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Konstanz und Veränderung / Consistency and Change

Wenn man mal eine längere Strecke überblickt (und das tue ich wohl mit meinen 65 Jahren) fragt man sich unwillkürlich, worin denn die Kontinuität bestehen soll, die mein Ich für sich reklamiert. Was habe ich Graubart mit dem Baby zu tun, dass damit seinen gestickten Häubchen friedlich auf der Seite liegt? Ich habe keine Idee mehr, wann ich den Entschluss gefasst habe, diese Frage ganz praktisch und anhand von Bildern nachzugehen. Vielleicht hat es mit dem Tod meines Vaters zu tun, der ja dafür verantwortlich ist, dass es ausreichend Bildmaterial aus meiner Jugend und Adoleszenz gibt. Vielleicht auch mit dem Besuch, den ich mit meiner Schwester in der Ausstellung `Geschwister´ in der Kunsthalle in Tübingen. Jetzt zu sehen im Lentos Kunstmuseum Linz gemacht habe. Da gab es neben verschiedensten Arbeiten zum Thema Geschwister auch die Serie von Nicolas Nixon „The Brown Sisters“ mit seiner Frau und ihren drei Schwestern zu sehen, die es geschafft haben, sich über 45 Jahre jedes Jahr zu treffen und ein Bild anfertigen zu lassen. Das erste Bild stammt aus dem Jahr 1975 und beim Betrachten wird einem schmerzhaft deutlich, wie die Zeit vergeht, wie die Jugend schwindet und wie sich nicht nur die Gesichter, sondern auch Frisuren und Outfits ständig ändern. Selbst Ereignisse wie die Corona-Krise zeichnen sich in der Serie ab. Musste doch das Bild für 2020 aus vier Einzelportraits zusammengesetzt werden, währen in allen anderen Bildern der Serie die Verbundenheit der Geschwister durch kleine Gesten der Nähe zum Ausdruck kommt.

If one looks over once a longer distance (and I do probably with my 65 years) one asks oneself involuntarily, in what the continuity is supposed to exist, which my Ego claims for itself. What do I, graybeard, have to do with the baby that lies peacefully on the side with his embroidered bonnet? I have no idea, when I made the decision to pursue this question quite practically and on the basis of pictures. Maybe it has to do with the death of my father, who is responsible for the fact that there is enough picture material from my youth and adolescence.

Perhaps also with the visit I made with my sister to the exhibition ‘Siblings’ in the Kunsthalle in Tübingen, now on view at the Lentos Kunstmuseum Linz. There, in addition to various works on the theme of siblings, there was also on display the series of Nicolas Nixon “The Brown Sisters” with his wife and her three sisters, who have managed over 45 years to meet every year and have a picture made. The first picture is from 1975 and when looking at it, one becomes painfully aware of how time passes as youth fades and how not only faces but hairstyles and outfits are constantly changing.

Even events like the Corona crisis stand out in the series. The picture for 2020 had to be composed of four individual portraits, while in all the other pictures of the series the closeness of the siblings is expressed through small gestures of closeness.

Die `Brown Schwestern´ photographiert von Nicolas Nixon, wie sie in der Ausstellung in Tübingen hingen / The Brown Sister´by Nicolas Nixon as they were shown in Tübingen

 Diese Idee eines Längsschnitts ist seither sehr oft in den verschiedensten Varianten kopiert worden (siehe Google-Suche “jedes Jahr ein Foto” ) solche Serien wecken den Eindruck, man könnte der Zeit beim Verrinnen zuschauen.

Meine Idee war weniger konzeptuell, sondern eher von der Neugier angetrieben, ob ich es schaffen würde, für jedes Jahr in meinem Leben mindestens ein typisches Foto aufzutreiben. Das ist gelungen und hat mich dazu inspiriert ein kleines Büchlein zu entwerfen, dass diese meine Entwicklung zeigt. Hilfreich war, dass dies in Broschürendruck auch gar nicht so teuer werden würde. Mit Haralds Hilfe, der meinen ersten Entwurf unter die Lupe genommen und kritisiert hat, ist es mir gelungen so ein Büchlein drucken zu lassen, dass ich dann an die Gäste meiner Geburtstagsfeier und alle Freunde verteilt habe, die mir gratuliert haben. So habe ich ein Projekt realisiert, dass zwar nur für einen begrenzten Betrachterkreis interessant ist, aber mir sehr viel Freude gemacht hat.

Die anfangs gestellte Frage hat mein Sohn dahingehend teilweise beantwortet, indem er meinte “…die letzten zehn Jahre hast du dich ja gar nicht verändert“.

This idea of a longitudinal section has since been captured very often in the most diverse variants (see a Google search “every year a photo”) such series give the impression one could watch the time passing.
My idea was less conceptual, but rather driven by curiosity to see, if I could manage to come up with at least one typical photo for each year in my life. I succeeded and was inspired to create a small booklet that shows this evolution of mine. It was helpful that this would not be that expensive in booklet print. With Harald’s help, who examined and criticized my first draft, I managed to have such a booklet printed, which I then distributed to the guests of my birthday party and all friends who congratulated me. In this way I have realized a project that, although interesting only for a limited circle of viewers, has given me a lot of pleasure.
The question posed at the beginning was partially answered by my son, who said “…the last ten years you have not changed at all”.

8 Comments

  1. Stefan Brendle

    Okay, aber da sich mir der sprachanalytische Ansatz noch in jeder Konfrontation mit anderen Ansätzen und einem damit verbundenen x-maligen „misstrauischen“ In-Frage-Stellen überaus bewährt hat, sehe ich durchaus eine Chance, uns auf der „sprachanalytischen Ebene“ erneut zu treffen; und insbesondere in Hinsicht auf „Bild-Problematiken“ jedweder Art!

  2. Ute M.

    Selbst als Schwester finde ich noch interessante Zeiten in deinem Lebensabschnittsbuch😉, da wir eine Zeitlang auf Grund der Entfernung eher weniger Kontakt hatten. Auf jeden Fall ein gelungenes Projekt und ein Dankeschön für diese schöne Erinnerungshilfe.

  3. Stefan Brendle

    Das für mich zentrale Foto ist das 83er – also aus unserer gemeinsamen und sehr speziellen „Philosophen-Zeit“ vom Ende der siebziger bis zur Mitte der achtziger Jahre. Anno 73 waren wir zusammen in der 8. und dann der 9. Klasse und um Pfingsten rum gab´s in Orschel-Hagen im evangelischen Kirchenkeller eine Klassenparty (an die du dich vielleicht auch noch erinnerst), die mir mein erstes überaus eindrückliches Stehblueserlebnis mit einer gewissen Uschi bescherte. Nach deinem für mich überhaupt nicht nachvollziehbaren baghwanesischen Abstecher scheinst du mir auf dem 93er-Foto als auf dem Höhepunkt eines für mich auch nicht wirklich nachvollziehbaren Versuchs im Kleinbürgerlichen dargestellet. Das 2003er-Foto kann ich noch mühelos auf 2001 zurückdatieren, als wir uns das letzte Mal sahen. Und die Fotos von 2013 und 2023? Na ja, während mich „aufs Alter“ die soziale Welt, ob nun direkt erlebt oder in ihrer medialen Vermittlung, immer zorniger macht und das Bedürfnis, „an die Wurzeln zu gehen“, eher stärker als schwächer wird, scheinst du dich ja eher einer – nennen wir´s mal: – freizeitlichen Gelassenheit zu erfreuen.

    • Rolf Noe

      Tja, lieber Stefan. So sind eben die Wege verschieden. Dass ich nicht wie du `straight´ den Weg der sprachanalytischen Philosophie weiter verfolgt habe, sehe ich nicht als Manko an. So bin ich an den verschiedensten Ecken vorbeigekommen und habe eine Vielzahl an Lebensstilen und Weltanschauungen kennengelernt, genug, um ihnen allen zu mißtrauen.

  4. Klaus

    Das scharfe 83er war bei mir ein 76er. In der Ausstellung war ich von Nicolas Nixons Serie sehr beeindruckt, ich kannte sie nur als Auswahl in Buchform. Die Serie ist fasziniernd und machte mich aber auch wehmütig. Das Altern ist schon drastisch zu sehen!

    • Rolf Noe

      Ja, das geht sicher nicht nur Dir und Mir so. Den Job, den früher Totenkopf und Sanduhr innehatten, hat eben inzwischen die Photographie übernommen.

  5. Andi

    Ja doch, ein sehr interessantes Projekt. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Zumal ich deine Entwicklung nur die letzten zwei Jahrzehnte miterleben durfte. Das Aussehen in deinem Vorleben war mir bisher unbekannt 😝

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