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Die Farben der Dunkelheit /The Colours of Darkness

Das Thema brodelt schon lange im Untergrund meines Oberstübchens und wurde neulich durch einen Post meines Lieblings-Alltags-Physik-Erklärers wieder an die Oberfläche gespült. Es hat so basal mit der Photographie zu tun, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich das wirklich ergründen kann, aber ich würde das Thema gern mal (wieder) in die Diskussion bringen. Es ist die scheinbare Kontroverse zwischen Goethes und Newtons Farbenlehre.

Beim Wiederhören des schon etwas älteren Podcasts über die Kontroverse zwischen Newton und Goethe wurde mir der Argumentation von Olaf Müller folgend klar, dass die Art wie die beiden Theorien oft gegenübergestellt werden, möglicherweise den Kern nicht trifft. Es wird immer so getan, als ob es darum ginge, wer bei der Frage, wie sich das mit den Farben verhalte, recht habe. Dabei geht es tatsächlich eher darum, dass beide aus verschiedenen Perspektiven auf das gleiche Phänomen geschaut haben. Nur eben aus diametral entgegengesetzten Richtungen. Olaf Müller zeigt das daran, dass Goethe in einem seiner Experimente (im Übrigen auch eine Gemeinsamkeit, beide stützen ihre Theorien auf Experimente) das Prismen-Experiment Newtons genau umgekehrt hat. Statt wie Newton das Prisma in einer Art `Camera obscura´ in den Weg des einfallenden Lichtes zu halten, lässt Goethe bei Licht einen Schatten durch das Prisma fallen, indem er ein Hindernis in den Weg des Lichtes hält. Mit komplett anderen Farbergebnissen als Newton. Man ist fast geneigt zu sagen, dass Newton den Lichtstrahl im Dunklen und Goethe den Schatten im Licht analysiert und in seine Farbkomponenten zerlegt hat. Das ist natürlich grob vereinfachend, aber für uns insofern interessant, als Newtons Experiment unserem pseudoobjektiven Blick durch die Kamera entspricht, während Goethe mit seinem Blick in der Welt bleibt, in der subjektiven Wahrnehmungswelt, um genau zu sein. Hält man nun die beiden in den Experimenten gewonnenen Farb-Spektren nebeneinander, stellt man fest, dass, und das ist ein Kern der Goethe’schen Farblehre, der auch seinen Weg in unsere Alltagswelt gefunden hat, die auf der gleichen Höhe im Spektrum sichtbaren Farben dem entsprechen, was wir, wahrscheinlich seit Goethe, Komplementärfarben nennen. Diese wahrnehmungspsychologische Binsenweisheit lässt sich auch ohne Hilfsmittel experimentell überprüfen. Man blickt längere Zeit auf ein grünes Farbfeld und sieht, wenn man die Augen schließt, buchstäblich rot. Etwas abstrakter in dem eingangs erwähnten Experiment von Joachim Schlichting. Interessant dabei ist, dass die Kameras anscheinend aufgrund des der menschlichen Wahrnehmung nachgebildeten Weißabgleichs dieses Phänomen ebenfalls abbilden.

Spannend ist auch die Frage, warum sich Newton in der Welt der Physik durchgesetzt hat während Goethes Theorie, wenn sie überhaupt wahrgenommen wurde, in die Ecke der Wahrnehmungspsychologie abgedrängt wurde. Wir sind zumindest sei der Aufklärung gewohnt, den fokussierten, vom Kontext abstrahierenden, replizierbaren Blick, der dem Blick durch die Kamera (obscura) entspricht als objektiv und den Blick durch unsere eigenen Augen als täuschbar, selektiv und subjektiv anzusehen. Kein Wunder landet Goethe da in einer nur bedingt glaubhaften und vorwiegend von Künstlern besuchten Ecke. Dabei wollte er mit seinen Experimenten und seinen tausend Seiten Farblehre nur pointiert darauf hinweisen, dass das, was Newton über das Licht und die Farben sagt, noch lange nicht alles ist, was man darüber herausfinden kann.

Ausführlich hat ein anderer Goethe Anhänger, Ingo Nussbaumer anhand einer Reihe von Experimenten gezeigt, dass die oben angedeutete Umkehrung der Experimente Newtons durchgängig funktioniert und damit gezeigt, dass mit der Newtonschen Theorie noch lange nicht alles gesagt ist. Er hat z.B. die Wiedervereinigung des Farbspektrums durch ein zweites Prisma in weißes Licht auch mit dem Schattenansatz Goethes nachvollziehen, und die Wiedervereinigung der Farben des Goethe-Spektrums im Schwarz durchführen können. Darüber hinaus hat er noch weitere sechs sogenannte unordentliche Spektren entdeckt.

Ich will aber nicht noch weiter in die Experimente einsteigen. Wer dies möchte, kann für einen Überblick den genannten Podcast nachhören oder um noch tiefer einzusteigen das Buch von Olaf Müller lesen.

Und wer jetzt denkt „ach das ist ja einfach“, den weise ich auf das Buch „Farbsysteme“ hin, 2005 bei DuMont herausgegeben von Klaus Stromer, dass mir auch zufällig über den Weg gelaufen ist und in dem nicht weniger als siebzig Farbmodelle vorgestellt werden, worunter Goethe und Newton, zwar die prominentesten, aber noch lange nicht die wichtigsten sind (Man denke z.B. an das RGB-System).

Warum nun bringe ich dieses Thema hier ein? Wer sich mit Farbdarstellung beschäftigt hat und mit Monitor- und Druckerkalibrierungen arbeitet, weiß, wie komplex das Thema ist. Selbst bin ich da noch ziemlich unbedarft, aber das heißt ja nicht, dass ich mir nicht ein grundlegendes Verständnis aneignen könnte. Mein Monitorkalibriergerät hat sich kürzlich verabschiedet, da das neue Betriebssystem sich weigert, mit alter Hardware zusammenzuarbeiten. Und beim Drucken lasse ich alles, was nicht `nur´ der Erinnerung dient, vom Dienstleiter drucken.

Wer sich mit Sensoren auskennt weiß, dass sich aus Praktikabilitätsgründen der Bayer-Filter vor den Sensoren mit seinen drei Farben (wobei grün doppelt vertreten ist) durchgesetzt hat. Warum wohl? Weil er dem menschlichen Farbsehen mit seinen Zäpfchen für blau (short), grün (medium) und rot (long) nahekommt. Wer aber, wie ich, schon einmal mit einem Foveon-Sensor photographiert hat, weiß, dass der Himmel so viel mehr an Farbnuancen enthalten kann, als uns die inzwischen fast ausschließlich verbauten Sensoren zeigen wollen. Leider braucht der Foveon-Sensor viel Licht und noch mehr Rechenleistung, um die in allen Feldern dargestellten Farben auszulesen, dass es nicht gelingt, schnellere und mit wenig Licht auskommende Kameras zu bauen, die damit ausgestattet sind.

Bei diesen ganzen Entscheidungen in Bezug auf Farben, Farbräume und Farbsysteme geht es zumindest in der Photographie meist darum, wie man etwas möglichst naturgetreu darstellen kann. Vielleicht hilft diese Diskussion ja den Horizont vor allem in Richtung auf künstlerischen Ausdruck dahingehend zu erweitern, dass man sich die Frage stellt: Wie hätten wir’s denn gern, wie soll’s aussehen?

This topic has been bubbling in the underground of my mind for a long time, and was recently flushed back to the surface by a post from my favourite everyday physics explorer. It’s so basally related to photography that I’m not sure if I can really fathom it, but I’d like to bring the topic up for discussion (again). It’s the apparent controversy between Goethe’s and Newton’s colour theory.

Listening again to the somewhat older podcast about the controversy between Newton and Goethe, I realized, following Olaf Müller’s argumentation, that the way the two theories are often contrasted may miss the point. It is always pretended that it is a question of who is right about the colours. In fact, it is rather about the fact that both have looked at the same phenomenon from different perspectives. Only from diametrically opposite directions. Olaf Müller shows this by the fact that Goethe in one of his experiments (by the way also a common feature, both base their theories on experiments) exactly reversed Newton’s prism experiment. Instead of holding the prism in a kind of ‘camera obscura’ in the path of the incident light, Goethe lets a shadow fall through the prism by holding an obstacle in the path of the light. With completely different colour Results than Newton. One is almost inclined to say that Newton analysed the ray of light in the dark and Goethe the shadow in the light and decomposed it into its colour components. This is of course simplistic but interesting for us in so far as Newton’s experiment corresponds to our pseudo-objective view through the camera while Goethe remains with his view in the world, in the subjective world of perception, to be exact. If we now hold the two colour spectra obtained in the experiments next to each other, we find that, and this is a core of Goethe’s colour theory, which has also found its way into our everyday world, that colours visible at the same level in the spectrum correspond to what we, probably since Goethe, call complementary colours. This perceptual psychological truism can be verified experimentally without any aids. One looks for a longer time at a green colour field and sees, if one closes the eyes literally red. The experiment by Joachim Schlichting mentioned at the beginning is somewhat more abstract. What is interesting here is that the cameras apparently also reproduce this phenomenon due to the white balance modelled on human perception.

It is also exciting to ask why Newton has prevailed in the world of physics while Goethe’s theory, if it was perceived at all, was pushed into the corner of perceptual psychology. At least since the Enlightenment, we have been used to seeing the focused, context-abstracting, replicable view, which corresponds to the view through the camera (obscura), as objective and the view through our own eyes as deceptive, selective and subjective. It is no wonder that Goethe ended up in a corner that was only partially credible and mainly visited by artists. With his experiments and his thousand pages of colour theory, he only wanted to point out that what Newton says about light and colours is by far not all that can be found out about it.

Another Goethe follower, Ingo Nussbaumer has shown in detail on the basis of a series of experiments that the above-mentioned reversal of Newton’s experiments works consistently and has thus shown that Newton’s theory is far from being all there is to it. For example, he has been able to reproduce the reunification of the colour spectrum by a second prism into white light also with Goethe’s shadow approach, and to carry out the reunification of the colours of Goethe’s spectrum in black. In addition, he discovered another six so-called disordered spectra.

But I do not want to go further into the experiments. Who would like this, can listen to the Podcast mentioned for an overview or read the book of Olaf Mueller  to enter still more deeply.

And who thinks now “oh that is simple”, I point out the book “Colour Systems”, 2005 published  by Klaus Stromer at DuMont, which I also ran across by chance and in which no less than seventy colour models are presented, among which Goethe and Newton are the most prominent but still far from being the most important (one thinks e.g. of the RGB system).

Why now do I bring this topic here? Whoever has dealt with colour representation and works with monitor and printer calibrations knows how complex the topic is. I myself am quite inexperienced, but that doesn’t mean that I can’t acquire a basic understanding. My monitor calibration device recently went bye-bye because the new operating system refuses to work with old hardware. And when it comes to printing, I let the service provider print everything that isn’t ‘just’ for memory.

Anyone familiar with sensors knows that for reasons of practicality, the Bayer filter has prevailed over the sensors with its three colours (with green being represented twice). Why? Because it comes close to human colour vision with its cones for blue (short), green (medium) and red (long). But anyone who, like me, has ever photographed with a Foveon sensor knows that the sky can contain so many more colour nuances than the sensors that are now almost exclusively used want to show us. Unfortunately, the Foveon sensor needs a lot of light and even more computing power to read out the colours displayed in every field, so that it is not possible to build faster cameras equipped with it that can get by with less light.

All these decisions concerning colours, colour spaces and colour systems are mostly about how to represent something as true to nature as possible, at least in photography. Perhaps this discussion will help to broaden the horizon, especially in the direction of artistic expression, to the extent that one asks oneself the question: How would we like it to look, how should it look?

Translated with the help of www.DeepL.com/Translator

6 Comments

  1. Rolf Noe

    Vielen Dank für deinen `erhellenden´ Beitrag. Vor allem der Vergleich mit Wärme und Kälte zeigt für mich sehr schön, wie man sich das Verhältnis der beiden Sichtweisen vorstellen kann. Und an die kosmischen Dimensionen der Farben und die Erkenntnisse, die sich aus Farbverschiebungen ziehen lassen, habe ich bisher noch gar nicht gedacht.

  2. Joachim Schlichting

    Das ist ein sehr gut gewählter Titel: “Farben der Dunkelheit” gegenüber “Farben des Lichts” und ein schöner Beitrag. Ich möchte dazu einen kurzen Kommentar abgeben (den ich übrigens weitgehend wortgleich ebenfalls auf meiner Seite als Antwort auf deinen Kommentar abgeben werde, um auch mögliche Leser zu erreichen, die nicht auf beiden Blogs unterwegs sind.
    Der Streit zwischen den Anhängern der Ansicht Goethes und Newtons ist m.E. müßig, weil die Farbspektren um die es geht komplementär sind. Ich habe immer gern in Goethes Farbenlehre gelesen, weil darin vor allem die wahrnehmungstheoretische Seite und – ja – auch das Poetische und Erlebnishafte thematisiert werden. Die Dinge also, die uns ansprechen, wenn wir uns mit den Farben als Naturerscheinungen und nicht nur als Wellenlängen auseinandersetzen. Ganz extrem gesehen könnte man sogar sagen, dass es physikalisch gesehen keine Farben gibt, sondern nur elektromagnetische Strahlung.
    Dass die Newtonsche Zerlegung des Sonnenlichts eine direktere Verbindung zur Physik hat liegt m.E. vor allem darin, dass darauf aufbauend so etwas wie die sehr erfolgreiche Spektralanalyse beruht, wonach wir durch die Analyse des Sternenlichts Aufschluss über die materielle Zusammensetzung der Sterne erlangen. Ohne dies wäre u. A. die moderne Kosmologie nicht denkbar. Nach den Arbeiten von Fraunhofer, Kirchhoff, Bunse und andere erlangen wir Kenntnis über die materielle Zusammensetzung der Sonne und der Sterne. Die hellen Sterne haben demnach eine Struktur, die man der von Goethe benutzen Dunkelheit, der bloßen Abwesenheit von Licht, nicht beimessen kann. Hier tut sich also eine Asymmetrie zwischen Licht (als Energie) und Dunkelheit auf, die nicht. (siehe: https://hjschlichting.wordpress.com/2017/12/31/vom-irdischen-zum-kosmischen-feuerwerk/).
    Die Asymmetrie ist anschaulich gesehen vergleichbar mit derjenigen zwischen Wärme und Kälte. Statt zu sagen, die Wärme geht vom Zimmer in die kalte Außenwelt, wird nicht selten davon gesprochen, dass die Kälte hereinkommt. Damit könnte man viele Phänomene genauso gut beschreiben. Allerdings ist Wärme eine physische Gegebenheit, nämlich wie das Licht Energie. Die Kälte hat keine vergleichbare reale Entsprechung.
    Ich plädiere dafür die Diskussion Goethe-Newton zu versachlichen und beiden ihren Verdienst um das Verständnis und Erlebnis der schönen Phänomene rund um das Licht und der Farben zuzuerkennen.

    • kopfundgestalt

      Das wirft ein verständliches Licht auf die Kontroverse. Danke!

      Weiß man, wieso Goethe sich mit Eifer in seine Arbeit begab (1000 Seiten)? Was war der psychologische Antrieb?
      Im Podcast wurde anfangs gesagt, viele Zeitgenossen wollten sich nicht mit den TAUSEND Seiten Goethes zur Farbenlehre beschäftigen. Das ist wohl ein Witz! Goethes Äusserungen werden im Detail immer noch Satz für Satz akribisch untersucht!!

      Die Spektralanalyse ist ein mächtiges Werkzeug, m.E.
      Manchmal, in dieser Zeit, denke ich: wie genial ist einerseits die Menschheit, Antworten zu finden auf kaum zugängliche Phänomene in Geologie/Biologie/Kosmologie ect und wie gefährdet erscheint mir das?!
      Wir sind “genial”, aber nicht genial genug, um bestimmte Dinge sicher zu verhindern.

      • Rolf Noe

        Soweit ich das verstanden habe, hat sich Goethe vor allem daran gerieben, dass damit alles rund um die Farben erklärt sei. Er fand, dass es sich Newton, kurz gesprochen, zu einfach machen würde.

  3. kopfundgestalt

    Spannend zu lesen. Speziell das Thema der Sensoren ( Bayer-Filter vor den Sensoren und Foveon-Sensor).

    Ich selbst bin rotgrünschwach (9% der Männer), was mir schon als Kind – erheblich – zusetzte. Daher blieb auch ein Kunst-Studium, was für mich richtig gewesen wäre, wenig ratsam!!

    In Köln, in der vor Jahren eine große Hopperausstellung war, fiel mir auf, daß ein Logen-Gemälde in zwei oder drei Kunstbänden verschieden abgedruckt worden war. Zum einen war das “dämonische” Dunkelblau Hoppers so nicht in einer der Bände zu finden (so meine Erinnerung), zum zweiten waren die Abbildungen unterschiedlich.

    In einer Diskussion über Hopper mit einem mir bekannten Künstler meinte dieser, daß die Farbwerte des Hopperbildes in einem amerikanischen System dem Kunstbuchverlag mitgeteilt wurde und die Farbwerte dementsprechend übersetzt wurden.
    Frappierend in jedem Fall die unterschiedliche Abbildung.
    Hopper war, das stellte ich in Köln fest, noch stärker als sonst, daß seine Farbwahl nie zufällig war, sondern mit großer Sicherheit so gewählt wurde, daß maximale Wirkung im Sinne seiner gewünschten Aussage entstand.
    Hopper nutzte die Struktur von Räumen, er manipulierte sie manchmal, um Aussagen zu verstärken. Ebenso die Farben. In einer Weise, wie sie Van Gogh auch bei seinen wogenden Kornfeldern tat.

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