Bildbeschreibung, die Dritte.
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Rolf:
OK, diesmal sind wir mit der Bildbeschreibung schnell durch denke ich. Da liegt ein Mann und da liegt ein Gewehr. In Nebenrollen treten noch ein Stein und die Hufe mindestens eines Pferdes auf. Die über einen verwitterten Holzstamm gelegte Satteldecke dient als Kopfkissen. Der Hut der lässig auf dem Kopf des Mannes liegt und sein Gesicht bis zu den Nasenlöchern bedeckt erzählt mit seinen Schweißflecken die Geschichte der harten Arbeit, die den Tag gefüllt hat und das Bedürfnis nach Ruhe nach sich zieht dem der durchaus noch junge Mann hier frönt. Arbeitskleidung in Form einen karierten Hemdes, einer Jeans-Hose und einer wahrscheinlich ebensolchen Jacke bedeckt den Körper und dient sehr wahrscheinlich auch als Freizeitkleidung und Schlafanzug. Möglicherweise brutzeln über dem Feuer schon zwei Dosen Bohnen, denn es ist noch hell und der Mann wird sich nochmal stöhnend erheben bevor er sich dann wirklich zum Schlafen hinlegt. Daran, dass die Waffen nicht abgelegt sondern einsatzbereit am und neben dem Körper liegen sieht man das die Situation nicht ganz entspannt ist und es wahrscheinlich auch nie ganz sein wird auf diesem Ritt. Ich verstehe zu wenig von Waffen um sagen zu können ob er die Patronen im unterhalb seines Hosengürtels getragenen Patronengurt für seinen Colt oder für seine Winchester braucht. Dass dieser Gurt nicht nur zur Zierde da ist, sieht man daran, dass schon zwei Patronen fehlen. Die Hände ruhen entspannt auf Brust und Bauch, können aber mit Sicherheit auch ganz schnell zu den Waffen zucken. Soweit zum Bild.
Was mich irritiert an dem Bild ist das angewinkelte rechte Bein. Warum legt der Mann es nicht ab, wenn er sich doch ausruhen möchte. Oder will er das gar nicht? Versucht er nur den Eindruck zu erwecken er ruhe, ist aber unter seiner Hutkrempe hellwach und wartet nur darauf irgendwo ein Zweigchen knacken zu hören. Wenn dem so wäre ist das nicht abgelegte Knie ein verräterisches Indiz.
Und nun zur Medialität des Bildes. Es stammt aus einem 1950 erschienenen Film, den ich nicht gesehen habe und auch nicht beabsichtige mir anzuschauen. Es handelt sich um ein Szenenbild.
Aus meiner Recherche zu Standbildern aus Filmen weiß ich, dass im vordigitalen Zeitalter Szenenphotographen tätig waren, die mit ihren speziellen Kameras Bilder von nachgestellten Filmszenen gemacht haben, die dann für die Werbung in den Schaukästen der Kinos verwendet wurden. Wir wissen also nicht, ob es sich bei diesem Bild um einen `frame´ aus dem Filmstreifen oder um ein speziell für diesen Zweck gemachtes Bild handelt. Ich habe das Bild oben so beschrieben als ob es diesen Kontext des Filmes gar nicht gäbe, es also nur auf seine Bildaussage und nicht auf seine Funktion im Narrativ des Filmes hin befragt. Ich stehe (das ist die Betrachterposition aus der ich das Bild beschreibe) sozusagen vor dem Schaukasten und überlege ob ich mir den Film anschauen will. Die lässige Art in der der Mann sich sozusagen dem Boden anpasst imponiert mir aber die Aggressivität, die in den Waffen und im angewinkelten Knie lauert stoßen mich eher ab.
Ich verzichte bewusst darauf, der Versuchung nachzugeben, das Bild psychologisch auseinander zu nehmen, zum einen weil mir das Fachwissen dazu fehlt und zum anderen weil ich denjenigen, die sich von solchen Bildern faszinieren lassen den Spaß nicht verderben möchte. Aber so viel sei gesagt. Es ist heute ein Thema um das ein erbitterter Kulturkampf geführt wird, ob Männer irgendwo zwischen Cowboy und Waschlappen ein Selbstbild entwickeln können, das es ihnen erlaubt vor sich selbst und Anderen zu bestehen, ohne dieses Bild dauern auf Kosten anderer aufpolieren zu müssen.
Bernhard:
Da liegt er, „the thin man“ James Stewart, hingestreckt zu einem Nickerchen, am Wendepunkt seiner Karriere. Bislang eher als Broadway-Star und Hauptdarsteller leichter Unterhaltungsfilme bekannt, eröffnet ihm US-Regisseur Anthony Mann 1950 mit der Rolle des Rächers Lin McAdam die Chance, sein Saubermann-Image zu korrigieren. In „Winchester ’73“ – ein Exemplar des titelgebenden Repetiergewehrs hat der Westerner griffbereit neben sich platziert – gibt Stewart einen facettenreichen, mitunter auch brutal zupackenden Charakter.
Hier lässt sich eine englischsprachige Kopie des Films abrufen, der auch das zu besprechende Foto entnommen ist (43:29). Es handelt sich um einem aus der Filmsequenz entnommenen „Screenscrap“, und keine von einem Standfotografen angefertigte Einzelaufnahme handelt.
In einer so genannten „amerikanischen Einstellung“ (reicht vom Kopf bis zu den Knien) zeigt sie den Protagonisten aus der Froschperspektive in einer Wagenburg der US-Kavallerie. Im nächsten Moment wird er durch das Klappern eines Topfes unsanft geweckt werden und kurz darauf die Feuerkraft seiner ’73er gegen die anstürmenden Indianer unter Beweis stellen müssen.
Die Einstellung folgt einer Totalen und einer Halbtotalen. Sie wurde vermutlich von einem Kran aus gefilmt, der in geringer Höhe über die Szenerie fuhr. Stewart ist, soweit ich es beurteilen kann, für einen im 1876 im Mittleren Westen der USA angesiedelten Western realistisch ausstaffiert. Mit kariertem Baumwollhemd, Kurzjacke und einer im Stil der Zeit komfortabel geschnittenen Hose. Alles hat schon länger keinen Waschzuber mehr gesehen. Und den über die Augen gezogenen Hut zieren großflächige Schweißspuren – entweder vom Maskenbildner kunstvoll aufgebracht oder tatsächlich dem subtropischen Klima Arizonas (dem eigentlichen, im Südwesten der Vereinigten Staaten gelegenen Drehort) geschuldet. Sie verleihen seiner Kopfbedeckung, und damit ihm selber, etwas Wettergegerbtes, besonders Taffes. Im Kontrast dazu steht Stewarts in jeder Situation und während des ganzen Filmes frisch rasierte untere Gesichtspartie. Doch seltsam: Nie sieht man ihn mit Rasierpinsel und Rasierschaum hantieren. These: vielleicht eine studioseitige, mit Blick auf die Kinokassen erfolgte Vorgabe, dito auch die fragwürdige Besetzung des Indianer-Chiefs mit einem Weißen (dem jungen Rock Hudson). Vollbärtig durfte sich der „thin man“ erst viel später zeigen.
Die Kamera führte der legendäre und Oscar-prämiierte William H. Daniels, „Greta Garbo’s personal lensman“. In 21 Filmen hatte Daniels die Diva zwischen 1926 und 1939 in teilweise sehr aufwändigen Settings ins rechte Licht gesetzt, und sich als absoluter Meister der Schwarz-Weiß-Fotografie profiliert. Er kam zum Zuge, nachdem Fritz Langs Produktionsfirma die Rechte an dem Drehbuch hatte zurückgeben müssen. Gut so, denn Fritz Lang hätte „Winchester ’73“ in Technicolor realisiert, und das wäre dann ein ganz anderes Produkt geworden – ohne den Kontrastreichtum des monochromen Mediums, der im Verbund mit Daniels’ Kreativität Anthony Manns Version eine ungeheure, künstlerisch wertvolle Wucht und Dramatik verleiht.
Die verwendeten Cine-Objektive zaubern dabei eine Fülle an Grauwertabstufungen auf den 35 mm-Schwarzweißfilm, die sich selbst auf den hier gezeigten digitalen Reproduktionen offenbart und einem Ansel Adams zur Ehre gereichen würden. Da macht das zu besprechende Motiv keine Ausnahme. Kurz vor Sonnenaufgang vermutlich mit einer Brennweite um die 50 mm fotografiert, besticht es trotz fehlenden Licht-/Schatten-Effekts durch eine Plastizität, wie sie nur aufwändig gerechnete und gefertigte, deshalb auch teure Präzisionsoptiken erzielen können.
Diskutieren ließe sich noch über ein paar inhaltliche Dinge, etwa die ausschließlich eindimensional, einfältig und/oder blutrünstig gezeichneten Ureinwohner, oder den mit Sicherheit NRA-(National Rifle Association)-gefälligen Tenor des Films, oder solche Einlassungen wie „Winchester ’73 (…) is phallocentrism at its purest“.
Aber das wäre dann ein anderes Thema.
Stefan:
Bilder (Gemälde, Zeichnungen, Fotos, …) zeigen sich nicht selbst und – genau genommen – stellen sie noch nicht einmal etwas dar: Es sind Menschen, die Bilder zeigen, die sie zuvor hergestellt und mit denen sie dabei etwas dargestellt haben; und indem sie die Bilder zeigen, vollziehen sie kommunikative Handlungen, und zwar nicht auf sprachliche, sondern auf bildliche Weise: Sie teilen zum Beispiel etwas mit oder fordern jemanden zu etwas auf oder versprechen jemandem etwas oder bringen ihre Gefühle zum Ausdruck, nicht indem sie Sätze äußern, sondern indem sie Bilder zeigen.
Mit ein und demselben Bild lassen sich nicht nur unterschiedliche kommunikative Handlungen vollziehen; auch der Zusammenhang zwischen einem Bild und dem durch das Bild dargestellten Gegenstand ist offen (und offener als der Zusammenhang zwischen Sätzen und mittels Sätzen ausdrückbaren Sachverhalten, da es bei Bildern im Unterschied zu Sätzen keine syntaktischen Regeln gibt), wenn freilich auch nicht beliebig: Denn will man Antwort auf die Frage geben, was mit einem Bild dargestellt wird oder dargestellt sein könnte, muss man auf Kriterien des Darstellens zurückgreifen; man muss über solche Kriterien verfügen, um Gegenstände bildhaft darstellen und bildhafte Darstellungen von Gegenständen verstehen zu können.
Was nun das für uns dieses Mal thematische Foto betrifft: Ich bin im Internet auf es gestoßen; und wenn es mich vor dem Hintergrund meiner (zumindest früheren) Begeisterung für Western(filme) und des Wissens über Western(filme), über das ich mittlerweile verfüge, sofort massiv ansprach, dann hab ich´s wohl spontan auf eine Darstellung im Zusammenhang einer Verwendung hin verstanden, die ich dann auch selbst – sozusagen in „auto-kommunikativer“ Modifikation – von ihm machen könnte (und wohl auch noch mache), etwa indem ich mir einen Ausdruck des Fotos an die Wand pinne oder Ausdrucke des Fotos zur optischen Gestaltung selbstgefertigter Buchschutzumschläge verwende; und die sich kaum mit dem deckt, worauf es – Darstellung und Verwendung betreffend – bei der Herstellung des Fotos abgesehen war: Dargestellt wurde ursprünglich wohl schlicht und einfach eine bestimmte Szene im Anthony-Mann-Western Winchester 73 aus dem Jahr 1950, in dem es zum einen um Rache und zum anderen um die Jagd nach einem besonders treffsicheren „One-of-one-Thousand“-Winchester-Gewehr Modell 1873 geht, „das ständig den Besitzer wechselt und gleichsam als roter Faden für eine Anthologie nahezu aller markanter Western-Situationen, von der Saloon-Szene bis zum Indianerkampf, dient“ (Seeßlen 129). Und die Verwendung, auf die es abgesehen war, sollte wohl vor allem darin bestehen, mit dem Foto Reklame für den Film zu machen; und darüber hinaus hatte man für das Foto wohl auch noch die Verwendung in einer medialen Mehrfachvermarktung, welcher Art auch immer, im Blick.
Wollte ich nun, dass das Foto, was Verwendung und Darstellung betrifft, auch von anderen Rezipienten so verstanden wird, wie ich es spontan verstanden habe, oder wollte ich auch nur, dass andere Rezipienten zumindest verstehen, wie ich es verstehe, dann wäre als Teil des Wissens, das man zum Verstehen einer kommunikativen Handlung – ob nun einer sprachlichen Handlung oder einer bildlichen – immer benötigt und zu dem hier vor allem auch das Wissen gehört, dass es sich beim Foto um ein Filmfoto handelt, soll heißen, dass hier, was das Verhältnis Foto/Realität betrifft, ein Schauspieler beim „So-tun-als-ob“ abgebildet wurde (auf der Theaterbühne oder eben auch im Film wird eine der Fiktionalität hier zu Grunde liegende „Vorgeblichkeit ohne Täuschungsabsicht“ („So-tun-als-ob“) ins Spiel gebracht, indem die Schauspieler (ohne Täuschungsabsicht) vorgeben, andere Personen zu sein und Handlungen dieser Personen zu vollziehen), vor allem auch ein spezielleres Wissen über Western/Westernfilme unverzichtbar.
Zunächst also in Auseinandersetzung mit Georg Seeßlens Buch „Western – Geschichte und Mythologie des Westernfilms“, Marburg 1995, aus dem ich bereits einmal zitiert habe, eine kurze und ein solches spezielleres Wissen betreffende Info.
Laut Seeßlen hat der Westernfilm mit John Fords Stagecoach von 1939 seine „klassische Form“ gefunden (vgl. Seeßlen 59) und Anfang der 1950er Jahre „war der A-Western endgültig erwachsen geworden“: „Er hatte eine Sprache, eine Logik und eine Mythologie gebildet, vermittels deren sich aktuelle politische ebenso wie kulturelle und ‚essentielle‘ Probleme darstellen ließen. Der Western war gewissermaßen ein Diskussionsrahmen für Probleme von Macht, Gewalt und Gesetz geworden“. (Seeßlen 98)
Dem Western bzw. (A-)Westernfilm kommen nun, man könnte sagen, zwei zentrale Funktionen zu: eine mythische und als solche „wider-kritische“ Funktion (mit Seeßlen lässt sich der Mythos verstehen als „eine Methode, Widersprüche, die sich in der Praxis nicht lösen lassen, auf geträumte, vorgestellte, angestrebte Weise zu harmonisieren“ (Seeßlen 21) bzw. „Methode, das Unvermeidbare zusammenzuzwingen“ (Seeßlen 122)); und eine utopische und damit „pro-kritische“ Funktion. Und sind nach Seeßlen dem Westerngenre dann „zwei wesentliche Impulse“ einbeschrieben (vgl. Seeßlen 197), so wird der eine Impuls, nämlich „das verdrängte Böse, das schlechte Gewissen über die historische Schuld, die Scham und das Opfer“ qua mythischer Komponente des Western abgewehrt; und der andere Impuls, „die Utopie der Selbstverwirklichung“ und die ja wohl auch utopische „Versöhnung von Mensch und Natur“, macht den Western dann nicht nur zu einer Mischung aus realistischem und phantastischem, sondern aus realistischem, phantastischem und utopischem Fiktionstyp.
Was die mythische Funktion betrifft, so lässt sich der Western zunächst als „eine Art Nationalepos“ verstehen, in dem speziell die US-Geschichte um ein „mythisches Zentrum herum“ thematisiert wird: „die Besiedelung des Westens nach dem Bürgerkrieg“ (vgl. Seeßlen 175); dennoch hat der Western hier eine über die USA hinaus „universale“ Dimension, insofern die „Durchkapitalisierung der Welt“ in den USA – und nicht erst seit gestern – ihren fortgeschrittensten und vollständigsten Ausdruck findet und so die Mythen des Westerns „in sich die Widersprüche nicht nur der Geschichte der ‚westlichen Welt‘, sondern auch solche eines jeden (zumindest jeden männlichen) Individuums in seinem Gesellschaftssystem tragen“ (vgl. Seeßlen 21) und der Western zudem noch die Eigenschaft besitzt, „ein mythisches Bild für Übergänge zu sein, Übergänge des Individuums wie der Gesellschaft“ (vgl. Seeßlen 69).
Und was die utopische und damit „pro-kritische“ Funktion des Western betrifft (auch sie im Kapitalismus und wider den Kapitalismus zweifellos „universal“ bzw. von globaler Relevanz), in der vor allem sich dann wohl auch der von Seeßlen diagnostizierte „latent im Genre immer vorhandene antikapitalistische Affekt“ (vgl. Seeßlen 143) produktiv umsetzt: In den 1950er Jahren wurde der Western in den USA hinsichtlich seiner mythischen Funktion verstärkt hinterfragt, „weil im Bild des Kriegsgegners, des nationalsozialistischen Deutschland, der Rassenmord in seiner brutalen Offenheit die Frage nach Verantwortung und Umständen virulent machte“ (Seeßlen 122), und über den Vietnamkrieg zerbrach dann der nationale Konsens in den USA und mit ihm der US-Mythos überhaupt (vgl. Seeßlen 179). Der Kapitalismus (seine Geschichte, insbesondere seine US-Geschichte) konnte nicht mehr ideologisch-positiv im „Mythos der Grenze“ harmonisiert werden, die „mythologische Grenze“ im Western machte sozusagen dicht, „der ‚Pakt‘ des Western mit der Gesellschaft (musste) aufgekündigt werden“ (Seeßlen 178), der „Western in den siebziger Jahren“ wurde „in den USA selbst eher als dissidentes Kino empfunden“ (vgl. Seeßlen 178), „das National-Epos drohte gleichsam auf der Leinwand zerstört zu werden“ (Seeßlen 178) und „der Western (reicherte) sich mit immer neuen Ansätzen kritischer Kultur an … und (wanderte) sozusagen nach links“ (Seeßlen 178). Und fasst man nun die emanzipatorische Überwindung des Kapitalismus als realistisches bzw. durchaus realisierbares „utopisches“ Projekt ins Auge (versteht also Utopie nicht im Sinne ihrer üblichen Befangenheit im Kapitalismus) und stellt so wieder eine fürs Funktionieren des Westerns vorausgesetzte gesellschaftliche Offenheit her (vgl. Seeßlen 179: „Völlig funktionieren kann der Western … nur in einer Gesellschaft, die sich zumindest partiell für eine offene hält.“), dann könnte diese utopische und damit „pro-kritische“ Funktion des Western nicht nur in den Vordergrund rücken, sondern die mythische Funktion ganz und gar überflüssig machen; und der Westerner könnte sich weg vom mythisch-phantastischen Helden und ganz hin zum realistisch-utopischen Helden einer, sagen wir, „emanzipatorischen Selbstverwirklichung“ entwickeln (und dabei eben nicht nur wie der Westerner des Italo-Westerns zwar zum „Westerner ohne Grenze, ohne den Mythos“ (vgl. Seeßlen 158) werden, aber zum allenfalls noch etwas „aufbegehrenden“ Westerner in einem „Genre der Resignation“ (vgl. Seeßlen 161); und auch nicht wie der Westerner des US-„Spätwesterns“ zum Westerner, dessen „Bewegung … nur noch Flucht sein (kann)“ und von dessen „Autonomie“ „die Option auf den Tod … das einzige (ist), was … übriggeblieben ist“ (vgl. Seeßlen 167)): Schließlich erscheint mir dieser Westerner, wie im Genre ursprünglich konzipiert, ja auch alles andere als ungeeignet, einen solchen realistisch-utopischen Helden abzugeben: als eigentlicher „Verlierer“ der „Durchkapitalisierung“ der Welt (vgl. Seeßlen 175: „Dabei hatte das Genre in seiner Mythologie ja gerade die eigentlichen Verlierer dieser explosiven Modernisierung an der frontier in den Mittelpunkt gestellt: …“); als „ganzer“ und sich (möglicherweise) um Selbstbestimmung bemühender Mensch (vgl. z.B. Seeßlen 178: „Der Westerner … ist … auch nicht einer, der Identität hat (wenn er auch fraglos ein „ganzer“ Mensch ist), sondern einer, der sie (vielleicht) sucht.“); als Figur, die in sich alle Heldengestalten der Geschichte vereint, zugleich jedoch einen ganz gewöhnlichen Menschen darstellt, der nichts Besonderes sein will und normalerweise auch keinen Führungsanspruch erhebt (vgl. Seeßlen 21); als Figur, die sich selbst erzieht (vgl. Seeßlen 107), die immer nur für sich selbst kämpft, aber zur Aufrechterhaltung der Regeln auch für andere aktiv wird (vgl. Seeßlen 101), der zudem die Rolle eines Mittlers, eines Boten zukommt, „der dem Alten vom Neuen und dem Neuen vom Alten kündet“ (vgl. Seeßlen 22), und die dann auch immer wieder „gewissermaßen einen bösen Teil … (ihres) Wesens ab(spaltet), um ihn zu vernichten“ (vgl. Seeßlen 120).
Nun zum Foto bzw. zu einer mittels Foto geleisteten Darstellung und einer entsprechenden Verwendung des Fotos, wie ich sie verstehe (bzw. spontan verstand):
Der Westernfilm – er lebt vor allem auch über bestimmte Schauspieler, die in ihren Kostümen unverwechselbar bleiben. Kennt man Westernfilme, dann kennt man James Stewart; und kennt man James Stewart, dann erkennt man ihn auf dem Foto auch trotz seines durch den Hut halbverdeckten Gesichts und nicht zuletzt an dem für ihn typischen Western-Kostüm: kurze Jacke, kariertes Hemd, heller und verschwitzter Stetson. (Kleidung in den Western (wie insbesondere auch die waffentechnische Ausrüstung der Protagonisten) entspricht bis in die 1980er, 1990er Jahre, in denen man begann, sich verstärkt um „historische Authentizität“ zu bemühen, nicht heutigen Reenactment-Maßstäben, ist immer eine Mischung aus Zeitgenössischem (Winchester 73: 1949/50) und Historischem (hier 1876, dem Jahr, in dem der Film (Winchester 73) spielt), erscheint aber dennoch als so durch und durch realistisches wie zweckmäßiges Outfit, tauglich fürs Leben in der Natur, für Arbeit (oder sagen wir besser: für reproduktive Tätigkeit) und für den Kampf.) Und obwohl – oder nein: gerade weil mit klar ist und bleibt, dass hier James Stewart – ein Schauspieler – beim „So-tun-als-ob“ abgebildet ist, erscheint (erschien) mir mittels Foto dann nicht nur James Stewart als identisch mit einer Rolle, die er in einem Western spielt, dargestellt, und auch nicht nur quasi als Verkörperung oder „Leibhaftigmachung“ eines Westerners, sondern als des Westerners (Westernhelden) überhaupt. Und qua der durch das Foto geleisteten Darstellung erscheint (erschien) mir so nicht nur der fiktionale Held eines fiktionalen und realistisch-utopischen Genres, sondern mit ihm der utopische Anteil des Western-Genres – als Teil dessen, worum es emanzipatorisch gesehen geht/gehen muss – quasi Realität geworden zu sein; und das Foto entsprechend wie gemacht für eine Verwendung, die vor allem darin besteht (bestünde), jemandem wie mir (Leuten wie mir) hinsichtlich einer Bemühung um die Realisierung dessen, was hier (zumindest teilweise) real geworden zu sein scheint, den Rücken zu stärken und/oder ihn (sie) entsprechend anzuspornen bzw. verstärkt zu motivieren (indem man ihm (ihnen) das Foto zeigt).
Und was an der durchs Foto geleisteten Darstellung, wie ich sie verstehe, ist´s nun vor allem, was ihre für mich einschlägige Qualität ausmacht?
Dient der Western „in seinen Bildern“ nach Seeßlen „vor allem der Errettung der physischen Realität“ (vgl. Seeßlen 181) – wider den Kapitalismus überhaupt und insbesondere wider den Kapitalismus im Zuge der dritten industriellen Revolution (vgl. dazu z.B. Seeßlen 180: „Der Wert der Arbeit in der postindustriellen Gesellschaft ist vom Körper selbst entfernt, die Maschine bestimmt nicht mehr nur den Arbeitsprozess, sie benötigt den Menschen gar nicht mehr“.) –, dann scheint mir auf dem Foto mittels „american shot“ (der Schauspieler im Western wird in der halbnahen Einstellung nicht nur bis zur Hüfte, sondern bis zu den Knien abgebildet, um seine Bewaffnung mit aufs Bild zu bekommen) nicht nur die Ruhe des Westerners unübertrefflich zur Darstellung gebracht, stellvertretend für „(jene) Ruhe, die im Western für das Utopische steht“ (vgl. Seeßlen 173), sondern eben eine so der „Errettung der physischen Realität“ dienende genussvolle Ruhe, wie sie nur einem (qua sinnvoller reproduktiver und sonstiger Tätigkeit, versteht sich) immer wieder „an den Rand der Belastbarkeit“ (vgl. z.B. Seeßlen 180) gebrachten Körper möglich ist. Und da man mit Seeßlen (Seeßlen 180) „sagen (könnte), das Ideal des Western ist eine Mechanisierung mit menschlichem Maß, mit Maschinen, deren Wert sich immer nur durch den Menschen bestimmen lässt, der sie bedient, wie der Cowboy den Revolver, wie die Lokomotive auf dem Weg durch die Prärie, wie der Telegraf“, womit „das Genre auch so etwas wie ein technisches und ökonomisches Ideal (definiert)“, das sich freilich binnenkapitalistisch nicht realisieren lässt und so auf seine Weise auf die emanzipatorische Überwindung des Kapitalismus verweist, scheint mir mittels der neben James Stewart auf dem Boden liegenden Winchester dann nicht nur dargestellt zu sein, wie sich der Westerner auch in Situationen zu entspannen in der Lage ist, in denen ihm der Kampf persönlich notwendig erscheint/erscheinen könnte (vgl. z.B. Seeßlen 180: „… und der Kampf wird nur als Notwendigkeit, nicht als Sicherung von Interessenssphären akzeptiert.“), sondern eben auch das technische und ökonomische Ideal des Genres ins Spiel gebracht. Und wenn „das Pferd … im klassischen Western die Vorstellung von Geschwindigkeit (bestimmte) und der Held … nicht nur deswegen immer wieder von seinem Pferd auf einen fahrenden Zug springen (musste), weil sich das als schöner Stunt inszenieren lässt, sondern auch, um diese natürliche Bewegung gegen die maschinelle Bewegung zu bestätigen“ (vgl. Seeßlen 181), dann scheinen mir die am oberen Rand des Fotos abgebildeten Pferdehufe innerhalb der Darstellung vor allem auch der Bestätigung der Lebewesen mit ihren Bedürfnissen (ob nun Mensch oder Tier) wider die kapitalistische Deformation und Pervertierung der Technik zu dienen. Und mit dem einfach auf einer Decke oder Plane auf dem Boden liegenden James Stewart (perspektivisch vom rechten Knie her aufgenommenen und in Diagonale von rechts unten nach links oben auf dem Foto abgebildet) scheint mir dann zum einen die im Kapitalismus und insbesondere im Zuge der dritten industriellen Revolution verloren gegangene und vom Western vermittelte und gesuchte „territoriale Erfahrung“ ihre plastische Darstellung (visuelle Vergegenwärtigung) zu erfahren (vgl. z.B. Seeßlen 176: „Territory ist das Wort, das John Ford für das benutzte, was wir vielleicht als Heimat bezeichnen (und ideologisieren) müssten, und das dann doch etwas anderes bedeutet als der deutsche Begriff. Der Western ist kein Heimatfilm, sondern er ist ein universaler Film über die Suche des Menschen nach Heimat und schon bei Ford selber darüber, dass sie nicht gefunden wird.“ Und: „Diese Suche nach Heimat, nach der territorialen Erfahrung der Welt, in der die Auseinandersetzung zwischen dem nomadischen und dem bäuerlich-sesshaften Impuls des Menschen als moralisches Drama zu erfahren ist, war in den siebziger Jahren obsolet geworden: das Medienzeitalter hatte begonnen, man lebte im global village.“); und zum anderen ebenso das angemessene Verhältnis zwischen Mensch und Natur, auf das der Western abzielt: Denn erfährt im Western die Natur nicht nur keine „symbolische Verwurstung“, keine Reduktion auf die Funktion einer symbolischen Kulisse, wie man sie aus deutschen Heimatfilmen kennt, sondern erscheint als etwas, dem sich auch durchs Aufstellen von Naturgesetzen das letzte Geheimnis nicht entreißen lässt (vgl. z.B. Seeßlen 177: „In einem deutschen Heimatfilm ist die Natur nichts als Zeichen für innere Konflikte der Helden, sozusagen der Text hinter dem Text; die Natur im Western dagegen ist Zeichen im Zustand der Entzifferung, nie ohne einen Rest von Rätsel und Abwehr.“), so erscheint hier auch der Mensch – der Westerner – zwar als soziales Lebewesen, aber in seiner letztlichen Bedingtheit durch eine ihm die Grenzen setzende Natur, in die er sich einfügt und der er sich nicht zu überheben trachtet: „Kino im Western bedeutet gerade … eine Art Rückkoppelung des Blickes an die Natur, eine Form der Demut: … der Überschwang erster (scheinbar demokratischer) Industrialisierung trifft sich mit einer barbarischen und metaphysischen Natur, über die man sich nicht ohne weiteres hinwegsetzen oder sie ignorieren kann, wie es die Helden anderer Genres tun. Die gerade noch erträgliche Schwere des materiellen Daseins ist das Problem des Western-Helden.“ (Seeßlen 177)