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Kopien ohne Original / Copies without Original

„That is not me. That is somebody else. I love when it happens.”

Cindy Sherman

So hatte die Kuratorin für das  20. und 21. Jahrhundert der Staatsgalerie Stuttgart jede halbstündige Mittagsführung benannt, die durch die große, „Anti-Fashion“ betitelte, Cindy Sherman-Ausstellung führen sollte. Ich hätte mir die Ausstellung, nach einem kurzen Abstecher in die Gällery (Fluxus vom Feinsten v.a. von Alison Knowles), schon ausführlich angeschaut, als ich pünktlich um 12:30 Uhr an der Sammelstelle stand. Ich hatte schon gedacht, die Führung würde ausfallen, aber es stellte sich heraus, dass ich der einzige erschienene Gast war. So bekam ich eine Privatführung, ein Geschenk. Ich konnte mich so mit der Kuratorin, die zwar nicht für diese Ausstellung aber sehr wohl für die Gegenwarts-Kunst in der Staatsgalerie verantwortlich ist prächtig unterhalten und alle Fragen stellen, die sich mir bei dem unbedarften Besuch der Ausstellung aufgetan hatten. Anfangs stellte sie einen Bezug zur Sammlung her, indem sie anhand eines Selbstportraits von Paula Modersohn-Becker dar legte, dass das Selbstportraits zumindest seit der Renaissance in der Kunstgeschichte immer wieder auftaucht und so eine reichen Nährboden für die Selbstdarstellung von Cindy Sherman abgibt.

Gleich am Anfang der Ausstellung ist rechts ein auf den ersten Blick unscheinbares Bild zu sehen, in dem eine aus einer Reihe von Schwarz-Weiß-Fotos ausgeschnittenen jungen Cindy Shermans posieren, alle in Unterwäsche bis auf die letzte, die ein Kleid anhat. In dieser kleinen Arbeit von 1975, die zu einem animierten Film gehört, in dem die weibliche Protagonistin als Anzieh-Püppchen fungiert, enthält, wenn wir es so wollen, den Keim aller kommenden Aktivitäten von Cindy Sherman. Gleich daneben sind Adaptationen von Magazin-Covers zu sehen, in denen sich Cindy Sherman sukzessive in die Rolle der Cover Girls begibt.

Ihre hinlänglich bekannten und ihren Erfolg einläutenden `Film Stills´ werden nicht gezeigt. Es geht gleich in die großflächig bunten Inszenierungen der 80er Jahren hinein. Verschiedene freakige Frauenfiguren, in der bekannten etwas überzeichnenden und leicht provozierenden Weise photographiert. Es bleiben einem die Puppen-Inszenierungen und die ist wirklich ekligen Werke (siehe auch hier ) erspart. Man entdeckt Spuren dieser Phase aber durchaus z.B. darin, dass die füllige Frau im zebrahaft gestreiften Kleid mit dem etwas irren Blick blutige Hände in ihrem Schoß liegen hat. Das war nicht unbedingt etwas für Mode-Magazine.

Der nächste Raum ist schon den `Clowns´ und den `Party Girls´ gewidmet und kommt sehr knallig und mit am Computer generierten Hintergründen daher. Hier verdoppelt sich die Künstlerin auch zum ersten Mal großformatig als die Zwillingsschwestern mit dem Pelzkragen und den großen Brillen. Das erinnert mich an eine Szene aus der „Geschwister“-Ausstellung in Tübingen. Da stehen tatsächlich Besucher vor dem großformatigen Sherman-Bild der drei Schwestern und wundern sich, dass diese sich so ähnlich sehen.

Im nächsten Ausstellungssaal wird konsequent weitergeführt, was sich bei den Clowns schon angedeutet hat; die geschlechtliche Identität wird verwischt. Es kommen androgyne oder sogar männlich anmutende Personen ins Bild. Die Kleider der Serie `Men´ von 2019/2020 sind aus der Kollektion von Stella McCartney, die bewusst geschlechtsneutrale Modelle für Männer entwirft. Hier werden auch Paare inszeniert, die aber so schwer greifbar sind, dass man unweigerlich mit seinen Zuordnungsversuchen scheitern muss. Ganz anders in einem nur als Buch gezeigten Projekt von 2004, in dem sie sich zusammen mit Jürgen Teller als modebewusstes Pärchen inszeniert, alle Rollenklischees inklusive.

Was auch zum Konzept gehört, ist, dass die Bilder keine Titel haben (sie heißen „Untitled # XY“). Ich denke, das ist auch das, was sich die Kuratorin, die mir die Führung gewährte, bei dem Titel gedacht hat. Vor lauter Masken verschwindet das Original. Es kommt dazu, dass Cindy Sherman nicht zu den Eröffnungen ihrer Ausstellung geht (oder wer weiß, vielleicht geht sie verkleidet 😉 ). So kann man auch in den `Photosnews´ vom Juni nachlesen, dass weder Alexandra Nappol, die Kuratorin der Ausstellung noch Christiane Lange, die Direktorin der Staatsgalerie, die sich für die Schau starkgemacht hat, Cindy Sherman persönlich gesprochen oder gar gesehen haben. Nichtsdestotrotz musste jedes Detail bis hin zur Farbe der Titelschilder und der Wände mit dem Team der Künstlerin abgesprochen werden. Viel Mühe steckt auch dahinter, die Werke zusammenzutragen und bei phototographiefreundlichen Bedingungen (abgedunkelt) zu zeigen.

Die neuesten Werke behalten den Bezug zur Mode aber nicht unbedingt so, wie die Mode-Firmen das verstehen. Neu ist das die Frau in Landschaften steht, die Cindy Sherman aus digital bearbeiteten Bildern kreiert, die sie auf ihren Reisen selbst aufgenommen hat.  Wer Cindy Shermans Instagram Account verfolgt, weiß dass sie inzwischen schon wieder einen Schritt weiter ist und mit der KI Selbstbildnisse im Stil von Cindy German kreiert. Ob daraus auch mal großformatige Werke entstehen werden? Man kann gespannt sein.

This is how the curator for the 20th and 21st century of the Staatsgalerie Stuttgart had named each half-hour lunchtime tour, which was to lead through the large Cindy Sherman exhibition titled “Anti-Fashion”. I would have looked at the exhibition, after a short detour to the Gällery (Fluxus at its finest  by Alison Knowles), already in detail, when I stood punctually at 12:30 at the collection point. I had already thought the tour would be cancelled, but it turned out that I was the only guest who showed up. So I got a private tour, a gift. I was able to talk with the curator, who is not responsible for this exhibition, but very well for the contemporary art in the Staatsgallerie Stuttgart, and ask all the questions that had arisen during my innocent visit to the exhibition. At the beginning, she made a reference to the collection by using a self-portrait by Paula Modersohn-Becker to explain that the self-portrait has appeared again and again in art history at least since the Renaissance and thus provides a rich breeding ground for Cindy Sherman’s self-portrayal.

At the very beginning of the exhibition, on the right, there is what at first glance appears to be an unassuming image, in which a group of young Cindy Shermans cropped from a series of black-and-white photographs pose, all in their underwear except for the last one, who is wearing a dress. In this small work from 1975, which belongs to an animated film in which the female protagonist acts as a dress-up doll, contains, if we will, the germ of all the coming activities of Cindy Sherman. Right next to it are adaptations of magazine covers in which Cindy Sherman successively takes on the role of cover girl.

Her well-known film stills, which heralded her success, are not shown. It goes straight into the large-scale colorful productions of the 80s. Various freaky female characters, photographed in the familiar somewhat exaggerated and slightly provocative manner. One is spared the puppet stagings and the really disgusting works (see also here). One discovers traces of this phase, however, for example in the fact that the plump woman in the zebra-like striped dress with the somewhat insane look has bloody hands lying in her lap. That was not necessarily something for fashion magazines.

The next room is already dedicated to the ‘clowns’ and the ‘party girls’ and comes along very gaudy and with computer generated backgrounds. Here the artist also doubles for the first time in large format as the twin sisters with the fur collar and the big glasses. This reminds me of a scene from the “Siblings” exhibition in Tübingen. Visitors actually stood in front of the large-format Sherman picture of the three sisters and were surprised that they look so similar.

In the next exhibition hall, what was already indicated in the clowns is consistently continued; the gender identity is blurred. Androgynous or even male-looking persons come into the picture. The dresses in the `Men’ series of 2019/2020 are from Stella McCartney’s collection, which deliberately designs gender-neutral models for men. Couples are also staged here, but they are so elusive that you inevitably fail with your attempts to assign them. In a project from 2004, which is only shown as a book, she stages herself together with Jürgen Teller as a fashion-conscious couple – all role clichés included.

What is also part of the concept is that the pictures have no titles (they are called “Untitled # XY”). I think that’s also what the curator who gave me the tour was thinking with the title. The original disappears in front of all the masks. It comes to the fact that Cindy Sherman does not go to the openings of her exhibition (or who knows, maybe she goes in disguise 😉 ). Thus, one can also read in the `Photosnews’ of June that neither Alexandra Nappol, the curator of the exhibition, nor Christiane Lange the director of the Staatsgalerie, who promoted the show, have personally spoken to or even seen Cindy Sherman. Nevertheless, every detail, down to the color of the title plates and the walls, had to be agreed with the artist’s team. A lot of effort also went into gathering the works and showing them in photography-friendly conditions (darkened).

The latest works keep the reference to fashion, but not necessarily as the fashion companies understand it. What is new is that the woman stands in landscapes that Cindy Sherman creates from digitally processed images that she has taken herself on her travels.  Anyone who follows Cindy Sherman’s Instagram account knows that she is now one step further and creates self-portraits in the style of Cindy German using AI. Will they ever result in large-format works? One can be curious.

Einige Bilder aus der Ausstellung sind als Presse- Material verfügbar. / Some pictures from the exhibition are available as press material.

PS: Auf dem Plakat der diesjährigen Rencontres in Arles (siehe ganz oben) ist ein Bild von Emma Sarpaniemi zu sehen, es heißt „Self-portrait as Cindy, 2022“ / PS: On the poster of this year’s Rencontres in Arles (see at the top) you can see a picture by Emma Sarpaniemi, it’s called “Self-portrait as Cindy, 2022”.

5 Comments

  1. Andreas

    Danke für den Hinweis und den informativen Artikel. Das war ja ein echter Glücksfall!

    Für mich nicht, jetzt muss ich bis September auch noch irgendwie nach Stuttgart. Und in Arles wartet Crewdson.

    • Rolf Noe

      Gerne. Planst Du, nach Arles zu fahren? Mir war es dieses Jahr zu stressig. Ein Teil meiner diesbezüglichen Trauerarbeit versteckt sich in der Fußnote. Aber nächstes Jahr möchte ich unbedingt hin und am besten in der ersten Woche.

      • Andreas

        Wie gesagt, Crewdson. Eigentlich möchte ich gern hin. Zu Eggleston bin ich auch einfach so nach B gefahren, morgens hin, abends zurück. Aber Arles ist von hier noch mal ein paar hundert K weiter.

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