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Kulturelle Wunden heilen / Healing cultural wounds

Eigentlich war der Plan, dieses Thema elegant zu umgehen. Man kann sich ja doch nur in die Nesseln setzen damit. Diese Frage, die ja nicht erst seit gestern auftaucht, aber erst heute an einigen Stellen gehört wird: wie wollen wir damit umgehen, dass Vertreter unseres Kulturkreises sich in der Vergangenheit, vor allem in der Kolonialzeit kulturelle Gegenstände, aber auch Ideen mit einer Selbstverständlichkeit angeeignet haben, die die Perspektive der Beraubten komplett ausblendet? Nicht zufällig bin ich beim Besuch eines ethnologischen (früher Völkerkundlichen) Museums mit der Nase darauf gestoßen worden. Das Museum am Rothenbaum für Kultur und Künste außereuropäischer Völker (MARKK) in Hamburg. Gelockt hat mich die Sonderausstellung über Aby Warburgs Reisen zu den Pueblo- Bewohnern im Süden der USA. Da ich nun schon mal dort war, habe ich mir auch noch eine Ausstellung über die Benin-Bronzen angeschaut, die in dieser Diskussion oft als Beispiel herangezogen werden. Das Schema ist nicht einzigartig. Eine recht reiche Region in Afrika wird bereist, man beginnt Handel zu treiben. Man versucht, die Einheimischen zu übervorteilen. Sie wehren sich und werden zur Strafe überfallen. Ihre gesamten Schätze werden abtransportiert und in Europa in den Museen verteilt. Der Fall ist eigentlich klar. Diejenigen Gegenstände, die von den betroffenen Völkern eingefordert werden, müssen zurückgegeben werden. Die Museen hier gehen zudem dazu über, die verbleibenden Reliquien, in historische Aneignung illustrierenden Ausstellungen, als Beispiele zu zeigen.

Actually, the plan was to elegantly avoid this topic. After all, you can only get yourself into hot water. This question, which did not just come up yesterday, but is only being heard in some places today: how do we want to deal with the fact that representatives of our cultural sphere have appropriated cultural objects, but also ideas, in the past, especially in colonial times, with a matter of course that completely ignores the perspective of those who were robbed? It was not by chance that I came across this when visiting an ethnological (formerly ethnographic) museum. The Museum am Rothenbaum für Kultur und Künste außereuropäischer Völker (MARKK) in Hamburg. I was attracted by the special exhibition about Aby Warburg’s travels to the Pueblo inhabitants in the south of the USA. Since I was already there, I also went to see an exhibition about the Benin bronzes, which are often used as an example in this discussion. The scheme is not unique. A fairly rich region in Africa is travelled to, trade begins. You try to take advantage of the locals. They fight back and are attacked as punishment. All their treasures are taken away and distributed to museums in Europe. The case is actually clear. Those objects that are claimed by the peoples concerned must be returned. The museums here are also moving towards showing the remaining relics, in exhibitions illustrating historical appropriation, as examples.

Aber so einfach ist es eben leider doch nicht. Das wurde mir anhand der Ausstellung über Aby Warburgs Reisen deutlich. Auch er hat kultische- und Alltagsgegenstände der Pueblo-Völker gesammelt und mit nach Europa gebracht. Er hat diese ordentlich von Zwischenhändlern erworben, bei denen es aber unklar ist, wie sie an die Gegenstände gekommen sind. Für die Gegenstände finde ich hat das Museum die heikle Frage “zeigen oder nicht?” gut gelöst. In Zusammenarbeit mit heutigen Vertretern und Experten der Pueblo-Völker wurden diejenigen Gegenstände identifiziert, die sakralen oder esoterischen Charakter zu haben scheinen. Diese werden dann nur als “Leerstellen” (die Form nachzeichnende weiße Holzplatten) gezeigt.

But unfortunately, it is not that simple. This became clear to me in the exhibition about Aby Warburg’s travels. He, too, collected cultic and everyday objects from the Pueblo peoples and brought them back to Europe. He acquired them properly from middlemen, but it is unclear how they got the objects. For the objects, I think the museum has solved the delicate question of “to show or not to show?” well. In cooperation with present-day representatives and experts of the Pueblo peoples, those objects that seem to have a sacred or esoteric character were identified. These are then shown only as “blanks” (white wooden panels tracing the shape).

Wie aber geht man mit den Fotos um, die Warburg gemacht hat. Das sind ja keine restituierbaren Gegenstände. Die Bildrechte der Abgebildeten spielen auch keine Rolle mehr, da sie alle längst tot sind. Da wird es schon deutlich schwieriger. Auch hier wurden einige Bilder die sich auf “heilige Zeremonien” bezogen silhouettiert dargestellt. Kann man machen.

But how do you deal with the photos Warburg took? They are not objects that can be restituted. The image rights of the people depicted are also no longer relevant, as they have all been dead for a long time. That makes it much more difficult. Here, too, some pictures referring to “sacred ceremonies” were silhouetted. That´s possible.

Ganz schwierig wird es aber, wenn Warburg in Texten über “geheime Hintergründe” von Tänzen spricht. Auch hier ist ganz klar, dass das den Betroffenen unangenehm ist. Bekommen hat Wartburg die Informationen, wie andere auch, weil es in den Gemeinschaften oft Menschen gibt, die nicht mehr innerhalb der religiösen Zusammenhänge stehen und deshalb nichts dagegen haben, diese Informationen mit Wissenschaftlern zu teilen. Eine ganz schwierige Kiste. Sie zeigt das eben nicht nur die koloniale Aneignung mit Verträgen und Gewehren, sondern die zum Teil in den gleichen Schiffen segelnden Wissenschaftler mit ihren Notiz-Blöcken und Photoapparaten Aneignung betrieben haben.

However, it becomes very difficult when Warburg talks in texts about the “secret backgrounds” of dances. Here, too, it is quite clear that this makes the people concerned uncomfortable. Wartburg got the information, like others, because there are often people in the communities who are no longer within the religious contexts and therefore don’t mind sharing this information with scientists. A very difficult case. It shows that not only colonial appropriation with treaties and guns, but also the scientists, some of whom sailed in the same ships, appropriated with their notepads and cameras.

Andererseits hat gerade Aby Warburg, wie ich anhand seines Bilderatlas schon berichtet habe, anhand unserer eigenen Kultur und ihren Wurzeln im antiken Griechenland gezeigt, dass innerhalb eines Kulturraums die Aneignungsprozesse so vielfältig sind, dass man die Adaptation von Bildermotiven förmlich durch die Jahrhunderte verfolgen kann. In einer globalisierten Kultur sollte es also eigentlich kein Thema sein, dass Bilder aufgegriffen und neu verwertet werden. Andererseits sind es ja genau diese viel verwendeten Bilder und Symbole, die für die kulturelle Identität konstituierend sind und sozusagen als `eigene´ Kultur empfunden werden. Wenn man hier von Eigentum sprechen will, muss man in der Aneignung natürlich auch den Diebstahl als solchen benennen.

Für die weitere Beschäftigung mit dem Thema empfehle ich ein Buch, dass ich mir in der Ausstellung gekauft, aber noch nicht gelesen habe. Es geht um „Bilderfahrzeuge“, Untertitel: „Aby Warburgs Vermächtnis und die Zukunft der Ikonologie“ aus dem Wagenbach Verlag.

On the other hand, Aby Warburg, as I have already reported on the basis of his Bilderatlas , has shown on the basis of our own culture and its roots in Ancient Greece that within a cultural area the processes of appropriation are so diverse that one can literally follow the adaptation of pictorial motifs through the centuries. In a globalised culture, it should not really be an issue that images are taken up and reused. On the other hand, it is precisely these much-used images and symbols that constitute cultural identity and are perceived as ‘own’ culture, so to speak. If one wants to speak of property here, one must of course also name theft as such in appropriation.

For further study of the subject, I recommend a book that I bought at the exhibition but have not yet read. It is about “Bilderfahrzeuge”, subtitle: “Aby Warburgs Vermächtnis und die Zukunft der Ikonologie” from Wagenbach Verlag.

8 Comments

  1. Clemens

    Die Zeiten haben sich geändert. Ich kann mich an die Selbstverständlichkeit erinnern, mit der ich als Kind diese Kulturschätze im “Völkerkunde Museum” bestaunen durfte und konnte. Als Kind “darf man das” ohne Hintergedanken. Als Erwachsener ist das etwas schwieriger, so völlig unbedarft zu staunen, aus den von dir beschriebenen Gründen. Ein “Goodie” der Museen dieser Art ist gewissermaßen, dass damit diese Kulturschätze auch nicht verloren gegangen sind. Oder vielleicht wären manche Dinge überhaupt nicht ans Tagelicht gekommen und wir wüssten nichts davon. Noch krasser: Ich erinnere mich, dass meine Mutter nicht ohne verbliebene Faszination erzählte, wie sie in Hagenbeck’s Tierpark in Hamburg in den 1930-ßigern “Pygmäen in einem künstlichen Dorf” bewundern konnte. Ein Hoch auf die Kindheit und ihre Unschuld. Als Erwachsene sind wir eben gewissermaßen “sündig” geworden oder müssen jedenfalls mit dem Wissen/Gewissen klarkommen. Ich glaube es nicht. Eine interessante Frage ist auch, wie Ethnologie funktionieren kann, ohne “greifbare” Erfahrung anderer Kulturen, zumal diese ja mehr oder weniger endgültig vergangen sein werden. Ob Fotografien den selben tiefgreifenden Eindrücke erzeugen?

    • Rolf Noe

      Ja, mir geht es ähnlich, wenn ich zurückschaue. Die Faszination, in einem Schaukasten eine Nomadenfamilie in ihrem Zelt sitzen zu sehen, blieb nicht hinter derjenigen zurück, die im naturkundlichen Museum aufkam, als ausgestopfte Wölfe unbeweglich durch einen ähnlichen Schaukasten streiften. Ich halte nicht viel von rückwirkender Verurteilung, aber ich halte einiges davon, sich damit auseinanderzusetzen, was “wir” damals getrieben haben, um besser zu verstehen, was wir, wie Harald in seinem Kommentar so schön gesagt hat, heute noch treiben, um unseren Lebensstandard hochzuhalten.

  2. fotokunsths

    Da hast Du wirklich ein vielschichtiges Thema angerührt. Die Raubzüge des Kolonialismus sind unbestrittenes Unrecht, soviel haben wir als Gesellschaft verstanden – hoffe ich. Das Problem besteht meiner Meinung nach auch darin, dass die kolonialen Raubzüge ja unter unseren Augen weitergehen. Nur tun wir so, als sähen wir sie nicht. Die EU nimmt der afrikanischen Landwirtschaft mit subventionierten Lebensmitteln die Existenzgrundlage und verhindert eine wirtschaftliche Weiterentwicklung. Wir exportieren unseren Wohlstandsmüll in Länder der Dritten Welt, damit wir uns schön sauber fühlen können. Wenn wir als Touristen solche Länder besuchen, sehen wir nur die Schönheit. Bilder über die Auswirkungen des aktuellen Kolonialismus findet man nicht in den Photostreams und Bilderbüchern der Touristen.

  3. Ule Rolff

    Das stimmt mich sehr nachdenklich. Dass gestohlene Kulturgüter nicht einfach so weiter genutzt werden und normalerweise zurückgegeben werden müssen, ist klar.
    Aber dass auch Berichte über kulturelle/kultische Vorgänge fragwürdig sind … wie könnten denn legitime Informationen zustande kommen? Oder dürfte es diese über Vorgänge, die in einer Kultur als geheim betrachtet werden, konsequenterweise gar nicht geben?

    • Clemens

      Aus heutiger Sicht ist es Diebstahl gewesen. Damals war es eine selbstverständliche Aneignung. Niemand oder wenigstens kaum einer hat so weit gedacht vor hundert Jahren, manche waren wissbegierig, andere habgierig. Wir müssen vielleicht dankbar sein – und auch diese beraubten Kulturkreise -, dass voller Faszination im Sand gebuddelt und geforscht wurde. Der Mensch hat ein kaum vorstellbares Zerstörungsvermögen, siehe Klimakrise oder aktueller politischer Kontext usw. Umd immer bastelt er sich eine Berechtigung dafür zurecht. Es ist immer gut, wenn wir uns dsbzgl. einbremsen können. Also wieder zurück mit den Kulturgütern zu den vorrangigen Erben und eine gesünderen Weg für ethnologische Forschung finden.

    • Rolf Noe

      Ich habe das mit dem Aneignen von Ideen und Informationen nicht verurteilt, sondern nur problematisiert. Ich finde auch einen übertriebenen Eigentumsbegriff problematisch. Das zeigt sich z.B. daran, wenn unbekannte Musiker irgendwelche Stars verklagen, weil sie ihnen eine paar Tonfolgen `geklaut´ hätten. Man kann das Problem manchmal besser deutlich machen, wenn man den Spieß umdreht. Stell Dir mal vor, ein Buddhist interviewt katholische Priester, um ein Buch zu veröffentlichen, in dem die im Beichtstuhl erzählten Geschichten nacherzählt werden. Zugegeben etwas konstruiert, aber das war ungefähr der wunde Punkt bei den Pueblo-Völkern und ihren Tänzen.

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