Ich verfolge diesen Wettbewerb schon seit Jahren. Einmal im Jahr kommt der Aufruf in der regionalen Presse. In meinem Fall in der `Pforzheimer Zeitung´. Hobbyfotografen sollen Bilder zu zwei Themen einschicken. `Blende 2020´ heißt der Wettbewerb und wie immer schicken viele Hobbyisten auch dieses Jahr Bilder ein.
Jetzt werden die Sieger*innen vorgestellt. Lauter schöne Bilder, aber alle, wirklich alle, zeigen Natur und Freizeit. Kein einziges Bild über Arbeit, Wohnen, Essen und Trinken und was der Mensch sonst noch so macht. Da ist ja erstmal nichts verkehrt dran. Ist ja auch ein Hobby.
Was ich mich gefragt habe ist, woran es liegt, dass die weniger schönen Seiten des Lebens so konsequent ausgeklammert werden. Liegt es vielleicht an der Themenauswahl? Dieses Jahr waren die Themen “Faszinierende Himmelsphänomene” und “Lebensfreude”. Ja da ist es schwer mit Kondensstreifen von Flugzeugen (2020 sowieso) oder dem Dampf über den Kühltürmen des AKWs den ersten Preis zu gewinnen. Und auch die depressive Tante oder der hyperaktive Bruder passt nicht so ganz zu dem Thema Lebensfreude. Vielleicht werden ja auch Bilder aus der realen Lebenswelt eingesendet aber die Jury aus Zeitungsleuten sucht natürlich diejenigen aus, die das Auge des Lesers zu erfreuen vermögen. Ja möglicherweise dient die ganze Veranstaltung ja auch nur dazu, fröhliche und schöne Bilder fürs Printmedium zu requirieren.
Aber wahrscheinlich suche ich auch einfach auf dem falschen Feld. Vielleicht sind Hobbyfotografen ja auch blind für das Leben oder, noch wahrscheinlicher, wollen einfach das, was nicht so schön ist am Leben nicht auch noch festhalten. Es wird ja auch eher die Familienfeier als der Familienstreit dokumentiert und das Gruppenbild wird gemacht bevor Onkel Stefan total besoffen ist. Findet man in den Familienalben noch Spuren des Lebens am Rande der Bilder, so sind diese bei den Sieger-Bildern von Blende 2020 komplett ausgeblendet. Das Leben ist schön und wehe es behauptet jemand etwas anderes.
I have been following this competition for years. Once a year, the call comes in the regional press. In my case, in the `Pforzheimer Zeitung´. Amateur photographers are asked to send in pictures on two themes. `Aperture 2020´ is the name of the competition. This year, as always, many hobbyists send in pictures.
Now the winners are being presented. They are all beautiful pictures, but all of them, really all of them, show nature and leisure. Not a single picture is about work, living, eating and drinking and what else people do. There’s nothing wrong with that at first. After all, it’s a hobby.
What I asked myself is, why the less beautiful sides of life are so consistently excluded. Is it perhaps the choice of themes? This year the themes were “Fascinating Sky Phenomena” and “Joy of Life”. Yes, it’s hard to win first prize with condensation trails from aeroplanes (2020 anyway) or the steam above the cooling towers of the nuclear power plant. And the depressed aunt or the hyperactive brother don’t quite fit in with the theme of joie de vivre. Perhaps pictures from real life are sent in, but the jury of newspaper people naturally selects those that are pleasing to the eye of the reader. Yes, maybe the whole event is just about commandeering happy and beautiful pictures for the print medium.
But I’m probably just looking in the wrong field. Perhaps amateur photographers are blind to life or, even more likely, they simply don’t want to capture what is not so beautiful in life. After all, it’s more the family celebration than the family quarrel that is documented and the group picture is taken before Uncle Steven is completely drunk. If you can still find traces of life on the edges of the pictures in the family albums, they are completely faded out in the winning pictures of `Aperture 2020´. Life is beautiful and don’t let anyone say otherwise.
Als Bürger Pforzheims und anerkannter Hobbyphotograph (Clubmitgliedschaft, Teilnahme an einschlägigen Ausstellungen etc.) kann ich dazu natürlich nicht schweigen! Die bisherigen Kommentare kann ich leider nur unterstreichen. Hinzufügen möchte ich noch, wenn – nach McLuhan – das Medium die Botschaft ist, dann erzeugt das digitale Medium in seiner Unwirklichkeit und nahezu unbegrenzten Manipulierbarkeit eine zuhnehmend unwirkliche und manipulierte (Bilder)-Welt.
Interessant, dass sich vor allem diejenigen melden, die sowieso schon einen anderen Weg gehen.
In diesem besonderen Jahr kommt dazu, dass sich die Leute aus der Realität flüchten wollen. Schließlich bekommt man laufend schreckliche Nachrichten und angsteinflößende Bilder von den Medien geliefert.
Und das Recht am eigenen Bild sollte jeder achten, der etwas veröffentlicht, so dass die Photos unser neuen „Normalität“ mit Masken o.Ä. in der Regel nicht publizierbar sind.
Da hast Du wohl recht. Ich kann es auch insofern nachvollziehen als wir im Photoclub
den Vorschlag hatten, über die wirklich tollen Corona-Bilder auf der Homepage der NPG in London (https://www.npg.org.uk/hold-still/)
zu diskutieren. Es wollten aber die Meisten nicht…
Was das angeht, bin ich ja leider der falsche Ansprechpartner, weil ich so auf inszenierte Fotografie stehe. Auf Flickr folge ich “Hermann”, der nur aus dem Alltag postet, und “Jochenguckt”, für den das Gleiche gilt, aber mehr schon ein bisschen konzeptionell ironisch. Auch “Tatorte” dokumentiert momentan vor allem das Leben, wenn auch in seinem Fall nicht die Menschen, sondern die baulichen Veränderungen bzw. Veränderungen der Nutzung. Thomas Bregulla postet auch oft auf Instagram.
Wie hieß denn noch dieser Brite, der sein Leben in der Familie mit dem alkoholsüchtigen Vater dokumentiert hat? Der hat auch erst als Amateur fotografiert, bevor daraus ein Buch geworden ist. Und dann Nan Goldin, hat die nicht auch so angefangen?
LG, Andreas
`Hermann´ konnte ich leider nicht finden aber `Jochenguckt´ hat eine echte Schatztruhe auf flickr hinterlegt. Vor allem sein in den Bilder aufscheinender Humor begeistert mich, denn er ist echt selten. Ich folge auch `TokyoMorningPictures´(https://www.flickr.com/photos/gregapan/), der so eine Art fernöstliches Pendant zu Jochenguckt darstellt. Bei seinen Bildern hat man tatsächlich das Gefühl auf die Morgenspaziergänge mitgenommen zu werden und kann dabei in jede, aber auch wirklich jede, Ecke reinschauen. Thomas folge ich auf mindestens drei Kanälen und bewundere die Konsequenz seiner Alltagsphotographie. Ich hab ihn auch schon mal eingeladen hier in der Gästegalerie einige seiner Bilder zu zeigen, aber es ist damals nichts daraus geworden. Letztlich ist es immer wieder schön zu sehen, wie Jemand sein Ding macht, anstatt sich den vorherrschenden ästhetischen Trend anzubiedern.
eine wichtige und richtige Beobachtung meine ich, mögliche Gründe dafür hast du ja schon genannt. Kommt hinzu das faktische Verbot, Personen zu fotografieren, wenn man sie nicht vorher um Erlaubnis gefragt hat. Und wenn man die erhält, ordnet der andere schnell seine Frisur und seine Bluse, setzt sein Standardlächeln auf …und ein neues Dokument ist fertig, dass unser Leben nichts als schön ist.
Seit ein paar Tagen sehe ich einen Dokumentarfilm in mehreren Fortsetzungen über den ersten Weltkrieg. Die Bilder, die man dort sieht, sind freilich nicht schön, nein, überhaupt nicht. Und unsere Erde beherbergt, leider, auch heute viele Menschen, die ebenfalls keine schönen Bilder hergeben. Aber du hast schon recht, das ist nichts für Hobbyfotografen, eher was für Profi-Fotografen, wenn überhaupt.