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Ein Nachleben in der Kunst / An afterlife in art

„Er ist tot und er wird sterben“ / “He is dead and he will die”

     >Roland Barthes<

Roland Barthes spricht in seiner `hellen Kammer´ davon, welche Gefühle und Gedanken es in ihm auslöst das Bild des zum Tode verurteilten (und zum Zeitpunkt der Bildbetrachtung schon lange hingerichteten) Mörders Lewis Payne anzuschauen; dieses befremdliche Gefühl, das Bild eines Lebenden in der Hand zu halten und doch zu wissen, dass er tot ist. Ich hatte vor einigen Wochen ein ähnlich schräges Erlebnis. Ein befreundetes Ehepaar hatte mir einen Dokumentarfilm, der gerade im Fernsehen gelaufen war, empfohlen. Da er mit Fotografien zu tun hatte, habe ich ihn mir dann auch bald angeschaut. Es war der Film „Lene-Marie oder das wahre Gesicht der Anorexie“ über die norwegische Fotografin Lene Marie Fossen.

Der Film schildert eigentlich ihre Erfolgsgeschichte, aber vor dem Hintergrund ihrer Essstörung. Sie hatte angefangen über fotografieren und speziell über Selbstportraits, die sie in ihrem fragilen, von der Anorexie gezeichneten Körper, zeigen, ein Weg aus dem Teufelskreis der suchtähnlichen Erkrankung zu finden. Bis hin zu ihrer großen Ausstellung in Oslo, dem Buch mit ihren Bildern, und dem Film über ihr Leben. Ich fragte mich, als ich den Film sah, wie ich mich dazu stellen könnte und was mich daran so berührt. Es wird in dem Film schon sehr deutlich wie zerbrechlich dieser knapp 30-jährige Körper sein muss. Lene-Marie schildert in dem Film z.B. einen gar nicht so schweren Unfall, der sie aber sehr erschüttert hat.

Trotzdem war es ein Schock bei meinen Nachforschungen im Internet darauf zu stoßen, dass diese junge Frau, die ich da lebendig auf der Mattscheibe gesehen habe, tatsächlich schon seit zwei Jahren verstorben ist. Ich habe keine Ahnung, ob etwas anderes gewesen wäre, wenn ich beim Sehen des Filmes schon gewusst hätte, dass sie tot ist. Möglicherweise hätte es gar nicht so viel geändert. Und trotzdem hing es mir über Wochen so in den Knochen, dass ich erst neulich beim Walken einen Weg gefunden habe darüber zu sprechen. Und zwar unter dem Aspekt, dass diese Anorektikerin Lene Marie Fossen indem sie es geschafft hat, sich kreativ auszudrücken, sich selbst als Künstlerin neu zu erfinden, sich selbst so eine Art Denkmal gesetzt hat, dafür gesorgt hat, dass sie eine Art Nachleben erlangt hat, in dem sie mich dann noch lebendig erreichen konnte.

Roland Barthes talks in his `camera lucida’  about the feelings and thoughts it triggers in him to look at the picture of the condemned (and at the time of looking at the picture long since executed) murderer Lewis Payne; this disconcerting feeling of holding the picture of a living person in one’s hand and yet knowing that he is dead. I had a similarly weird experience a few weeks ago. A couple who are friends had recommended a documentary that had just been on television. Since it had to do with photographs, I soon watched it. It was the film “Lene-Marie or the real face of Anorexia” about the Norwegian photographer Lene Marie Fossen.

The film actually depicts her success story, but against the background of her eating disorder. She had begun to find a way out of the vicious circle of addiction-like illness through photography and especially through self-portraits showing her in her fragile body marked by anorexia. All the way to her big exhibition in Oslo, the book with her pictures, and the film about her life. When I saw the film, I asked myself how I could relate to it and what touched me so much about it. It becomes very clear in the film how fragile this 30-year-old body must be. Lene-Marie, for example, describes an accident in the film that was not that serious, but which shook her very much.

Nevertheless, it was a shock to discover during my research on the internet that this young woman, whom I saw alive on the screen, had actually been dead for two years. I have no idea if anything had been different if I had known she was dead when I saw the film. Possibly it wouldn’t have made that much difference. And yet it hung in my bones for weeks, so much so that I only found a way to talk about it the other day when I was walking. And I did so from the point of view that this anorectic Lene Marie Fossen, by managing to express herself creatively, by reinventing herself as an artist, by creating a kind of monument for herself, ensured that she attained a kind of afterlife in which she could still reach me alive.

Translated with the help of  www.DeepL.com/Translator

6 Comments

  1. kopfundgestalt

    Es ist befremdend, daß es offenbar nicht immer einen Weg raus geben wird und kann.
    So eine Essstörung wird irgendwann auch unumkehrbar sein.
    In unserer Gesellschaft ist man der Meiniung, daß alles im Grunde heilbar ist. Mitnichten ist das der Fall.

    • Rolf Noe

      Ja, das kann man an diesem Beispiel eigentlich sehr schön zeigen. Es geht bei `Heilung´ nicht darum, einen wie auch immer gearteten vorherigen Zustand wiederherzustellen. Das ist Quatsch, jede OP hinterlässt zumindest eine Narbe, jeder Schock ein Trauma. Aber man kann versuchen damit klarzukommen. Auf neudeutsch heißt das `coping´ und eine der Möglichkeiten ist eben der kreative Ausdruck, die Kunst (wenn wir es so nennen wollen). Und das ist der Künstlerin Lene Marie Fossen gelungen; dass die Anorektikerin Lene Marie gestorben ist, tut dem, Gott sei Dank, keinen Abbruch.

      • kopfundgestalt

        Ich mag das Wort “cope” seit jeher.
        Es gibt ja immer prinzipiell die Möglichkeit, mit Krankheit “so” umzugehen.

        Der Film, den Du verlinkst, ist nicht mehr verfügbar.
        So kann ich nicht entscheiden, was an der Kunst von Lene Marie Fossen so ungewöhnlich ist. Ist denn immer ihre Krankheit das Thema in ihrer Kunst oder hat diese zu einer starken Sernsibilität bzgl. anderer Dinge beigetragen?
        Ich vermute stark, letzteres.

        • Rolf Noe

          Irgendwie beides, soweit ich das beurteilen kann. Hab den Link jetzt ersetzt, sodass man wenigstens einen `teaser´ anschauen kann. Leider haben die Mediatheken den Film wieder entfernt.

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