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Die wahre Vergangenheit / The real past

Anonymer Dinoreiter auf wildem Triceratops / Anonymous dinosaur rider on wild triceratops

An mehreren Stellen haben wir das Thema schon gestreift. Zuletzt und recht deutlich in dem post über die touristische Konstruktion der Vergangenheit, bei der unseren Kameras vorgegaukelt wird, es gäbe so etwas wie echte Zeugen dieser Vergangenheit. Nun bin ich noch einen Schritt weiter gegangen und habe mir ein gutes Buch über die Paläontologie zugelegt. In dem Buch „Ausgestorben um zu bleiben“  zeigt Bernhard Kegel sehr anschaulich, wie das Bild einer sehr fernen Vergangenheit, immer wieder neu konstruiert wird. Er zeigt das am Beispiel der Dinosaurier und der Bilder, die wir uns von ihnen machen.

Dieses Bild hat sich, seit der Entdeckung der ersten Knochen im 19. Jahrhundert, schon so oft und grundlegend gewandelt, dass man automatisch vorsichtig wird, wenn man etwas über die aktuellen Erkenntnisse liest. Anfangs hat man sich die Dinosaurier als träge, aber gigantische Echsen vorgestellt und sie auch so in Bild und Skulptur dargestellt. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts hat die Wissenschaft rausgefunden, dass diese Tiere deutlich dynamischer und kampflustiger sein könnten, was in Filmen bis hin zu Steven Spielbergs `Jurassic Parc´ in einiger Übertreibung durchdekliniert wurde. Eine andere Entwicklung, die noch am Laufen ist, ist die Entdeckung, dass diese gigantischen Wesen die Vorfahren unserer Vögel sein müssen.

Dieses Phänomen, dass sich das Bild, das man sich macht, mit dem Fortschritt des Wissens drastisch ändert, ist mir schon mal begegnet, als ich ein Buch über Medizingeschichte gelesen habe. Das Buch könnte man in dem Zitat “Die Wahrheiten von heute sind die Irrtümer von morgen” zusammenfassen. So werden wir vielleicht schon in wenigen Jahren über unsere verzweifelten Versuche, der Pandemie Herr zu werden genauso lachen, wie über die schwarzen Pestmasken des Mittelalters mit ihren skurrilen Schnäbeln.

Aber holen wir das ganze Mal aus der fernen Vergangenheit zurück in unsere persönliche Gegenwart. Wodurch bekommen wir ein Bild unserer eigenen Vergangenheit? Jahrzehntelang war es das Familienalbum, in dem die glücklichen Momente zu Erbauung eingeklebt waren. Heute sind es fingernagelgroße Speichermedien, auf denen sich die Zeugnisse unserer eigenen Vergangenheit zusammendrängen. Es gibt psychologische Experimente, z.B. die der Psychologin Elisabeth Loftus, die zeigen, dass man mithilfe von manipulierten Bildern bei vielen Menschen unechte Erinnerungen wecken kann. Und nicht nur das. Diese falschen Erinnerungen, unabhängig davon, ob sie positiv oder negativ sind, beeinflussen zukünftige Entscheidungen im Leben der so manipulierten Personen. Nazi-onalisten machen das immer wieder, wenn Sie mit vermeidlich glorreichen Vergangenheiten auf Anhängerfang gehen.

Aber so weit brauchen wir eigentlich gar nicht zu gehen. Was unser Leben weit mehr bestimmt als unsere Siege und glücklichen Momente sind unsere Traumata und Niederlagen. Diese finden wir weder im Familienalbum noch auf der Speicherkarte. Vielleicht, mit viel Glück, können wir sie in mühsamer archäologischer Kleinarbeit beim Psychotherapeuten oder in einem kreativen, künstlerischen Prozess herausarbeiten und wie bei den Dinosaurierknochen erstaunt feststellen, dass es sich dabei doch eher um bunte Vögel als um graue Echsen handelt.

We have already touched on this topic in several places. Most recently and quite clearly in the post about the touristic construction of the past, where our cameras are made to believe that there is something like real witnesses of this past. Now I have gone one step further and bought a good book on palaeontology. In the book “Ausgestorben um zu bleiben” (Extinct in order to stay) Bernhard Kegel shows very clearly how the image of a very distant past is constructed again and again. He uses the example of dinosaurs and the images we have of them.

Since the discovery of the first bones in the 19th century, this image has changed so often and so fundamentally that one automatically becomes cautious when reading about current findings. In the beginning, dinosaurs were imagined as sluggish but gigantic lizards, and they were depicted as such in pictures and sculptures. In the second half of the last century, science found out that these animals could be much more dynamic and pugnacious, which has been explored in films up to and including Steven Spielberg’s ‘Jurassic Parc’ in some exaggeration. Another development that is still ongoing is the discovery that these gigantic creatures must be the ancestors of our birds.

I have encountered this phenomenon of pictures changing drastically with the progress of knowledge when I was reading a book on the history of medicine. The book could be summed up in the quote “Today’s truths are tomorrow’s errors”. So perhaps in a few years we will be laughing at our desperate attempts to control the pandemic as much as at the black plague masks of the Middle Ages with their bizarre beaks.

But let’s bring it all back from the distant past to our personal present. How do we get a picture of our own past? For decades, it was the family album in which the happy moments were pasted for edification. Today it is storage media the size of a fingernail on which the evidence of our own past is crowded together. There are psychological experiments, e.g. those of the psychologist Elisabeth Loftus, which show that manipulated images can be used to awaken false memories in many people. And not only that. These false memories, whether positive or negative, influence future decisions in the lives of the people manipulated in this way. Nazi-onalists do this all the time when they use supposedly glorious pasts to catch supporters.

But we don’t really need to go that far. What determines our lives far more than our victories and happy moments are our traumas and defeats. We can find these neither in the family album nor on the memory card. Perhaps, with a lot of luck, we can work them out in painstaking archaeological detail with a psychotherapist or in a creative, artistic process and, as with the dinosaur bones, be amazed to discover that they are colourful birds rather than grey lizards after all.

Translated with the help of www.DeepL.com/Translator

3 Comments

  1. Thomas B.

    Kleiner Buchtipp: “For Every Minute You Are Angry, You lose 60 Seconds Of Happiness”, von Julian Germain http://www.juliangermain.com/projects/foreveryminute.php

    das Fotobuch zeigt in, mE sehr einfühlsamen Bildern, wie die Zensur im privaten funktioniert.

    Im Gegensatz dazu, oder vielleicht als Verstärkung des gesagten: “In The Middel Of Somewhere”, von Sam Harris – der das Aufwachsen seiner Töchter in Bildern festhält und als Buch veröffentlicht hat. https://www.samharrisphoto.com.au/the-middle-of-somewhere
    Hier das Buch im Video:

    • Rolf Noe

      Es hat ein wenig gedauert, bis ich mir aus deinen Buchtipps eine Vorstellung davon basteln konnte,
      was Du gemeint haben könntest. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich im Gegensatz zu Dir nicht gewohnt bin,
      in Büchern zu denken. Auch hab ich die Bücher nicht zur Hand und muss mich mit dem zufriedengeben, was das Netz so davon zeigt.
      Aber ich danke Dir herzlich für die beiden Beispiele, die für mich tatsächlich auch zeigen, wie sehr wir in unserem Photographieren
      durchs fokussieren und retuschieren auch aussortieren. Das erste Buch in dem es die drei Ebenen aufzieht (Das Album, das Leben, die Ausstellung) und das Zweite
      indem es suggeriert es habe keine Auswahl gegeben, man habe sozusagen überall draufgehalten, was natürlich nicht stimmen kann, aber ähnlich deinen
      Wahllosigkeiten auf Insta eine erfrischende Unbedarftheit gegen die Hyperspezialisierung und Desinfizierung der heutigen Bilder hält und durchhält.

  2. Ule Rolff

    Deinen Überlegungen zu den “bunten Vögeln” bin ich gerne gefolgt. Ja, wir sollten all dem, was wir für wahr halten, nicht allzu weit trauen und immer mal auch andere Wahrheiten durchdenken.

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