Zu einer Ausstellung mit Bildern von Seung-Ja Kim-Leutiger im Kulturhaus Osterfeld, Pforzheim
Harald: Das Bild zeigt eine stark körnige Fläche in schwarz-weiß mit unregelmäßigen horizontalen Linien, die sich von links nach rechts zu bewegen scheinen, wie eine Flüssigkeit. Von oben ragt zentral ein rotes Rechteck in die Bildfläche: „Zwischen Leidenschaft und Vernunft“ lautet der Bildtitel.
Die Bilder von Seung-Ja Kim-Leutiger im Foyer des Kulturhauses Osterfeld wollen betrachtet, und befragt werden. Sie geben ihre Aussage nicht ohne Auseinandersetzung preis. Zu sehen sind Details, etwa aus der Natur, gesprungenes Glas, Baumrinde, mitunter erkennt man ein Spinnennetz, Blätter… Scherben vielleicht, den bröckelnden Putz einer alten Mauer. Dies ist nicht Fotografie im eigentlichen Sinne, sondern Malerei mit Mitteln der Fotografie und digitaler Bildbearbeitung. Die abgebildeten Formen haben sich vom Gegenstand gelöst. Sie werden zu Elementen einer abstrakten Kunst. Durch zusätzliche digital erzeugte Elemente wie Linien oder halbtransparente Farbflächen nimmt die Künstlerin die abgebildeten Gegenstände zusätzlich in Besitz und löst sie noch radikaler von ihren Ursprüngen.
Der Name der Ausstellung ist Programm. Denn was man hier sieht, sind nicht Gegenstände, sondern Gefühle der Künstlerin, die in diesen verfremdeten Ausschnitten sichtbar werden. Die Bilder sind letztlich Innenaufnahmen aus der Seele. Darauf weisen auch die Bildtitel hin: „Ich möchte, dass Du mein Herz kennst“, „Der geheime Garten meiner Seele“ und ähnliche.
Rolf: Zugegeben – die Bilder üben eine gewisse Faszination aus, die Farben stimmen, Formen und Strukturen sind beeindruckend. Detail- oder Makrophotographie, die sehr beeindruckend präsentiert wird. Wo ich innehalte, und mich frage, ob es mir an Einfühlungsvermögen mangelt oder ob da einfach nur zu dick aufgetragen wird, sind die Titel der Bilder. Sie versuchen, die gezeigten Texturen als Ausdruck von Seelenzuständen erscheinen zu lassen. Geben das die Bilder wirklich her?
Was ich verstehe, ist dass die Künstlerin versucht die photographischen Bilder aus der Sphäre des Darstellens zu befreien. Dazu dienen dann wohl auch die einkopierten Farbflächen und -streifen. Diese kommen mir so vor wie der Zaubertrick, mit dem man schlichten abgeplatzten Wandputz in anspruchsvolle Kunst verwandelt wie einst die Alchimisten Blei in Gold.
Aber wie soll man rausfinden, ob diese Kombi aus Titel und Bild tief empfunden oder aufgesetzt ist, wenn man es nicht nachempfinden kann?
Am authentischsten, beeindruckendsten finde ich das Bild, das auch das Plakat ziert. Das mit dem vertikalen Riss in der roten Wand. `Der geheime Garten meiner Seele´ oder so ähnlich heißt es. Das kommt ohne weitere Verzierungen aus und dem nehme ich sogar den Titel noch ab. Aber der Rest?
On an exhibition of pictures by Seung-Ja Kim-Leutiger at the Kulturhaus Osterfeld, Pforzheim
H: The picture shows a very grainy surface in black and white with irregular horizontal lines that seem to move from left to right, like a liquid. From above, a red rectangle protrudes centrally into the picture surface: “Between Passion and Reason” is the title of the picture.
The pictures by Seung-Ja Kim-Leutiger in the foyer of the Kulturhaus Osterfeld want to be looked at and questioned. They do not reveal their message without examination. You can see details from nature, cracked glass, tree bark, sometimes you can make out a spider’s web, leaves… shards of glass perhaps, the crumbling plaster of an old wall. This is not photography in the true sense, but painting with the means of photography and digital image processing. The depicted forms have detached themselves from the object. They become elements of abstract art. Through additional digitally generated elements such as lines or semi-transparent colour surfaces, the artist takes additional possession of the depicted objects and detaches them even more radically from their origins.
The name of the exhibition says it all. For what one sees here are not objects but the artist’s feelings, which become visible in these alienated sections. The pictures are ultimately interior shots from the soul. This is also indicated by the titles of the pictures: “I want you to know my heart”, “The secret garden of my soul” and similar.
R: Admittedly – the pictures exert a certain fascination, the colours are right, shapes and structures are impressive. Detail or macro photography presented in a very impressive way. Where I pause, wondering if I lack empathy or if there is just too much thickness, are the titles of the pictures. They try to make the textures shown appear as expressions of states of mind. Do the pictures really carry that ?
What I understand is that the artist is trying to free the photographic images from the sphere of representation. The colour areas and stripes that are copied in also serve this purpose. These seem to me like the magic trick with which one transforms simple chipped wall plaster into sophisticated art like the alchemists once transformed lead into gold.
But how can one find out whether this combination of title and image is deeply felt or artificial if one cannot relate to it?
What I find most authentic, most impressive, is the image that also adorns the poster. The one with the vertical crack in the red wall. It’s called ‘The Secret Garden of My Soul’ or something like that. It gets by without any further embellishments and I even take the title from it. But the rest?
H: Ja Rolf, ich bin auch nicht in alle Bilder „hineingekommen“, aber in einige schon. Vielleicht liegt es daran, dass ich über einen längeren Zeitraum viel mit koreanischen Leuten zu tun hatte und mir deren Seelenwelt ein Stück weit zugänglich ist. Die koreanische Emotionalität ist ausgeprägter und direkter, ja, radikaler, als unsere europäische, die sehr viel reflektierter ist, oder soll ich sagen, gebrochener?
Und ich habe ja schon immer den Verdacht gehabt, dass alle Fotos Selbstportraits sind und viel über den Fotografen und seine Situation aussagen, wenn man sie entschlüsseln kann, was – zugegebenermaßen – selten gelingt.
Wie hätte Dir die Ausstellung gefallen, wenn die Bilder unbetitelt geblieben wären und Dich nicht so fest an der Hand genommen hätten, um Dir den Zugang zu zeigen?
R: Nicht nur Bilder sagen etwas über ihre Autoren, auch Texte tun das. Bei mir schimmert immer etwas meine tiefe Skepsis Gefühlen gegenüber durch. Ich habe spät gelernt, meine eigenen Gefühle auszuhalten, ja sogar diese überhaupt als solche wahrzunehmen. Stattdessen habe ich sie ausgelebt, in einer, wiederum von mir nicht gut wahrgenommenen. Rücksichtslosigkeit meinen Mitmenschen gegenüber. Heute ist das anders, was aber geblieben ist, ist der Verdacht, dass geäußerte Gefühle was Schwülstiges oder Sentimentales haben, dass sie die klare Sicht des Verstandes trüben und auf ihren ambivalenten Wellen unberechenbare Risiken mitschwämmen.
Und ja, ich hätte die Bilder (wohl aus den oben angedeuteten Gründen) ohne die Titel besser genießen können, ich hätte mich an der Komplexität der Strukturen gefreut, wie ein Autist an den Primzahlen. Wahrscheinlich ist immer ein Quäntchen Identifikation vonnöten, wenn man so eine künstlerische Kreation nachzuvollziehen versucht. Dazu muss man ähnlich Erfahrungen gemacht haben, bestimmte z.B. kulturelle Codes teilen oder andere Brücken des Zugangs finden. Das ist mir hier nur teilweise gelungen. Dabei eignen sich die gewählten Strukturen/Texturen ja eigentlich sehr gut als Projektionsfläche, oder?
H: Yes, Rolf, I didn’t “get into” all the pictures either, but I did get into some of them. Maybe it’s also because I had a lot to do with Korean people over a longer period of time, and their soul world is accessible to me to a certain extent. Korean emotionality is more pronounced and direct, indeed more radical, than our European emotionality, which is much more reflected, or should I say more broken?
And I have always suspected that all photos are self-portraits and say a lot about the photographer and his situation, if you can decode them, which – admittedly – is rarely possible.
How would you have liked the exhibition if the pictures had remained untitled and had not taken you so firmly by the hand to show you the approach?
R: Not only pictures say something about their authors, texts do too. For me, my deep scepticism towards feelings always shimmers through. I learnt late to endure my own feelings, even to perceive them as such. Instead, I acted them out in a ruthlessness towards my fellow human beings that was not perceived as good. Today things are different, but what has remained is the suspicion that expressed feelings have something turgid or sentimental about them, that they cloud the clear vision of the mind and carry incalculable risks on their ambivalent waves.
And yes, I could have enjoyed the pictures better (probably for the reasons suggested above) without the titles, I would have delighted in the complexity of the structures like an autistic person in the prime numbers. Probably a bit of identification is always necessary when trying to understand such an artistic creation. You have to have had similar experiences, share certain cultural codes, for example, or find other bridges of access. I was only partially successful here. But the chosen structures/textures are actually very well suited as a projection surface, aren’t they?
H: Ja, das sehe ich ähnlich. Die Bilder sind Projektions- und auch Reflexionsflächen. Man kann sich darin wiederfinden und darüber nachdenken. Und man muss die Titel nicht mitlesen. Bei manchen sind die Aufkleber mit den Titeln auch schon abgefallen…
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H: Yes, I see it that way too. The pictures are projection surfaces and reflection surfaces. You can find yourself in them and think about them. And you don’t have to read the titles. In some cases, the stickers with the titles have already fallen off…
Wann zählt ein Foto zur Kunst? Wenn der Hersteller nicht genau weiß, was er dastellt und wie er die Darstellung dann verwenden will? Und der Rezipient dann auch nicht weiß, was der Hersteller da mal wieder dargestellt hat; und wie er (der Rezipient) die Verwendung der Darstellung verstehen soll?
Aus Fotos abstrakte Darstellungen (und zwar) von Abstraktem (Gefühlen) machen? Und sie (die Fotos) dann als solche abstrakte Darstellungen verwenden? Wozu? (Reicht da der Spielraum von narzisstischer Selbstbespiegelung bis zur Bemühung um menschliche Emanzipation?)
Klar, Fotos, egal ob als abstrakte oder wie gewöhnlich als konkrete Darstellungen von etwas: Man kann sie, was die Darstellung betrifft, nicht nur im Sinne einer einschlägigen Betitelung verstehen; und Möglichkeiten unterschiedlicher Verwendung gibt es mehr als genug!
Man kann das, was die Künstlerin gemacht hat, als metaphorische Verwendung des Bildmaterials verstehen. Sie nimmt Bilder von Wandoberflächen, nicht um Wandoberflächen darzustellen, sondern um Gefühle oder Seelenzustände sichtbar zu machen, die sie meint, nicht anders zum Ausdruck bringen zu können.
Sehr gute (Selbst)reflexion. In unserer Generation ist das kein einfaches Thema.
Interessanter Dialog zur Ausstellung. Beides finde ich generell zutreffend: Bilder sind Selbstporträts der Künstler und sie sind zugleich Projektionsflächen für die Seele des Betrachters.
Danke! Das ist schön, treffend zusammengefasst.