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Stammtische, Beichtstühle und Photographierverbote / Regulars’ tables, confessionals and photography bans

Ich bin öfter mal in der VHS Stuttgart am Rotebühlplatz. Nicht wegen der Kurse, sondern mal wegen Jazz, mal wegen der guten Photographie-Ausstellungen dort. Die Ausstellung der ausgewählten Serien zum Architekturphotographie-Preis gegen Ende des Jahres könnte ich fast schon fest in meinen Kalender schreiben. 2019 und 2021 habe ich auch hier schon davon berichtet. Leider werde ich jedes Mal angegangen, wenn ich dort photographierte. Die Wachmänner können nichts dafür. Das steht so in der Hausordnung.

Diesmal habe ich vorher höflich nachgefragt, ob ich die neue Ausstellung photographieren dürfe und ein wenig darüber gemeckert, dass man im Haus nicht photographieren darf. Eine freundliche Dame hat dann angeboten den Künstler zu fragen (das hätte ich auch selbst machen können, da ich ihn ja vom homepage-Projekt kenne) und mir ein paar Tage später grünes Licht gegeben. An dem Sonntagmorgen war das Licht aber so ungünstig und die Spiegelungen so stark, dass ich nur ein paar Schnappschüsse gemacht habe.

Nun aber zur Ausstellung selbst. Volker Schrank hat zum Thema „Macht und Moral“ gearbeitet. Oder aber diesen Titel als verbindende Klammer zwischen seinen Serien „Stammtische“ (2013) und „Beichtstühle“ (2022) gewählt. Man könnte auch sagen, es ist eng und riecht nach alten Männern. Die Serien sind streng konzeptionell photographiert und beschränken sich darauf rein additiv ein Motiv ums andere aneinander zu reihen. Man muss also ein wenig genauer hinschauen. Die Stammtische sind ohne ihre menschliche Bestückung, ja sogar ohne direkte Spuren menschlicher Nutzung photographiert. Es hängt mal ein Bild an der Wand, es steht ein sauberer Aschenbecher auf dem Tisch oder es hängt ein Fähnlein oder Wappen rum. Meist die Kennzeichen dafür das dies der Stammtisch und somit für andere Gäste Tabu ist. Hier wird also die Moral für den Alltag verhandelt. Was geht und was geht gar nicht. Es wird geurteilt und verurteilt und wer in den Augen der Stammtischinsassen in Ungnade gefallen ist, muss schauen wie er damit klarkommt.

I often go to the VHS Stuttgart at Rotebühlplatz. Not because of the courses, but sometimes because of jazz, sometimes because of the good photography exhibitions there. I could almost put the exhibition of the selected series for the Architecture Photography Prize towards the end of the year in my calendar. In 2019 and 2021 I have already reported on it here. Unfortunately, I get approached every time I photograph there. It’s not the guards’ fault. It’s in the house rules.

This time I asked politely beforehand if I could photograph the new exhibition and grumbled a bit about not being allowed to take photos inside. A friendly lady then offered to ask the artist (I could have done that myself, since I know him from the homepage project) and gave me the green light a few days later. On that Sunday morning, however, the light was so unfavourable and the reflections so strong that I only took a few snapshots.

But now to the exhibition itself. Volker Schrank worked on the theme of “Power and Morality”. Or else, he chose this title as a connecting bracket between his series “Stammtische” (2013) and “Beichtstühle” (2022). You could also say it’s tight and smells of old men. The series are strictly conceptually photographed and limit themselves to stringing together one motif after another in a purely additive manner. So you have to look a little closer. The regulars’ tables are photographed without their human occupants, even without direct traces of human use. Sometimes there is a picture hanging on the wall, a clean ashtray on the table or a little flag or coat of arms hanging around. These are usually signs that this is the regulars’ table and therefore taboo for other guests. So this is where the morals for everyday life are negotiated. What goes and what does not go. People are judged and condemned, and those who have fallen from grace in the eyes of the regulars’ table must see how they get on with it.

Gänzlich de-kontextualisiert kommen die Beichtstühle daher. Sie werden auf seltsam farbigen Hintergründen präsentiert und kommen in schier endlosen Varianten daher. Die Vielfalt mag interessant sein, aber darum geht es mir nicht. Hier wird ebenfalls Moral verhandelt, auf einer eher individualisierten Ebene. Das Konzept der Sünde, mit dem die Kirche jetzt schon seit fast zwei Jahrtausenden ihre Macht sichert, wird hier am Einzelfall durchexerziert. Der positive Aspekt, dass man sich durch die Beichte seine vermeintlichen Verfehlungen von der Seele reden kann, wird nicht wie in der Psychotherapie dazu genutzt, die Persönlichkeit zu stärken, sondern es wird durch das komplementäre Konzept der Sühne (m.A.n. nur ein anderer Begriff für Strafe) die Opferrolle der Beichtenden noch weiter zementiert.

The confessionals are completely de-contextualised. They are presented on strangely coloured backgrounds and come in seemingly endless variations. The variety may be interesting, but that is not my point. Here, too, morality is negotiated on a more individualised level. The concept of sin, with which the church has been securing its power for almost two millennia now, is being practised here on the individual case. The positive aspect that one can get one’s alleged transgressions off one’s chest through confession is not used to strengthen the personality, as in psychotherapy, but rather the complementary concept of atonement (in my opinion only another term for punishment) further cements the victim role of the confessor.

Im aktuellen Kontext bekommen die Beichtstühle zudem noch den Beigeschmack des abgeschlossen Raumes, bei dem man nicht umhinkommt einen Ort des Missbrauchs zu vermuteten. Die Phantasie rückt die Sprechöffnung in die Nähe von Arakis „Tokyo Lucky Hole“. Aber genug davon.

Die Arbeiten haben in ihrer Strenge eher dokumentarischen als künstlerischen Charakter. Wo ich mir unsicher bin, ist die Frage, ob sie eine zeitgemäße politische Aussage enthalten. Sie richten sich klar gegen die Instanzen, die Moral definieren und durchsetzen. Aber reicht es heute noch dagegen zu sein? Ist unsere Zeit nicht vielmehr eine, die verzweifelt nach Auswegen sowohl aus der Enge der Traditionen als auch aus der Beliebigkeit des Konsumismus sucht? Brauchen wir nicht neben der Ablehnung bornierter Moralvorstellungen auch ethische Prinzipien, nach denen wir und richten können, um irgendwie erhobenen Hauptes in Richtung Zukunft schreiten zu können?

Außerdem würde ich gerne verstehen, warum man in diesem interessanten Haus nicht photographieren darf. Im Erdgeschoss hängt eine sehr interessante Ausstellung mit Bildern von Wolfram Janzer, der es offensichtlich durfte. Ist es also so eine Art Hoheitsrecht, das man ausübt, um nur eigene bestellte Photographen zum Zuge kommen zu lassen, so ähnlich wie auf großen Konzerten, wo die Bildrechte Teil der Verwertungsketten sind? Ist das noch zeitgemäß an einem Ort, wo so viele Menschen positive Erlebnisse haben, die sie vielleicht mit ihren Freunden teilen wollen?

In the current context, the confessionals also smack of a locked room, where one cannot help but suspect a place of abuse. The imagination moves the speech opening close to Araki’s “Tokyo Lucky Hole”. But enough of that.

In their austerity, the works have more of a documentary than an artistic character. Where I am unsure is whether they contain a contemporary political statement. They are clearly directed against the authorities that define and enforce morality. But is it still enough to be against them today? Is our time not rather one that is desperately seeking ways out of both the narrowness of tradition and the arbitrariness of consumerism? Besides rejecting narrow-minded moral concepts, don’t we also need ethical principles to guide us, so that we can somehow walk with our heads held high towards the future?

I would also like to understand why it is not allowed to take photographs in this interesting house. On the ground floor there is a very interesting exhibition of pictures by Wolfram Janzer, who was obviously allowed to do so. So is it some kind of sovereign right that is exercised to allow only one’s own appointed photographers to take pictures, similar to big concerts where the image rights are part of the exploitation chains? Is that still contemporary in a place where so many people have positive experiences that they might want to share with their friends?

Translated with the help ofwww.DeepL.com/Translator

6 Comments

  1. Stefan Brendle

    Im Kap. 12 meines “Der Trail ins Freie”-Buches setze ich mich übrigens ausführlicher mit der Problematik auseinander.

  2. Klaus

    In einem Akt der Selbstläuterung setze ich mich hin und wieder in Beichtstühle und lasse mich fotografieren! Da gibt es dann immer was zu lachen!

  3. Stefan Brendle

    Ja, mit den Religionen, insbesondere mit “lebensverneinenden” wie dem Christentum (siehe dazu z.B. Hans Peter Duerr, Sedna oder die Liebe zum Leben, Frankfurt am Main 1990) ist es schon ein Kreuz. Und dass man zum Moralischsein null und keiner Religion bedarf, macht Ernst Tugendhat in seinem Büchlein “Anthropologie statt Metaphysik” (München 2007) ja so detailliert deutlich, wie man sich´s nur wünschen kann.

    • Rolf Noe

      Danke für deine wertvollen Ergänzungen. Das Sedna-Buch kannte ich bisher gar nicht. Stammt ja auch aus meiner Familienzeit mit fast vollständiger Literaturabstinenz in den Neunzigern. Muss ich nachlesen.

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