Ich habe in letzter Zeit die alten “In trockenen Büchern”- Podcasts von Alexandra Tobor wieder gehört. Das ist klar das, was ich mir unter qualitativ hochwertiger Wissensvermittlung und Denkanregung vorstelle. Neben Themen wie dem Stress, der mit der Verfügbarkeit von allem einhergeht, dem Gefühl der Bedeutungslosigkeit angesichts globaler Kommunikationsmöglichkeiten, dem Vielfaltsverlust, der wiederum der Ambiguitätsintoleranz zu verdanken ist, hat sie auch eine Folge über die “Vanitas” gemacht, die bei mir eine ganze Reihe von Assoziationen ausgelöst hat, nicht nur die üblichen Reminiszenzen an die vergebliche Liebesmühe gymnasialer Deutschlehrer
Das Buch, das Sie in dieser Folge bespricht, heißt „Der Tod steht uns gut“ von Tobias Quast und behandelt das scheinbar paradoxe Thema, dass die Zunahme von Todes-Symbolen der Alltagskultur (Totenköpfe etc.) zu einem Funktionsverlust dieser Symbole als “Memento mori” nach sich zieht. Der Tod ist nicht mehr Schicksal, sondern allenfalls einem Versagen des medizinischen Apparates geschuldet, einem bedauerlicherweise noch nicht überwundenen Verfallsdatum des Menschen.
Was hat das nun eigentlich mit dem Thema Fotografie zu tun? Wenn ich z.B. auf Friedhöfen fotografiere – und ich denke es geht anderen Photoamateuren ähnlich – geht es selten darum das Thema Tod in den Blick zu nehmen. Vielleicht ein wenig Melancholie oder ein leichtes Gruseln, dass der Unterhaltung ein wenig Würze verleiht.
I have recently been listening again to the old “In Dry Books”- podcasts by Alexandra Tobor. This is clearly what I think of as quality knowledge transfer and thought-provoking. In addition to topics such as the stress that comes with the availability of everything, the feeling of insignificance in the face of global communication possibilities, the loss of diversity, which in turn is due to the intolerance of ambiguity, she also did an episode on “vanitas”, which triggered a whole range of associations for me, not just the usual reminiscences of the futile labour of grammar school German teachers.
The book reviewed in this episode is called “Der Tod steht uns gut” (Death suits us well) by Tobias Quast and deals with the seemingly paradoxical topic that the increase of death symbols in everyday culture (skulls etc.) leads to a loss of function of these symbols as a “memento mori”. Death is no longer fate, but at best owed to a failure of the medical apparatus, a regrettably not yet overcome expiry date of the human being.
What does this actually have to do with the subject of photography? When I take photographs in cemeteries, for example – and I think it’s the same for other amateur photographers – it’s seldom a question of wanting to focus on the subject of death. Maybe a little melancholy or a slight creepiness that adds a little spice to the entertainment.
Am Ende des Lebens bei Beerdigungen wird auch photographiert. Ich selbst habe auf der letzten Beerdigung, auf der ich war, doch eine gewisse Scheu empfunden, den Moment durch sein Festhalten zu entweihen. Andere waren da weniger gehemmt und danach gab es ein Video von der Rede des Priesters, das per Mail geteilt wurde. Auch hier aber geht es eher darum an das Event zu erinnern, als den Tod zu thematisieren.
Es mutet heute ein wenig skurril an, dass in den Anfangszeiten der Fotografie Tote gerne in voller Montur (auch stehend) fotografiert wurden, um eine Erinnerung an sie zu haben. Einige Belege dazu habe ich in einem französischen Blog gefunden, der dieses Thema ausführlich behandelt und bebildert. Heute brauchen wir das nicht mehr. Wir haben tausende von Photos aus dem Leben, um uns an die “Lieben” erinnern zu können.
Photographs are also taken at funerals at the end of life. At the last funeral I attended, I felt a certain shyness about desecrating the moment by capturing it. Others were less inhibited, and afterwards there was a video of the priest’s speech that was shared by email. But again, it’s more about commemorating the event than addressing the death.
It seems a bit bizarre today that in the early days of photography, dead people were often photographed in full costume (even standing up) in order to have a reminder of them. I found some evidence of this in a French blog that deals with this topic in detail and illustrates it. Today, we no longer need this. We have thousands of photos from life to remember our “loved ones”.
Bilder der Verstorbenen können durchaus eine Hilfe beim Trauern sein. Sie helfen uns an die Gedanken zu erinnern, auch wenn sie inzwischen weitgehend von den Grabsteinen verschwunden sind. Es gibt hier eine große Tradition, die von den Pharaonengräbern über die koptischen und römischen Gräber bis hin zu den orthodoxen Friedhöfen sich gehalten hat, ein Bildnis in den Grabstein zu meißeln oder es zumindest darauf anzubringen. Nachdem das im Westen lange tabu war, scheint es jetzt wieder möglich zu sein.
Hier muss natürlich auch wieder Roland Barthes erwähnt werden, dessen Auseinandersetzung mit der Photographie anhand der Frage sich entwickelt hat, ob es ein Bild gibt, dass ihm hilft sich seine verstorbene Mutter zu vergegenwärtigen.
Eine ähnliche Funktion haben die Bilder totgeborener Kinder, über die ich schon berichtet habe. Früher war es noch nicht mal möglich diese kleinen Wesen begraben zu lassen, geschweige denn Bilder von ihnen zu machen. Hier hat sich eine schöne Erinnerungskultur ausgebildet, von der wir beim letzten Fotoherbst in Schömberg ein Beispiel sehen konnten. Anja Corinna Lohr fotografiert im Auftrag der Organisation `Sternenkinder´ diese “ersten und letzten Bilder” von diesen kleinen Menschenwesen, bevor sie begraben werden.
Heute scheinen Zahlen die Funktion übernommen zu haben, uns an unsere Sterblichkeit zu erinnern. Ein Blick auf die Corona-Statistiken bestätigt, dass, allen Bemühungen zum Trotz, zu viele Menschen erkranken, zu viele Menschen vorzeitig sterben. Aber was heißt vorzeitig? Das Leben richtet sich nicht nach der Statistik. Es ist auch nicht alles Schicksal. Was passiert richtet sich auch nach unseren Entscheidungen. Die Statistik liefert nur ein recht starres und globales Abbild des Ergebnisses.
Aber kehren wir zurück zur Ausgangsfrage: was gibt es überhaupt noch in unserer Bilder-Welt, das uns vergleichbar etwa mit den `Stillleben mit Totenkopf´ aus der Barock-Zeit daran erinnert, dass wir jederzeit `abberufen´ werden können?
Pictures of the deceased can definitely be a help in grieving. They help us to remember the thoughts, even if they have now largely disappeared from the gravestones. There is a great tradition here, which has endured from the Pharaonic tombs to the Coptic and Roman tombs to the Orthodox cemeteries, of carving an effigy on the tombstone or at least placing it on it. After this was taboo in the West for a long time, it now seems to be possible again.
Of course, Roland Barthes must also be mentioned here, whose discussion of photography developed on the basis of the question, whether there exists an image that helps him to visualize his deceased mother.
The images of stillborn children, about which I have already reported, have a similar function. In the past, it was not even possible to have these little beings buried, let alone take pictures of them. A beautiful culture of remembrance has developed here, of which we could see an example at the last Fotoherbst in Schömberg. On behalf of the organization `Sternenkinder´, Anja Corinna Lohr takes “first and last pictures” of these little human beings before they are buried.
Today, numbers seem to have taken over the function of reminding us of our mortality. A look at the Corona statistics confirms that, despite all efforts, too many people are falling ill, too many people are dying prematurely. But what does premature mean? Life does not depend on statistics. Nor is everything fate. What happens also depends on our decisions. Statistics only provide a rather rigid and global picture of the outcome.
But let’s return to the initial question: what else is there in our world of images that reminds us, comparable to the ‘still life with skull’ from the Baroque period, that we can be ‘called away’ at any time?
Translated with the help of www.DeepL.com/Translator
Einen interessanten Aspekt des Lebens nach dem Tode bietet das Internet. Dort verbleibt ein Andenken ohne zeitliche Begrenzung – solange es Strom gibt.
Eine „Überwindung des menschlichen Verfallsdatums” (wie etwa bei Marcuse angesprochen) mutete mir schon immer als im eher schlechten Sinn utopisch an. Und das Gute am Tod scheint mir zu sein: Indem man sich Tatsachen stellt wie denen, dass man jederzeit sterben kann oder dass man recht bald oder hundert pro früher oder später sterben wird, kann man sich (kritisch, wie sonst?) mit dem eigenen Leben als Ganzem konfrontieren und aufs Ganze dieses Lebens zielende Fragen stellen, deren Beantwortung es dann freilich auch noch lebenspraktisch umzusetzen gilt.
Im Internet hab ich gelesen, dass Vorgänger-Knochen und -Asche auch bei Neubelegung bundesdeutscher Grabstellen in der Erde verbleiben (hab mich gefragt, wie da wohl bei Neubelegung vorgegangen wird); und in einem Seeßlen-Text von 2010, dass die Anzahl der bundesrepublikanischen Armenbegräbnisse zwischen 2006 und 2010 um 64 Prozent angestiegen ist, sich immer weniger Bundesbürger eine traditionelle Bestattung leisten können oder wollen, das Unternehmen Friedhof deshalb einen bedauerlichen Leerstand verzeichnet und gräberlose Flächen pflegen muss, die angestiegenen Grundkosten an die Kundschaft weitergibt, Beerdigungen rasant teurer und entsprechend exklusiv werden und der Friedhof darob zum musealen, privilegierten, bedeutungsvoll aufgeladenen und gespenstischen Ort gerät.
Auf ein paar Gedenksteinen der Urnengräber um´s Urnengrab meines Vaters auf dem Römerschanzfriedhof zu Reutlingen gab´s auch Fotos der Eingeäscherten zu betrachten; mittlerweile ist das alles weggemacht, denn die bezahlten fünfzehn Urnengrab-Jahre sind in dieser Friedhofsecke längst rum und auch die übern Friedhof verstreuten Gräber der teilweise bereits in den 60er und frühen 70er Jahren verblichenen Opas und Omas und sonstigen Verwandten sind als nicht mehr markiert, aber auch nicht neubelegt nur noch vom Kenner zu finden. Das stellt natürlich auch eine Erleichterung dar, da man so von jeglicher in kleinbürgerlicher Vorgarten-Manier betriebenen Grabpflege „wegen der Nachbarn” befreit ist.
Immerhin, was Deutschlands Friedhöfe angenehm von z.B. Supermärkten oder Kneipen unterscheidet: Man wird allenfalls aus davor geparkten Autos mit der üblichen Musik des Grauens beschallt. Und man hat (bei geeignetem Wetter, versteht sich) die Chance, irgendwo eine ruhige Bank zu finden, auf der´s durchaus gelingen kann, den Lidl- und Aldi-Charakter des Friedhofs etwas wegzublenden, und einen reclam-Heft-Ausflug in die Romantik zu, sagen wir, Novalis oder Eichendorff zu starten. Allerdings: Will man die beiden auf auch bloß halbwegs zufriedenstellende Weise verstehen, dann nur vor dem Hintergrund ihrer jeweils speziellen Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus ihrer Zeit.