questionable to say the least. What does the picture of the young farmers say about their lives on the farms, what does it say about the economic and ecological conditions under which these specific people lived? Nothing at all, really, or does it? Of course, you can tell a lot about the people and habits of the time from their clothes, hairstyles, accessories and faces, but what does that say if we don’t know how these images came about?
We know from ethnologically motivated photography, as I described in the article about the penultimate exhibition in the Kunstwerk, that the protagonists of these photographs were dressed in such a way that they could pass as typical for the photographer. We also know from the colonial era that pictures were staged to show the inferiority of the portrayed as obviously as possible.
But even with Sanders, the portrait is more deceptive than illuminating. Let’s come back to the three young farmers. The picture-title combination makes it seem conclusive. But if you take a closer look, the certainty of the interpretation fades. John Berger sees the three of them as the first generation of suits from the working and peasant classes. He finds the way these suits are worn unnatural in comparison to another suit-wearing portrait by Sanders, which shows three city missionaries.
Jungbauern und Stadtmissionare aus / Young farmers and city missionaries from John Bergers „Der Augenblick der Fotografie“
John Green dagegen sieht in seinem Video in den Dreien eher den hoffnungsvollen Blick, der die nahe Katastrophe (das Bild wurde kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges aufgenommen) nicht sehen kann. Zudem recherchiert er die Personen und stellt fest, dass nur zwei von ihnen den Krieg verwundet überleben werden und vor allem, dass alle drei keine Bauern sind. Zwei sind Minenarbeiter gewesen und einer Büroangestellter. Sanders hat sie auf dem Weg von einem Dorf zum anderen abgefangen. Sehr wahrscheinlich wollten sie wirklich zu einer Tanzveranstaltung gehen. Wir wissen nicht, ob Sander wusste, dass es keine Bauern sind. Eines der berühmtesten Gruppenporträts des 20ten Jahrhunderts ist also alles andere als typisch und auch Berger liegt daneben. Zumindest der Büroangestellte könnte durchaus Anzugträger gewesen sein. Okay, das ist nur ein Beispiel, aber es bestätigt mich in der Skepsis Portraits gegenüber.
In his video, John Green, on the other hand, sees the three of them as hopeful people who cannot see the impending catastrophe (the picture was taken shortly before the outbreak of the First World War). He also researches the characters and discovers that only two of them will survive the war wounded and, above all, that all three are not farmers. Two were miners and one was an office worker. Sanders intercepted them on their way from one village to another. They were probably really going to a dance. We don’t know whether Sander knew that they weren’t farmers. So one of the most famous group portraits of the 20th century is anything but typical and Berger is also off the mark. At least the office worker could well have been wearing a suit. Okay, that’s just one example, but it confirms my scepticism about portraits.
Zweimal Jungbauern (beide von Sander) in / Two young farmers (both from Sander) in „1000 Photo Icons“ und/and „Hinter der Kamera“
Warum sind denn Portraits zu so einer erfolgreichen Gattung in der Photographie geworden (und waren es vorher schon in der Malerei)? Zum einen wohl wegen des Erinnerungswertes. Solange man weiß, wer das auf dem Bild ist, dient es dem Gedächtnis als Stütze und dem Gedenken als Referenz. Nicht Wenige haben irgendwo in der Wohnung so eine Art Ahnen-Galerie aus einem oder mehreren Bildern hängen oder in einem Album rumliegen.
Zum zweiten und da kommt Mimik und Gestik ins Spiel können wir Gefühle und Gedanken, in die der abgelichteten Menschen hineinprojizieren. Wir unterstellen ihnen Regungen, die wir selbst verspüren oder verspürt haben. Am Beispiel der „Drei Jungbauern“ kann man zeigen, wie weit dieses Reininterpretieren und Weitererzählen geht. Richard Powers hat in seinem Roman „Three Farmers on Their Way to a Dance”, das Bild als Dreh- und Angelpunkt seiner Romanerzählung genommen.
Beim „lesen“ solcher Bilder liegt bei mir eine Schwäche vor, die mir möglicherweise den „Spaß ” an Porträts verdirbt. Ich kann schlecht die Mimik anderer Menschen auf Bildern interpretieren und wenn, liege ich oft daneben. Es geht sogar so weit, dass ich bis auf wenige Ausnahmen mit den Emojis nichts anfangen kann, weil ich nicht weiß, z.B. was es bedeutet, dass dieses eine Gesicht die Augen zusammenkneift oder ähnliches. Wer weiß, vielleicht sind ja meine Spiegelneuronen etwas unterentwickelt, oder ich habe nicht gelernt mit Gefühlen umzugehen, weil in meiner Familie nicht darüber gesprochen wurde. Ganz selten sprechen mich Portraits an, am ehesten, wenn ein entspannter von mir als natürlich empfundener Gesichtsausdruck im Spiel ist. Und ich kann auch Portraits photographieren, wenn ich die Menschen gut kenne und viel Zeit mit ihnen verbringe.
Why have portraits become such a successful genre in photography (and were already so in painting)? On the one hand, probably because of the memory value. As long as you know who is in the picture, it serves as a support for the memory and as a reference for remembrance. Quite a few people have a kind of ancestral gallery of one or more pictures hanging somewhere in their home or lying around in an album.
Secondly, and this is where facial expressions and gestures come into play, we can project feelings and thoughts into those of the people photographed. We impute emotions to them that we ourselves feel or have felt. The example of the “Three Young Farmers” shows how far this reinterpretation and retelling goes. In his novel “Three Farmers on Their Way to a Dance”, Richard Powers used the image as the pivotal point of his narrative.
When “reading” such pictures, I have a weakness that possibly spoils my “fun” with portraits. I have difficulty interpreting the facial expressions of other people in pictures and when I do, I am often wrong. It even goes so far that, with a few exceptions, I can’t do anything with the emojis because I don’t know, for example, what it means that this one face is squinting its eyes or something similar. Who knows, maybe my mirror neurons are a bit underdeveloped, or maybe I haven’t learned how to deal with emotions because they weren’t talked about in my family. Portraits rarely appeal to me, most of all when there is a relaxed facial expression that I find natural. And I can also photograph portraits if I know the people well and spend a lot of time with them.
Translated with the help of DeepL
Kleiner Tipp für Sander Fans im Norden: https://wordpress.com/read/feeds/132228613/posts/5172022406
Ich habe aufgehört, Portraits zu machen (bis dahin habe ich praktisch nur Menschen fotografiert), nachdem ich vor dreißig Jahren meine Volleyball-Hobbymannschaft Gesicht formatfüllend mit einem Weitwinkel fotografiert hatte. Da steckte ein Drang zur Absurdisierung in mir, den ich nicht mehr weiterverfolgen wollte. Erst als das Kind kam, waren Menschen wieder attraktiver. Ich finde es schön, wenn sich Menschen vor der Kamera präsentieren, wie sie sich fühlen oder zu sein wünschen (oder wenn sie etwas spielen), an eingefangene Seele oder Charakter im Bild glaube ich auch eher nicht, das entsteht doch im Kopf des Betrachters. Wenn man es kann (ich wohl nicht), kann man mit Portraits aber sehr viel Stimmung transportieren. Auf Flickr gerate ich immer wieder in Streams, die mich sehr anrühren, weil sie von der Atmosphäre des Lebens (ich lasse das mal so diffus als Beschreibung) berichten. Oder zu berichten scheinen. Die “Wirklichkeit” spielt da für mich nicht so eine große Rolle.
Deshalb kann ich auch gut mit solchen Bildern wie denen von Sander leben. Seine Modell posieren ja auch in der Regel, selbst wenn sie wie die Jungbauern nur kurz im Schritt innehalten (scheinbar). Über die Zeiten bleibt dann doch ein Dokument, nicht nur, wie sich die Menschen gegeben haben, sondern auch, wie sie von Fotografen wahrgenommen wurden. Viele denken ja, nur die pure Dokumentation könne die Zeiten überdauern, aber ich finde, gerade die Äußerlichkeiten von Mode (in Kleidung und Fotografie) erzeugen erst das Gefühl des Vergangenen und des Aktuellen.
Gruß Andreas
PS: Seit einiger Zeit bekomme ich die Seite nur noch in dieser Ansicht oder Weblayout präsentiert, in verschiedenen Browsern und auf verschiedenen Geräten. Liegt das Problem wohl hier oder bei mir?
I fully understand and share his aversion to photographing people. I also try to avoid them all the time in my images. I congratulate you, I liked your article very much.