So heißt ein relativ neues (2020) Buch von David Campany. Er schreibt darin, wie der Titel es schon sagt, über Photographien, über einzelne von ihm ausgesuchte Photographien. Natürlich versäumt er es nicht schon im Vorwort die Verbindung zu einem deutlich bekannteren Buch nämlich “Über Fotografie/On Photography” von Susan Sontag herzustellen und das ist mehr als nur ein Versuch der zunehmend schwieriger werdenden Frage “was ist Photographie?” auszuweichen, sondern es ist Programm. Man kann sehr viel sagen zu einzelnen Photographien zumal, wenn man wie er seit vielen Jahren als Akademiker, Essayist, Juror und Kurator im Bereich Photographie unterwegs ist. Company liefert Hintergründe, Anekdoten, Biografisches zu den Photographen und natürlich auch seine Gedanken über das jeweilige Bild. Er liefert das, was Roland Barthes in der `hellen Kammer´als das „studium“ bezeichnet hat. Vielleicht nicht ausschließlich, aber hauptsächlich.
Viele der Bilder sind bekannt oder zumindest die bekanntesten Bilder der jeweiligen Photographen wie z.B. `Parlourmaid and Under-parlourmaid´ von Bill Brandt , der `Saut dans le vide´ von Shunk und Kender oder dass `American Girl´ von Ruth Orkin. Es ist wirklich ein intellektuelles Vergnügen, diese kurzen Texte zu lesen und sich das Bild dazu anzuschauen zu können.
This is the name of a relatively new (2020) book by David Campany. In it, as the title suggests, he writes about photographs, about individual photographs selected by him. Of course, he does not fail to make the connection in the preface to a much better known book, namely “Über Fotografie/On Photography” by Susan Sontag and this is more than just an attempt to evade the increasingly difficult question “what is photography?”, but it is a program. One can say a great deal about individual photographs, especially if, like him, one has been an academic, essayist, juror, and curator in the field of photography for many years. Campany provides background, anecdotes, biographical information about the photographers and, of course, his thoughts about the respective image. He provides what Roland Barthes in the `bright chamber’ called the `studium´. Perhaps not exclusively, but mainly.
Many of the images are well known or at least the best known images of the respective photographers such as `Parlourmaid and Under-parlourmaid’ by Bill Brandt, the `Saut dans le vide’ by Shunk and Kender or the `American Girl´ by Ruth Orkin. It is really an intellectual pleasure to read these short texts and to be able to look at the associated picture.
Auch über Bilder, aber ganz anders schreibt Wim Wenders in “Einmal”. Stefan Holland-Cunz hat mich in einem Kommentar zu meinem Post über das Buch „Dieses Bild hat mich angesprochen“ von Katja Petrowskaya darauf hingewiesen. Wenders zeigt in dem Buch Bilder aus seinem Leben und schreibt minimalistische, poetische Texte dazu. Es geht letztlich immer darum, was ihn an den Bildern berührt und welche kleinen Geschichten sie ins Bewusstsein bringen. Seine Herangehensweise stellt das “punctum” von Roland Barthes und die leicht sentimentale Erinnerungsfunktion von photographischen Bildern in den Mittelpunkt, die in Barthes `heller Kammer´ immer irgendwie mitschwingt.
Wim Wenders also writes about images but in a completely different way in “Einmal”. Stefan Holland-Cunz pointed this out to me in a comment to my post about the book “This picture talked to me” by Katja Petrowskaya. In the book, Wenders shows images from his life and writes minimalist poetic texts to go with them. In the end, it is always about what touches him about the pictures and what little stories they bring to consciousness. His approach focuses on Roland Barthes’ `punctum´ and the slightly sentimental memory function of photographic images, which always somehow resonates in Barthes’ `bright chamber´.
Und dann gibt es noch ein drittes Buch über Photographien, das ich mit Vergnügen lese bzw. betrachte. Auch darauf wurde ich in einem Kommentar von Ule Rolff zum oben erwähnten Artikel hingewiesen. Es ist „Blinder Fleck“ von Teju Cole und hier wird noch ein ganz anderer Aspekt deutlich, der beim Schreiben über konkrete Bilder eine Rolle spielen kann. Ich würde es als `Bilder als Projektionsflächen nutzen ´ oder `etwas in Bilder hineinlesen, was vordergründig gar nicht drin steckt´ bezeichnen. Der Titel bezieht sich auf eine physische Tatsache, nämlich auf die Eintrittsstelle des Sehnervs in den Augenhintergrund. Da es hier keine Rezeptoren gibt, können von diesem Teil des Augenhintergrunds auch keine Daten ans Gehirn übertragen werden. Das Gehirn füllt diese Stelle von der Größe einer Orange, die man mit gestreckter Hand vor sich hält, mit “generierten Daten”. Unabhängig davon, ob man denkt, dass wir die Welt, die wir sehen, komplett in unserem Gehirn generieren oder nur den Teil, den wir nicht sehen, Teju Cole setzt das in Texte um, er assoziiert frei zu den Bildern und schreibt eine Fülle von Gedanken auf, die ausgehend von den Bildern in seinem Kopf entstanden sind. Zum Teil beziehen sich die Gedanken dann auch noch auf vorherige oder noch kommende Bilder, sodass zudem noch ein Geflecht an Verbindung zwischen den Bildern entsteht, das zum Teil verunsichernd, teilweise aber auch sehr erhellend ist. Siri Hustvedt schreibt in ihrem Vorwort zu dem Buch:
“Doch spricht vieles dafür, dass Wahrnehmung kein rein passiver Vorgang ist – dass wir die Welt nicht nur aufnehmen, sondern auch gestalten, und dass Lernen dazu beiträgt. Erfahrung bündelt Wiederholungen zu Mustern und diese ermöglichen ein Wiedererkennen, das wiederum Voraussagen über die Welt ermöglicht.“
And then there is a third book about photographs, which I read or look at with pleasure. It was also pointed out to me in a comment by Ule Rolff on the article mentioned above. It is `Blind Spot’ by Teju Cole and here yet another aspect becomes apparent that can play a role in writing about concrete images. I would call it `using images as projection screens´ or `reading something into images that is superficially not in them at all’. The title refers to a physical fact, namely to the point of entry of the optic nerve into the back of the eye. Since there are no receptors here, no data can be transmitted from this part of the fundus to the brain. The brain fills this spot the size of an orange, which you hold in front of you with an outstretched hand, with “generated data”. Regardless of whether one thinks, that we generate the world we see entirely in our brain or only the part we don’t see, Teju Cole translates this into texts, he associates freely with the images and writes down a wealth of thoughts that have arisen starting from the images in his head. In part, the thoughts then also refer to previous or yet to come images, so that in addition a web of connection between the images is created, which is partly unsettling but partly also very enlightening. Siri Hustvedt writes in her preface to the book:
“Yet there is much to suggest that perception is not a purely passive process-that we not only take in the world but also shape it, and that learning contributes to this. Experience bundles repetition into patterns, and these enable recognition, which in turn enables predictions about the world.”
Zusammenfassend wird deutlich, wie unterschiedlich sich Texte an Fotografien anschließen können. Aus der Art wie über Bilder gesprochen/geschrieben wird, kann man gut ableiten, wie der Autor zu der Frage des Verhältnisses von Wahrnehmung und Wahrheit steht. Campany behandelt die Bilder wie Dokumente, deren Verankerungen in bestimmten Zusammenhängen durch seine Kontext-Informationen gestützt werden. Wenders benutzt die Bilder als Erinnerungshilfen für seine persönlichen Wahrnehmung und Emotionen. Am kompliziertesten ist es bei Teju Cole, seine Bilder selbst lassen Räume offen und bieten so Raum für Assoziationen. Sie zeigen aber auch Strukturen und Muster, die sie miteinander verbinden und damit Anknüpfungspunkte für darauf aufbauende Überlegung bieten. Überhaupt wird das Vergnügen erst perfekt, wenn man langsam draufkommt, dass seine (meist) kurzen Texte zwar irgendwie (über die Orte?) mit den dazugehörigen Bildern verknüpft sind, dass sich aber nach und nach ein ganzes Beziehungsgeflecht entspannt, das nicht nur die Texte, sondern auch die Bilder mehr und mehr miteinander verbindet.
In summary, it becomes clear how differently texts can follow photographs. From the way images are spoken/written about, one can easily deduce the author’s position on the question of the relationship between perception and truth. Campany treats the images as documents whose anchors in specific contexts are supported by his contextual information. Wenders uses the images as memory aids for his personal perception and emotions. Teju Cole’s work is the most complicated; his images themselves leave spaces open and thus offer room for associations. But they also show structures and patterns that link them together and thus offer points of departure for reflection based on them. In general, the pleasure is only perfect when you slowly realize that his (mostly) short texts are somehow linked (via the places?) with the corresponding pictures, but that a whole network of relationships gradually unwinds, which connects not only the texts but also the pictures more and more with each other.
Na ja, mein Thema war das Verhältnis Wahrnehmung und Wahrheit; und die Frage, ob etwas wahr ist oder falsch, kommt nun mal erst im Zusammenhang sprachlichen Handelns ins Spiel.
Warum liegt dir so viel daran, Wahrnehmung von menschlicher Sprache zu trennen? Erscheint dir menschliche Sprache als Zwang? Und deshalb zumindest zeitweise: Back to „tierischer Wahrnehmung“?
Was Meditation betrifft, so gibt es da hinsichtlich der Allheit (des Universums), nämlich der Welt von Gegenständen, deren (dessen) sich der Mensch als sprechendes, regelgeleitetes Lebewesen bewusst ist, soweit ich sehen kann, insbesondere zwei Möglichkeiten: Man kann diese Allheit (dieses Universum) als das Eine verstehen, in dem das Viele verschwindet, und beim Meditieren entsprechend versuchen, von sich selbst als Vereinzeltem auf „absolute“ Weise zurückzutreten (und so mit dem Einen zu verschmelzen); oder man kann diese Allheit (dieses Universum) als das Viele in seiner Einheit (oder auch als das unbestimmt viele andere im Ganzen) verstehen und sich beim Meditieren dann auf dieses Viele in seiner Einheit (oder auch auf das unbestimmt viele andere im Ganzen) hin relativieren.
(Sinnliche) Wahrnehmung muss sich mit menschlichem Sprachvermögen verbinden, damit sie in ein Verhältnis zur Wahrheit – sprich: zu Sachverhalten, die wahr oder falsch sein können – treten kann. (Sinnliche) Wahrnehmung, menschliche und tierische, ist auf Gleichartiges bezogen. Bei einer Farbwahrnehmung zum Beispiel wird ein bestimmter Farbton derart wahrgenommen, dass er als derselbe beliebig oft wahrgenommen werden kann. Sachverhalte jedoch setzen ein über bloße (sinnliche) Wahrnehmung nicht zugängliches Einzelnes und Allgemeines voraus. Denn Sachverhalte bestehen darin, dass mittels bestimmter sprachlicher Ausdrücke auf Einzelnes (auf „Gegenstände“) Bezug genommen wird und von diesem Einzelnen mittels anderer sprachlicher Ausdrücke in allgemeiner Weise und positiv oder negativ etwas ausgesagt wird. (In allgemeiner Weise, weil das, was hier von einem Einzelnen ausgesagt wird, von vielen Einzelnen ausgesagt werden könnte.)
Dokumentiert einer, dass seine Frau in der Masca-Schlucht (auf Teneriffa) einen Apfel gegessen hat, indem er ein Foto herstellt und zeigt, mit dem dargestellt sein soll, wie seine Frau in der Masca-Schlucht einen Apfel isst, dann muss, ganz klar, über die bloße (sinnliche) Wahrnehmung (von Gleichartigem) hinaus das menschliche Sprachvermögen ins Spiel kommen, damit entschieden werden kann, ob es wahr ist, dass seine Frau in der Masca-Schlucht einen Apfel gegessen hat. Verfertigt einer Fotos, die ihm als „emotionale“ Erinnerungshilfe, zum Beispiel als Erinnerungshilfe an den Affekt des Zorns darüber, dass Aborigenes in Australien wie der letzte Dreck behandelt werden, dienen sollen, dann genügt, wiederum ganz klar, die bloße (sinnliche) Wahrnehmung in keiner Weise, um – aufs Beispiel bezogen – über die Wahrheit des Sachverhalts, dass Aborigenes in Australien wie der letzte Dreck behandelt werden, zur Entscheidung zu kommen. Und auch wenn ein Fotograf das Darstellungs- und Verwendungsverständnis seiner Fotos völlig der Entscheidung der Betrachter überlässt, genügt keine bloße (sinnliche) Wahrnehmung zur Beantwortung der Frage, ob die Sachverhalte, die im Zusammenhang von Verwendungen, zu deren Verständnis ein Betrachter gekommen ist, ihre Rolle spielen, wahr sind oder falsch.
Hier geht es tatsächlich darum, dass Photographien auf unterschiedliche Art und Weise als eine Art Sprungbrett in sehr unterschiedliche, aber immer irgendwie diskursive Texte dienen. Ich stimme Dir insofern zu, als Sinneswahrnehmungen, Erlebnisse, Erfahrungen, um überhaupt in den Bereich des Mitteilbaren zu kommen, auch schon von Beginn an irgendwie sprachlich verankert sein müssen.
Ich denke aber in dem Bereich, in dem ich meine Wahrnehmung organisiere, ist es durchaus möglich Sinneserfahrungen zu machen ohne sie versprachliche zu müssen, Sinneserfahrungen, die noch nicht mal im Inneren Dialog sich mit Worten und Sätzen verbinden, sondern einfach so stehen bleiben. Darüber kann ich nicht sprechen (Wittgenstein,Tractatus), daran kann ich mich noch nicht mal deutlich erinnern. Das Einzige, was ich kann, ist im wiederholten Erleben solcher Momente eine Art Aha zu verspüren. Ware eine solches freiwilliges Aussteigen aus der diskursiven Sphäre nicht möglich, würde Meditation keinerlei Sinn ergeben. Leider gelingt es (mir) nicht immer den Rat Wittgesteins zu befolgen und über solche Erlebnisse die Klappe zu halten.
Dein Beitrag bildet ein Geflecht von Büchern über die die Fotografie, das insgesamt einen wesentlichen Teil meiner fotografischen Sozialisation abbildet. Eines davon ist mir neu und wird bald hinzukommen: der David Campany. Eines hast du nicht erwähnt, das bei mir auch immer greifbar herumliegt: Anselm Adams, Examples.
Danke für einen weiteren deiner immer sehr lesenswerten Beiträge.
Der Campany ist fast schon so was wie eine Fotogeschichte am Beispiel, aber auch eine Reflexion über das Medium und trotzdem Unterhaltsam. Ich werd mir mal den Ansel Adams-Text anschauen. Das sind schon Basics, aber ich habe es bisher es eher mit den neuen Topographen gehalten, die immer ein wenig abfällig von Adams sprechen, weil er “nur” das Schöne gezeigt hat.
Solche Fotoabsicht gibt es halt auch. Aber zu lesen, wie manche Fotoklassiker zustande gekommen sind, finde ich auch spannend. Die Bilder von Walker Evans, Dorothea Lange und Co sind natürlich so viel politischer – und doch so schön – anderes Thema …
Inzwischen liegt der Campany hier und wartet, dass ich das aktuelle Buch beendet habe.