Kaum hat mein Lieblings-Online-Buchhändler mir den Band per Mail angezeigt, war er auch schon gekauft: Peter Geimer (Hrsg.), Theorie der Fotografie V: 1995 – 2022, München: Schirmer Mosel 2023, 456 S., 58,- €
Glaubt man Stefan Gronert hätte ich für das gleiche Geld auch eine komplette Kunstgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart haben können aber ich habe mich für den engeren Blick (21tes Jh.) und für die Photographie entschieden. Zumal ich die bisherige Reihe, von Wolfgang Kemp 1979–1983 mit drei Bänden eröffnet und von Hubertus von Amelunxen im Jahr 2000 fortgesetzt in einem Band besitze und dort, wenn auch nicht oft, sondern eher gezielt nachschaue, ob Texte, die ich woanders erwähnt finde, dort auftauchen. Die Chancen sind gut, denn was das 20te Jahrhundert angeht, sind dort nach meinem Geschmack eher zu viele als zu wenige Texte versammelt.
Nun aber zum aktuellen Band. Peter Geimer war mit seinem übersichtlichen einführenden Werk „Theorien der Fotografie“ von 2009 für mich so eine Art Einstiegsdroge in die Phototheorie. Wer einigermaßen schmerzfrei ist, kann das aus den halbverdauten Texten der Anfangszeit dieses Blogs gerne nachvollziehen.
Der Anspruch, die Theorien des 21. Jahrhunderts in einem Band zu versammeln ist schon mal recht ambitioniert, zumal es sich ja nicht um eine abgeschlossene Entwicklung handelt. Aber vielleicht wird man in ein paar Jahre sagen, „Da war die Weltsicht vor der KI-Einführung gut zusammengefasst.“ Geimer fasst die Texte, die er gesammelt hat, in Themenblöcke zusammen, die, finde ich, die Diskussionen der letzten zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre recht gut widerspiegeln. Es geht los mit der scheinbar untotbaren `Indexikalität´ (das Bild als Spur) bzw. der Auseinandersetzung damit. Diese Diskussion flammt jetzt im Zuge der generierten Bilder, denen der Bezug zu Orten oder Situationen komplett abgeht, wieder auf. Wie sollen wir damit umgehen, dass wir diesen Bezug erwarten, aber mit Bildern gefüttert werden, die aus dem lautlosen Rauschen des weltweiten Netzes generiert werden?
Der zweite Themenkomplex befasst sich mit dem Schritt vom analogen zum digitalen Bild, der ja auch in den letzten fünfundzwanzig Jahren vollzogen wurde und nicht wenige Diskussionen vom Zaun gebrochen hat. Inzwischen ist es, wie mit vielem, was mal Mainstream war; es gibt eine analoge Nische und letztlich auch jede nur denkbare Kombination von analogen und digitalen Mitteln bei der Bilderstellung. Aber das Endprodukt liegt doch in den meisten Fällen digital vor.
As soon as my favorite online bookseller showed me the volume by email, I bought it: Peter Geimer (ed.), Theorie der Fotografie V: 1995 – 2022, Munich: Schirmer Mosel 2023, 456 p., 58,- €
If Stefan Gronert is to be believed, I could have bought a complete history of art from antiquity to the present for the same price, but I opted for a narrower view (21st century) and for photography. Especially as I own the previous series, opened by Wolfgang Kemp 1979-1983 with three volumes and continued by Hubertus von Amelunxen in 2000 in one volume and look there, albeit not often but rather specifically, to see if texts that I find mentioned elsewhere appear there. The chances are good, because as far as the 20th century is concerned, there are too many rather than too few texts in my opinion.
But now to the current volume. Peter Geimer’s clear introductory work “Theories of Photography” from 2009 was a kind of gateway drug to photography theory for me. Anyone who is reasonably pain-free can readily understand this from the half-digested texts from the early days of this blog.
The claim to bring together the theories of the 21st century in one volume is quite ambitious, especially as it is not a completed development. But perhaps in a few years’ time people will say, “That was a good summary of the world view before the introduction of AI.” Geimer summarizes the texts he has collected in thematic blocks, which I think reflect the discussions of the last twenty to twenty-five years quite well. It starts with the seemingly undead ‘indexicality’ (the image as a trace) and the confrontation with it. This discussion is now flaring up again in the course of the generated images, which are completely devoid of any reference to places or situations. How should we deal with the fact that we expect this reference but are fed with images that are generated from the silent noise of the worldwide web?
The second set of issues deals with the step from analogue to digital images, which has also taken place in the last twenty-five years and has sparked quite a few discussions. In the meantime, as with many things that were once mainstream, there is an analogue niche and ultimately every conceivable combination of analogue and digital means of image creation. But the end product is digital in most cases.
Beim Thema „Die Fotografie im Verbund der Künste“ war ich angenehm überrascht festzustellen, dass ich die meisten der dort versammelten Autoren/Künstler bereits hier im Blog zumindest oberflächlich rezipiert habe. Botho Strauß schreibt über Gerard Richters Übermalungen, Jeff Wall macht sich Gedanken über Fotografie, Martina Dobbe schreibt über Andreas Gurski , Svetlana Alpers schreibt über Walker Evans, Katja Petrovskaja schreibt über die Eremitage, Stephen Shore über die darstellende Ebene, Teju Cole über den `Blinden Fleck´ und David Campany über Photographien. Einzig Karl Heinz Lüdeking ist mir entgangen. Kann ja noch kommen.
Kapitel 4 ist dem Gebrauch von Bildern, z.B. in (Emanzipations-)Politik und Wissenschaft (z.B. Ethnologie) gewidmet. Ein Thema, mit dem ich mich, als jemand, für den die Bedeutung (von Sätzen, aber auch Bildern und Bild/Text Kombinationen) eng mit ihrem Gebrauch verbunden ist, sicher noch intensiver beschäftigen werde. Daran anschließend befasst sich das fünfte Kapitel mit Evidenz und Politik photographischer Bilder. Bis hierher bin ich in meiner Lektüre noch nicht vorgedrungen, aber dies ist ja auch nicht ein Buch, das man von vorne bis hinten durchliest.
Die letzten beiden Themenbereiche sind der Kommunikation mit Bildern (social media) und der Aufbewahrung von Bildern (Archiv) gewidmet. Ebenfalls Themen, die unser noch junges Jahrhundert sicher auch noch in Zukunft beschäftigen werden.
Abschließen möchte ich diesen Überblick mit dem Zitat, mit dem Peter Geimer die Einleitung seines Einführungsbandes von 2009 beginnt. Er zitiert Moholy-Nagy „Nicht der Schrift-, sondern der Fotografie-Unkundige wird der Analphabet der Zukunft sein.“ Das hat sich spätestens im Zeitalter der Smartphones bewahrheitet, aber werden wir in Zukunft überhaupt noch Apparate benutzen, oder wird es bald heißen, „der Promptunkundige wird der Unkundige der Zukunft sein“?
I was pleasantly surprised to find that I had already at least superficially read most of the authors/artists on the topic of “Photography in the network of the arts” here on the blog. Botho Strauß writes about Gerard Richter’s overpaintings , Jeff Wall reflects on photography, Martina Dobbe writes about Andreas Gurski, Svetlana Alpers writes about Walker Evans, Katja Petrovskaja writes about the Hermitage, Stephen Shore about the representational plane, Teju Cole about the ‘blind spot’ and David Campany about photography. Only Karl Heinz Lüdeking has escaped me. That may yet come.
Chapter 4 is dedicated to the use of images, e.g. in (emancipation) politics and science (e.g. ethnology). As someone for whom the meaning (of sentences, but also of images and image/text combinations) is closely linked to their use, this is a topic that I will certainly be exploring in greater depth. Following this, the fifth chapter deals with the evidence and politics of photographic images. I have not yet reached this point in my reading, but this is not a book that you read from cover to cover.
The last two subject areas are dedicated to communication with images (social media) and the storage of images (archive). These are also topics that will certainly continue to occupy our young century in the future.
I would like to conclude this overview with the quote with which Peter Geimer begins the introduction to his 2009 introductory volume. He quotes Moholy-Nagy: “The illiterate of the future will not be the illiterate, but the photographic illiterate.” This has proven to be true at the latest in the age of smartphones, but will we still be using devices at all in the future, or will it soon be “the prompt illiterate will be the illiterate of the future”?
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Danke für die ausführliche Rezension. Dann gibt es ja genug zu lesen fürs nächste Jahr! Dir einen guten Rutsch und ich freue mich auf deine Beiträge, Andreas
Danke Dir Andreas. Auch Dir ein gutes und erfülltes 2024. Vielleicht schaffe ich es ja mal wieder nach Köln zu kommen. Lust hätte ich dazu. Es ist eben doch was anderes, ob man sich in der Kommentarspalte unterhält oder bei einem Bierchen.