Leicht eigenartig ist es schon, wenn man einen Ort, den man online kennen gelernt hat dann tatsächlich auch besucht. Überhaupt ist mir der Unterschied zwischen dem vorab imaginierten Reiseziel und dem was man dann vor Ort erlebt schon lange nicht mehr (wie auch wenn man kaum gereist ist) so deutlich geworden, wie auf dieser kurzen Stipp-Visite in Berlin. Es fängt schon mit dem Wetter an. In der Vorschau ist immer schönes oder zumindest unauffälliges Wetter, in echt regnet‘s dann (hätte man in diesem Sommer eigentlich auch ‘mit rechnen können). Der Plan ist ganz gemütlich mit der Bahn anzureisen, mit Öffis schnell zum Hotel und dann noch ein bis zwei Ausstellungen anschauen. Nicht eingeplant sind Querdenkerdemos und eine seltsame Inkompetenz in der Nutzung von G-Maps, dass das Hotel dann doch nicht so nah am Alex ist, wie es im Internet scheint, usw. Gut, dass das f3 nicht so weit weg ist und bis 19 Uhr offen hat. Gut, ganz hat‘s da auch nicht gepasst. Gerne hätte ich mir die Anthropozän-Ausstellung oder die kommende Ausstellung mit Werken von Ruth Orkin angeschaut, aber das passte nicht in meinen Reiseplan. So lande ich nach weiteren kleinen Kämpfen mit den Smartphoneanweisungen tatsächlich im f3, das ich bisher nur von Facebook und meinem virtuellen Besuch her kenne. Bei der Präsentation der Ergebnisse der Masterclass mit Andreas Herzau fühle ich mich allerdings gleich wohl. Es geht um dokumentarische Photographie, es geht um Bildstrecken und es ist sorgfältig auf die Form der Präsentation geachtet worden. Man merkt den Bildstrecken an, dass jeweils noch ein wenig genauer reflektiert wurde, was man zeigt und wie man es zeigt. In seinem einleitenden Text zum Begleitheft der Ausstellung schreibt Andreas Herzau:
“Somit hat sich die Aufgabe der Fotograf*innen gewandelt von ˋzeige uns wie die Welt aussieht´ zu ˋhilf uns die Welt durch deine Fotografie besser oder neu zu verstehen´.
Die Arbeit mit Serien vergleicht er mit dem Kochen. Die Zutaten wären an sich auch essbar aber erst die Arbeit daran macht das Ganze zu einem Gericht, zu einer `wirklichen Geschichte´”.
Gut gefällt mir die Vielfalt der Ergebnisse. Von klassischen ˋBüsten-Portraits´ von Musikerinnen die von Kerstin Musl gezeigt werden bis hin zu der denkwürdigen Idee von Michael Kemmer Bilder von Gedenkstätten hinter Plastikverpackungsmaterial zu präsentieren und damit die Frage nach der Halbwertzeit von Erinnerungskultur zu provozieren.
Sehr beeindruckt hat mich die Geschichte hinter der Serie von Jacqueline Hirscher, die eine Familie von Rollstuhlfahrern mit der Absicht begleitet hat, ihre Schwierigkeiten im Alltag zu dokumentieren, am Schluss aber eine Serie von hochpoetischen Bilder zeigt, die diese Helden des Alltags in einer ästhetisch ansprechenden Form feiert, anstatt sie als Opfer darzustellen. Ein gutes Beispiel wie dokumentarische Arbeit auch auf denjenigen/diejenige zurückwirkt, die sich auf den Weg gemacht hat ein Thema zu `bearbeiten´. Ähnlich ging es Ralf Henning, der ausgezogen ist, das Leben der Geflohenen auf der griechischen Insel Lesbos zu zeigen und unterwegs gemerkt hat, dass diese Bilder schon so ˋverbraucht´ sind und dass er das Thema eher in den Blick bekommt, wenn er es mit der touristischen Idylik der Inseln konfrontiert. Eigentlich hätten alle Arbeiten eine Erwähnung verdient, ich werde es aber dabei belassen noch die Serie von Regina Kramer zu erwähnen, die KZ-Gedenkstätten im schönsten Sonnenschein photographiert hat und damit die Frage stellt, was die Orte überhaupt erzählen können, und was wir hinzufügen müssen damit das damit verbundene Grauen spürbar wird.
Nach diesem ernsten Auftakt ist der Plan für meinen zweiten Tag in Berlin auf die Berlin Photo Week ausgerichtet und ich bin gespannt, ob das auch einen Beitrag ergibt.
It’s a little strange when you actually visit a place you learned about online. In general, the difference between the destination imagined in advance and what one experiences on the spot has not been as clear to me for a long time (as it is when one has hardly travelled) as it was on this short flying visit to Berlin. It starts with the weather. In the preview, the weather is always nice or at least inconspicuous, but in real life it rains (you could have expected that in this summer). The plan is to arrive comfortably by train, get to the hotel quickly by public transport and then visit one or two exhibitions. Not included in the plan are cross-thinker demos and a strange incompetence in the use of G-Maps, that the hotel is not as close to the Alex as it seems on the internet, etc. Good thing that the f3 is not so far away and is open until 7pm. Well, it didn’t quite fit there either. I would have liked to see the Anthropocene exhibition or the upcoming exhibition with works by Ruth Orkin, but that didn’t fit into my itinerary. So after further minor struggles with the smartphone instructions, I actually end up at the f3, which so far I only know from Facebook and my virtual visit. At the presentation of the results of the master class with Andreas Herzau , however, I immediately feel at home. It’s about documentary photography, it’s about photo series and careful attention has been paid to the form of the presentation. One notices in the photo series that in each case there has been a little more reflection on what is shown and how it is shown. In his introductory text to the booklet accompanying the exhibition, Andreas Herzau writes:
“Thus the task of the photographer has changed from ˋshow us how the world looks’ to ˋhelp us understand the world better or anew through your photography’.
He compares working with series to cooking. The ingredients are edible in themselves, but it is the work that makes the whole thing a dish, a ‘real story’ “.
I like the variety of the results. From classic ˋbust portraits’ of female musicians shown by Kerstin Musl to the memorable idea of Michael Kemmer to present pictures of memorials behind plastic packaging material and thus provoke the question of the half-life of memory culture.
I was very impressed by the story behind the series by Jacqueline Hirscher, who accompanied a family of wheelchair users with the intention of documenting their difficulties in everyday life, but in the end shows a series of highly poetic images that celebrates these heroes of everyday life in an aesthetically pleasing form instead of portraying them as victims. A good example of how documentary work can also have an effect on the person who has set out to ˋwork on a subject’. Ralf Henning had a similar experience when he set out to show the lives of refugees on the Greek island of Lesbos and realized on the way that these images were already so ˋused up´ and that he would get a better view of the subject if he confronted it with the idyllic tourism of the islands. Actually, all the works would have deserved a mention, but I will leave it at mentioning the series by Regina Kramer , who photographed concentration camp memorials in the most beautiful sunshine and thus poses the question of what the places can tell at all, and what we have to add so that the associated horror becomes tangible.
After this serious prelude, the plan for my second day in Berlin is to focus on the Berlin Photo Week and I am curious to see if this will also result in a contribution.
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Das klingt alles sehr spannend.
Photographie kann Kunst sein. Wenn man sie als solche begreift.
In Frankfurt bin ich vor Jahren des öfteren ins MMK gegangen, weil die dort eine kleine Etage mit Photokunst haben. U.a. etwa Fotos von den Bechers, die sind ja bekannt.
Ja, das Erstaunliche ist, dass ja gerade ursprünglich dokumentarisch gedachte Photostrecken, wie die der Bechers dann noch nachträglich zu Kunst wurden.
Ohne den Hinweis auf eine “Querdenkerdemonstration” (jede Demo stört den Verkehhrsfluss, ist aber dennoch ein notwendiger Bestandteil unserer Demokratie. In Berlin finden ständig irgendwelche Demos statt) hätte mir dein Posting noch besser gefallen. Schon die Einleitung hat es in sich: wie anders die Direkterfahrung gg der virtuellen erfahrung ist. Besonders gefällt mir auch der Hinweis auf die Rollstuhl-Aktion und -Fotografie.
In Barcelona gabs vor Jahren eine von den Rollstuhlfahrern selbst durchgeführte Aktion, wo sie mit Kameras aufnahmen, wie sich ihr hinderungsreiches Leben ausnimmt. Davon wurde dann ein städtisches Konzept abgeleitet und realisiert, das zu einer erheblichen Verbesserung ihrer Situation führte.
Meine Bemerkung war nicht abfällig gemeint. Wobei ich nicht weiß, ob ich bei einer Demo mit deren Absichten ich mich mehr identifizieren könnte, vielleicht gar nichts gesagt hätte. Es gibt durchaus Inhalte, mit denen man sich beschäftigen sollte. Mir dreht’s aber schon den Magen um, wenn ich sehe, was für Gestalten da mitmarschieren. Das schadet der inhaltlichen Auseinandersetzung mehr als es hilft.